Zwei Jahre: So lange dauert die Probezeit, die der Aufsichtsrat des FC Bayern seinem designierten Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn aufdiktiert hat. Offiziell zum 1. Januar 2020 tritt der Torwarttitan seinen Job als Vorstandsmitglied an. Zum 1. Januar 2022 soll er den Vorstandsvorsitz von Karl-Heinz Rummenigge übernehmen.

Eine Kolumne
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Oliver Kahn darf sicher sein: Die zwei Jahre Probezeit an der Säbener Straße stecken voller Fallen und Tücken. Er wird keinen Satz mehr sagen können, ohne dass die Aussage dieses Satzes auf die Verträglichkeit mit seiner künftigen Position überprüft oder sogar im Widerspruch des noch aktuellen Amtsinhabers gesehen wird.

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Einarbeitungszeit als Rückversicherung

Was als zweijährige Einarbeitungszeit beim FC Bayern deklariert wird, ist für den Aufsichtsrat in Wahrheit eine Rückversicherung. Zur Stunde kann nämlich niemand mit Bestimmtheit sagen, ob Oliver Kahn tatsächlich das Zeug zum Vorstandsvorsitzenden im weltweit größten Sportverein hat. Er bringt beste Voraussetzungen mit, ja. Aber sonst?

Geschäftsführer in seinem offensichtlich florierenden Kleinunternehmen "Goalplay" zu sein, ist das eine. Etwas anderes, eine Weltmarke mit 700 Millionen Euro Umsatz und maximalem medialen Interesse zu leiten. Emotion, die Kahn auf dem Rasen auslebte, kann beim Jonglieren mit Millionen ein schlechter Ratgeber sein. Karl-Heinz Rummenigges Kühle war meistens hilfreich.

Anders hätte der einstige Weltklassestürmer nicht die Jahrzehnte neben Hoeneß bestehen können. Wann immer Uli Hoeneß polterte, brachte Rummenigge Sachverstand ein, Willen zur Modernisierung. Sein internationales Netzwerk lieferte ihm Orientierungspunkte, ob er auf dem richtigen Weg war. Er nennt dies: "Benchmarks". Nicht jeder versteht das.

Auch Kahn steckt voller Ideen zur Fortentwicklung des FC Bayern und muss gleichzeitig Geschick entwickeln, diese Ideen so klug zu platzieren, dass sie Rückhalt finden. Rummenigge will keinesfalls als "Lame Duck" erscheinen: als jemand, der da ist, aber nichts zu sagen hat. Zwei Jahre nebeneinander können eine lange Zeit sein. Für beide Seiten.

Jedes Wort wird auf die Waagschale gelegt werden

In diesem Spannungsfeld zwischen Uli Hoeneß, der ihn aus dem Hintergrund so unterstützen wird wie der künftige Bayern-Präsident Herbert Hainer, und Karl-Heinz Rummenigge, der noch zwei Jahre im Büro sitzt und sein Erbe aktiv regeln will, muss Oliver Kahn seinen Platz finden. Die Goldwaage wird jederzeit neben seinem Schreibtisch stehen.

Ein Beispiel: Kahn rechtfertigt als nächstes oder übernächstes einen Kompromiss zur gerechteren TV-Geldverteilung in der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Schon steht der Verdacht im Raum: So verständnisvoll hätten die Leute vor ihm nicht argumentiert. Dann fehlt nur ein kleiner Schritt zur Überschrift: Ist Kahn zu weich für Bayern?

Genauso kann es umgekehrt passieren. Um dem Eindruck zu widersprechen, er zeige zu wenig "Mia San Mia" beim FC Bayern, könnte Kahn unangemessene Härte demonstrieren. Wieder wird sein Verhalten auf Zukunftsfähigkeit abgeklopft: Steht da einer unter Druck? Schweigen ist keine Option. Als Bayern-Vorstand darf Kahn nicht schweigen.

"Er ist die perfekte Lösung für das Amt des Vorstandsvorsitzenden", kommentierte Hoeneß die Personalentscheidung seines Aufsichtsrats. Man darf an der Aufrichtigkeit dieser Worte nicht zweifeln. Hoeneß ist ein loyaler Mensch. Er wäre in den nächsten zwei Jahren aber auch der erste, der Zweifel zum Ausdruck bringen würde. Aus Loyalität zum FC Bayern.

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