Zwei Jahre waren Trainer in der Bundesliga in den letzten 20 Jahren im Schnitt im Amt. Es gibt diverse Gründe, warum das Fußball-Geschäft schnelllebiger geworden ist. Es gibt aber auch Coaches, die die Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts außer Kraft setzen. Wie schaffen die das?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Andreas Reiners sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Frank Schmidt bügelte den Rekord kurzerhand ab. Die Art, wie er das tat, ist wohl eines der Erfolgsgeheimnisse, warum er die Bestmarke überhaupt übernommen hat. Ein bisschen schroff wirkend, aber sympathisch – und bescheiden. "Für mich ist das nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass die Mannschaft diesen Weg genommen hat", sagte der 49-Jährige, bevor er am 17. September 2023 der Trainer mit der längsten Amtszeit bei einem Verein im deutschen Profifußball wurde.

Mehr News zur Bundesliga

Seit 2007 ist er beim 1. FC Heidenheim. Als er anfing, feierte Ferrari in der Formel 1 mit Kimi Räikkönen den bis heute letzten Fahrertitel. Die deutschen Handballer wurden Weltmeister, der 1. FC Nürnberg DFB-Pokalsieger und der VfB Stuttgart Meister – mit zwei Punkten Vorsprung vor dem FC Schalke.

Lange ist's her. Mehr als 16 Jahre inzwischen, was (nicht nur) im deutschen Fußball eine echte Seltenheit ist. Schmidt ist eine Ausnahme, der von ihm als Rekordhalter abgelöste Volker Finke (SC Freiburg, 1991 bis 2007) ebenso. Oder auch Otto Rehhagel (Werder Bremen, 1981 bis 1995), Thomas Schaaf (Werder, 1999 bis 2013), Winfried Schäfer (Karlsruher SC, 1986 bis 1998) und Christian Streich, der seit 2011 Trainer in Freiburg ist.

In den letzten 20 Jahren waren es laut "Statista" im Schnitt rund zwei Jahre, die ein Trainer bei einem Klub aushielt. Das Geschäft ist fraglos schnelllebiger geworden. "Das hängt damit zusammen, dass der Trainer heutzutage sehr viele verschiedene Bereiche abdecken muss, das Anforderungsprofil ist größer geworden", sagt Sportwissenschaftler Daniel Memmert im Gespräch mit unserer Redaktion. "Er ist gar nicht mehr nur als Trainer gefragt, sondern als Moderator in vielen Bereichen, er ist teilweise auch das Gesicht nach außen."

Der wichtigste Mann im Verein

Thomas Tuchel ist ein gutes Beispiel für dieses Profil. Der 50-Jährige muss als Trainer des FC Bayern in dieser Saison in einem sowieso schon schwierigen Umfeld diverse Baustellen moderieren, muss sich nach dem verpatzten Transfersommer und angesichts des dünnen Kaders innerhalb des Klubs positionieren, das Pokal-Aus in Saarbrücken erklären und Kritik diverser Experten kontern. Dabei machte er allerdings keine durchweg souveräne Figur, was ihn trotz nur zweier Niederlagen in 17 Pflichtspielen angreifbar wirken lässt.

"Der Trainer ist der wichtigste Mann im Verein, an dem hängt alles, jede Entscheidung. Er ist deshalb an vielen Fronten gefragt, womit er zum einen natürlich auch viele Fehler begehen kann, zum anderen Ereignisse geschehen, für die er gar nichts kann", betont Memmert. "Dass man da sich verschleißen kann, man für Dinge verantwortlich gemacht wird, für die man gar nichts kann sowie dass man Fehler begehen kann, dass man möglicherweise in Dinge reingerät, die schwierig werden können, ist völlig normal", sagt Memmert. Heißt: Ja, früher war es anders, es war einfacher, länger bei einem Verein durchzuhalten, was die Namen in der Rangliste auch unterstreichen.

Doch was ist das Erfolgsgeheimnis der Dauerbrenner, die es auch heute immer noch gibt? Klar ist: Es gibt nicht nur eines. "Das wichtigste Rezept ist, die Erwartungshaltung des Umfeldes im Blick zu behalten, diese auf einem möglichst niedrigen Level zu halten und ihr dann gerecht zu werden", sagt Memmert. In Heidenheim nehmen sie es als Glücksfall mit, dass man in der Bundesliga spielen darf. "Und die Erwartungshaltung ist nicht, dass Heidenheim die Geschichte von Union Berlin nachschreibt", so Memmert.

Ähnliches gilt für Freiburg. "Wenn man dort sagt, Bundesliga oder zweite Liga ist gut für uns, dann ist das natürlich nicht nur schlau, was die Erwartungshaltung betrifft, sondern sogar äußerst realistisch", sagt Memmert. "Viele andere Klubs haben gar nicht verstanden, wie schwer es ist, im Moment in der Bundesliga zu bleiben."

Diverse wichtige Faktoren

Auch Authentizität und Bodenständigkeit sind wichtige Faktoren. Dass Schmidt und Streich aus der Gegend kommen, dort verwurzelt sind und die Eigenarten der Menschen kennen und bedienen können, ist natürlich auch kein Nachteil. Eine gewisse Reputation ist ebenso essenziell, entweder durch vergangene Erfolge im Laufe der Karriere oder aber beim aktuellen Klub.

Dazu kann man beim Binnenverhältnis zu den Fans viel richtig machen. Das alles schafft Kredit. "Es gibt Trainer, die machen das überragend gut. Die treffen sich mit den Anhängern, den Fanclubs. Den Kredit baut man sich durch Außergewöhnliches auf. Und davon kann man zehren", so Memmert.

Dass manche Trainer länger funktionieren als andere, liegt aber auch daran, dass erfolgreiche Coaches auch "wandelbar" sein müssen, sagt Memmert. "Ein Trainer muss flexibel sein. Es gibt so viele Coaches, die mit einer Idee erfolgreich sind und dann aber nicht in der Lage sind, diese Idee zu adaptieren." Es sei ein Grundsatz, sich so weiterzuentwickeln, dass man sich nicht abnutze, dass das Team immer noch Respekt vor einem habe. "Fleiß ist ein wichtiger Punkt. Dass man vorangeht."

Einen Faktor hat der Trainer aber nicht alleine in der Hand: das Gesamtkonstrukt, die komplette sportliche Ebene. "Ohne den Trainer wäre unser sportlicher Aufstieg aus dem Amateurfußball bis in die Bundesliga so nie möglich gewesen", sagt zum Beispiel Heidenheim-Boss Holger Sanwald, der Schmidt 2007 zum Trainer machte und selbst seit 1994 im Verein ist, der Deutschen Presse-Agentur. "Deshalb empfinde ich bei diesem Rekord große Dankbarkeit und Wertschätzung dafür, was Frank für unseren FCH geleistet hat."

Gute Leute neben dem Trainer

In Freiburg sind Jochen Saier und Klemens Hartenbach als Sportvorstand beziehungweise Sportdirektor die Macher neben Streich. "Jochen ist mit dem Verein gewachsen", sagte Streich dem SWR. "Er handelt überlegt, ist intelligent und mit der nötigen Empathie ausgestattet. Er verkörpert den SC Freiburg. Und Klemens und er sind auch ein Stück weit der SC." Memmert hält so ein Konstrukt für ideal. "Das ist einfach gesund, dass die Leute, die den Verein kennen, in der Verantwortung sind. Sie haben dann auch ein gewisses Standing, denn sie haben sich durchgesetzt, intern mit der Philosophie weiterentwickelt und sich nach oben gearbeitet."

Das ist natürlich nicht automatisch eine Blaupause beziehungsweise Erfolgsgarantie für andere Klubs. Der heutige Bundestrainer Julian Nagelsmann weiß das sehr gut, denn "er ist beim FC Bayern an den Ex-Spielern Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic gescheitert", so Memmert. Bedeutet also: "Du brauchst in allen Bereichen gute Leute. Vorstand und Sportdirektor müssen geerdet, professionell und gut sein, dieselben Ziele haben, sich nicht vor einem Aufsichtsrat treiben lassen. Alle müssen dieselbe Sprache sprechen und auf derselben intellektuellen Ebene agieren", sagt Memmert. "Wenn du das nicht hast, dann hilft oft auch ein guter Trainer nicht."

Dann verliert die Kabine an Bedeutung

Ein funktionierendes, sportliches Gesamtkonstrukt hilft dafür im Umgang mit der Kabine. Auch das weiß zum Beispiel Nagelsmann: Verliert man bei den Bayern die Kabine, ist man in der Regel auch recht bald seinen Job los. "Die Kabine ist wichtig, aber die Kabine sollte nicht über dem Trainer stehen. Leider ist das natürlich in schlechten Zeiten oft nicht so", sagt Memmert. "Wenn aber die Kabine weiß, dass man mit dem Trainer auch in die zweite Liga absteigt, dann hat der Trainer ein ganz anderes Standing."

Lesen Sie auch: Heidenheim-Trainer Frank Schmidt träumt von eigener Tapas-Bar

Wie Schmidt. Und da der sowieso viele Erfolgsfaktoren auf sich vereint, spricht Sanwald nicht über den Abstiegskampf, sondern lieber über einen neuen Vertrag. "Vielleicht verlängert Frank sogar noch mal und beendet seine Trainertätigkeit dann in Heidenheim", hofft Sanwald. Schmidts Vertrag läuft noch bis 2027. Den Rekord könnte er also so oder so noch ausbauen. Auch wenn er ihm gar nicht so wichtig ist.

Über den Gesprächspartner:

  • Prof. Dr. Daniel Memmert ist geschäftsführender Institutsleiter und Professor am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Sporthochschule Köln. Seine wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte liegen in der Bewegungswissenschaft, in der Sportpsychologie sowie in der Sportinformatik. Er organisiert den ersten internationalen Weiterbildungs-Masterstudiengang "Spielanalyse" sowie das Zertifikat "Sportdirektor im Amateur- und Nachwuchsleistungsfußball".

Verwendete Quellen:

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.