In den Spielen gegen die Top-Teams wird die große Baustelle der Borussia mehr als offensichtlich: Im Mittelfeld fehlt es an geeigneten Spielern und klaren Abläufen. Und Besserung ist kaum in Sicht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Jede Mannschaft der Bundesliga hat einen Plan, wie sie vor das gegnerische Tor kommen und Tore erzielen will. Von einer "fehlenden Idee" im eigenen Ballbesitz zu reden, ist daher grundsätzlich nicht richtig. Das gilt auch für Borussia Dortmund, auch wenn es beim BVB derzeit tatsächlich viele Dinge zu kritisieren gibt.

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Es geht - auch bei der Borussia - vielmehr um die Interpretation und die Umsetzung der Leitlinien und Prinzipien, auch um die oft bemühten Abläufe. Und es geht um das Zentrum des Spiels, das Rhythmus schafft, Struktur und Ordnung - so es denn dafür entsprechend besetzt ist. Denn genau daran hapert es beim BVB in den letzten Wochen zum Teil ganz gewaltig.

Ordentliches Defensivverhalten

Das Dortmunder Mittelfeld hatte in den beiden Spielen gegen Bayer Leverkusen und den VfB Stuttgart, aber vereinzelt auch schon davor, die große Aufgabe, das gegnerische Angriffsspiel als eine erste Welle zu brechen. Dem Gegner das Zentrum zu verschließen, ihn auf die Außenbahn zu lenken und dort Zugriff herzustellen.

Und bei aller Kritik an den Leistungen in Leverkusen und in Stuttgart muss man auch festhalten, dass dieser Plan aufgegangen ist. Sowohl Bayer als auch der VfB hatten im eigenen Positionsspiel zum Teil massive Probleme, den Dortmunder Block aufzuspielen. Jenseits von viel Ballbesitz und vielen Pässen rund um den Dortmunder Strafraum war da zunächst nicht viel.

Leverkusen hatte ein paar Fernschüsse und eine Umschaltchance samt Tor, das dann aber aberkannt wurde. Der VfB eine Halbzeit lang keinen einzigen gefährlichen Torschuss im Anschluss an eine längere Ballstafette. Das war jeweils auch ein Verdienst der defensiven Arbeit im Dortmunder Mittelfeld, das eng angebunden an die Vierer- oder Fünferkette dahinter stand und so wenig Zwischenräume preisgab.

Ursprung der Gegentore im Mittelfeld

Zur Wahrheit gehört aber auch - und das war gegen Leverkusen und in Stuttgart letztlich die Krux -, dass dieses Verteidigen auf höchstem Niveau nicht über 90 Minuten aufrechtzuerhalten war. Weil einige Spieler müde wurden, weil sich zum ohnehin schon üppigen Lazarett noch einige andere Spieler gesellten. Weil der Gegner im Gegenzug den Druck hochhalten und Tempo gehen konnte gegen die Borussia, die alle drei oder vier Tage im Einsatz ist.

Und weil dann Lücken entstanden wie bei den Gegentoren: In Leverkusen öffnete sich das Mittelfeld und mit einer falschen Antizipation von Mats Hummels war plötzlich auch der Raum im Strafraum offen. Der VfB spielte beim 1:1 über den Außenverteidiger um den Dortmunder Block und tauchte in dessen Rücken durch Enzo Millot wieder auf. Nur zwei Stuttgarter Angreifer banden alle fünf Dortmunder Abwehrspieler, die auch noch auf einer Linie agierten. Steckpass auf Serhou Guirassy, Tor. Kleine Fehler sind das mit großer Wirkung, aber an sich keine strukturellen Probleme.

Kaum noch Pressingresistenz beim BVB

Die hatte der BVB aber, sobald er selbst den Ball am Fuß hatte. "Guten Ballbesitz" hatten Edin Terzic und Sebastian Kehl noch ein paar Minuten vor dem Anpfiff in Stuttgart angekündigt. Tatsächlich wurde der aber sukzessive schlechter und die größte Baustelle im Dortmunder Spiel mehr als sichtbar: Der BVB hat kaum noch einen Spieler im tiefen Aufbau, der mit aggressivem gegnerischen Druck umgehen kann.

Mats Hummels oder Nico Schlotterbeck bekommen das immer mal wieder hin, wenn sie forsch andribbeln. Dann bringen sie wichtige Impulse ins Dortmunder Spiel, wenn sie mit dem Ball am Fuß Linien überspielten und damit für Zuordnungsprobleme beim Gegner sorgten und in letzter Konsequenz Dortmunder Torchancen damit vorbereiteten. Ein Paradebeispiel dafür war die Partie in Newcastle.

Dortmunds Sechser sind aktuell aber mit diesen gestalterischen Aufgaben teilweise extrem überfordert. Das fällt gegen jene Gegner nicht so auf, die weniger Mut und Risiko im Anlaufen nehmen wollen. Leverkusen hat den BVB aber mit seinem Pressing schon erdrückt. Und der VfB in gleich zwei Spielen so viele hohe Ballgewinne gegen den BVB erzwungen, dass vier oder fünf Tore in der folgenden Umschaltaktion möglich gewesen wären.

Das waren die Momente, in denen die Borussia schon früher Spiele fast aus der Hand gegeben hätte, wenn der Gegner nur ein wenig zielstrebiger und kälter vor dem Tor gewesen wäre. Dortmunds Spielaufbau war der Angriffspunkt für den VfB, das Pressing und Gegenpressing als Spielmacher. Eine Ur-Dortmunder Idee.

Spieler überfordert, Abläufe kaum erkennbar

Schon nach dem ersten Saisonspiel gab es heftige öffentliche Debatten, angestoßen vom Trainer selbst und dessen Kapitän Emre Can, um die Positionierung einzelner Spieler im eigenen Spielaufbau. Um nutzlose Überzahl in der ersten Aufbaulinie und eine damit fehlende Verbindung im Mittelfeld zu den Angreifern.

Nun war das in Stuttgart nicht das Problem, auch weil Can als zusätzliche Absicherung ohnehin in der Fünferkette agierte. Wohl aber die fehlende Pressingresistenz von Salih Özcan und Marcel Sabitzer, auch Can tut sich in der Regel in dieser Kategorie selten positiv hervor, Felix Nmecha ist aktuell verletzt. Es war schon im Ligaspiel beim VfB zu erkennen, dass es dem BVB an Spielern mangelt, die den Druck aushalten und den Ball behaupten können, wenn es Dauerfeuer gibt vom Gegner. Im Pokalspiel am Mittwoch war dieses Problem überdeutlich.

Die passenden Spieler fehlen

Das liegt zum einen an den Spielerprofilen: Im Dortmunder Kader gibt es keinen klassischen Taktgeber mehr und Spieler, die sich auch aus engen Situationen drehen können. So wie sie etwa die Konkurrenz hat, in Joshua Kimmich, Granit Xhaka oder Angelo Stiller. Mo Dahoud war so ein Spieler, Jude Bellingham selbstredend auch; Raphael Guerreiro war als einrückender Außenverteidiger phasenweise eine echte Waffe und nicht zufällig der beste Vorbereiter der Liga. Alle drei spielen nun bei anderen Klubs.

Es liegt aber auch daran, dass es keine eingeschliffenen Passketten gibt, dass jeder Spieler weiß, wie er sich wann und wo zu positionieren hat, um in die Anschlussaktion zu kommen und den Gegner ins Springen zu bringen.

Deshalb wirkt vieles so improvisiert und zusammenhanglos. Mit der fehlenden Ruhe am Ball geht es los und setzt sich wie in einer Kettenreaktion fort. Das Momentum, im Ballbesitz immer eine Spur schneller und weiter zu sein als der Gegner und damit Aktivität auszustrahlen, ist damit verloren.

Der Rest ist viel Improvisationstheater, das aufgrund der individuellen Klasse der Dortmunder Angreifer in vielen Partien ausreichend ist. Gegen die Top-Teams stößt der BVB aber auch brutal an seine Grenzen.

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