Seit nunmehr 100 Tagen ist Hasan Salihamidzic Sportdirektor beim FC Bayern München. Der einstige Fan-Liebling wurde anfangs belächelt, wirkt in seiner Rolle nun aber zunehmend sicherer. Doch ob er wirklich die Kurve bekommt, bleibt fraglich.

Steffen Meyer
Eine Kolumne

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Es läuft beim FC Bayern seit der Rückkehr von Jupp Heynckes. Sieben Pflichtspielsiege, darunter in echten Kracher-Spielen gegen Leipzig (zweimal) und den Erzrivalen aus Dortmund.

Taktisch wirkt die Mannschaft stabil, im Offensivspiel geradezu beschwingt. Ein krasser Kontrast zum Saisonstart unter dem alten Coach Carlo Ancelotti.

Doch unter der Oberfläche gärt es weiter. Die Bayern-Bosse wissen, dass sie sich mit ihrer Entscheidung für Jupp Heynckes vor allem die Zeit gekauft haben, Dinge zu regeln, die nun seit gewisser Zeit nicht geregelt sind.

Heynckes wird voraussichtlich nur bis Ende der Saison zur Verfügung stehen.

Hermann Gerland, der eigentlich den nicht ganz unbedeutenden Job des Nachwuchs-Chefs innehat, ist aktuell als Co-Trainer an die Profis ausgeliehen.

Auch wenn er im Sommer auf seinen Posten im Nachwuchs zurückkehren sollte, ist er dort eher keine langfristige Lösung.

Schätzte Doc Braun Verletzungen falsch ein?

In dieser Woche kam nun die Trennung von Mannschaftsarzt Volker Braun hinzu, der neun Jahre lang für den Verein arbeitete und nun unter etwas mysteriös anmutenden Umständen ging.

Angeblich weil er die Verletzungen von David Alaba und Jerome Boateng falsch einschätzte.

Ein Arzt, der seit Jahren anerkannte Arbeit leistet und vor drei Jahren sicher nicht ohne Grund befördert wurde.

Sollte nun - wie berichtet wurde - sogar eine Rückkehr des legendären und und mittlerweile 75 Jahre alten Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt als Mannschaftsarzt erfolgen, wäre das der nächste Beleg dafür, dass der Weltverein FC Bayern den Absprung in Richtung Zukunft nicht so richtig bewerkstelligt.

Im Zentrum all dieser Entwicklungen steht Sportchef Hasan Salihamidzic - eine Personalie, die für viele immer noch wie eine Zwischenlösung wirkt.

Dabei hatte Präsident Uli Hoeneß durchaus recht damit, als er Brazzo vor wenigen Wochen zum größten Gewinner der Heynckes-Verpflichtung ernannte.

In der Tat: Seitdem Heynckes da ist, konzentriert sich viel auf den Altmeister. Salihamidzic, der zuvor vor allem in seinen medialen Auftritten zum Ende der Ancelotti-Zeit einen schweren Stand hatte, wirkt entspannter. Natürlicher. Als zusätzlicher Einpeitscher von der Bank, als lächelnder Stichwortgeber vor den Kameras.

Mit sieben Siegen im Rücken vielleicht kein Kunststück. Und doch fragt sich mancher: Findet da einer seine Rolle?

Legt Brazzo sein nettes Image allmählich ab?

Wie immer bei Personalentscheidungen der vergangenen Wochen sind die Münchner Bosse bemüht, die Rolle von Salihamidzic öffentlich zu stärken.

Auch jetzt tauchten in zumeist gut informierten Medien mit kurzem Draht zu Uli Hoeneß Botschaften auf, dass Brazzo derjenige war, der zur Trennung von Chefarzt Dr. Braun drängte.

Er soll Braun bei einem Disput sogar angeschrien haben. Der nette Brazzo? Dem selbst Kritiker attestieren, ein absolut feiner Kerl zu sein, der überall gute Laune verbreite?

Es wird schwer aufzulösen sein, ob die Geschichte stimmt. Oder ob sie vielleicht doch etwas zu gut in die vor allem von Hoeneß immer wieder mit Nachdruck verbreitete These passt, dass der Sportdirektor intern immer wieder schonungslos auf den Tisch haue und sich Respekt verschaffe.

Die Bayern-Bosse sind an den Diskussionen um Salihamidzic in den vergangenen Monaten nicht ganz unschuldig.

Nach dem Abgang von Matthias Sammer im Sommer 2016 brauchten sie lange, um einen Nachfolger zu präsentieren.

Als sich Hoeneß und Rummenigge intern weder auf Max Eberl noch auf Philipp Lahm einigen konnten, präsentierten sie Salihamidzic.

Nicht als Kompromiss, nicht als Testballon, nicht mit der Aussicht, sich langsam hineinzuarbeiten, sondern als 1a-Lösung. Sie erklärten den dabei selbst überrascht wirkenden 40-Jährigen auf der Vorstellungspressekonferenz ausdrücklich als Verantwortlichen für die gesamte sportliche Entwicklung des Vereins. Inklusive Transfers, Scouting und Nachwuchsarbeit.

Auch Salihamidzic gewinnt Zeit

Statt ihm die Zeit zu geben, die er als völlig unerfahrener Funktionär dringend brauchen würde, übertrugen sie ihm damit die strategisch wohl wichtigste sportliche Rolle im Verein. Brazzo habe alle Fäden in der Hand. So verkauften es die Bosse. Eigentlich ohne Not. Nun ist das auch der Maßstab in der Bewertung seiner Arbeit.

Mit der Ankunft von Heynckes hat sich zumindest eine tagesaktuelle Baustelle geschlossen. Die Mannschaft funktioniert wieder. Salihamidzic gewinnt so - wie der gesamte Verein - etwas Zeit.

Die nächste Trainerentscheidung, der Umgang mit den Vertragssituationen der Altstars Robben und Ribéry, die weitere Transferstrategie, die Neuaufstellung des Nachwuchsbereichs, die langfristige Kaderplanung, eine langfristige Lösung in der medizinischen Abteilung.

Die Aufgaben sind riesig. Zumindest öffentlich hat sie Salihamidzic bisher kaum adressiert.

Heynckes kann nicht ewig als Schutzschild dienen. Der FC Bayern muss demnächst eine Reihe von strategischen Richtungsfragen im sportlichen Bereich beantworten. Diese Entwicklung muss im Idealfall von einem starken, unabhängigen Sportdirektor ausgehen.

Bekommt Brazzo nach der positiven Entwicklung unter Heynckes also die Kurve? Auch nach 100 Tagen im Amt überwiegen da eindeutig die Zweifel.

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