Stillstand statt Fortschritt bei Borussia Dortmund: Die peinliche Niederlage in Stuttgart offenbart erschreckend viele Defizite, die Konkurrenz enteilt schon wieder. Und langsam rückt deshalb auch Trainer Edin Terzic in den Fokus der Kritik.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

In den vielen Jahren der Dortmunder Dominanz gegen den VfB Stuttgart gab es ein Ergebnis, das spektakulär aus der Reihe tanzte: Im Dezember 2020 schraubte der VfB eine desolate Dortmunder Mannschaft in deren eigenen Stadion auseinander, es war die höchste Heimniederlage überhaupt gegen die Stuttgarter. Keine 24 Stunden später musste Trainer Lucien Favre gehen.

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Nun dürfte Edin Terzic ein ähnliches Schicksal nach der Niederlage in Stuttgart am Samstagnachmittag erspart bleiben. Mit Favre war die Lage damals schon so fortgeschritten verfahren, dass ein Trainerwechsel der letzte Ausweg schien. Terzic sitzt beim BVB deutlich fester im Sattel - die Probleme sind damals wie heute aber durchaus ähnlich gelagert und sie drohen die Borussia knapp drei Jahre später schon wieder einzuholen.

"Es war wieder mal ein bekanntes Gesicht, mit dem wir sehr unzufrieden sind. Es war wieder mal ein sehr enttäuschender Tag für uns", sagte Terzic nach dem Offenbarungseid in Stuttgart laut "Kicker". "Wie wir uns heute angestellt haben, sowohl gruppendynamisch als auch individuell, darfst du als Borussia Dortmund nicht auftreten", sagte Sportchef Sebastian Kehl laut Vereinswebsite. Worte, die sich wiederholen, die man so oder so ähnlich schon oft genug gehört hat von einer sportlichen Leitung.

Oder von den Experten des Landes. "Es sind alles Nationalspieler. Die sind ja nicht Nationalspieler geworden, weil sie einen guten Haarschnitt haben oder gut gekleidet sind, sondern weil sie super Fußball spielen können. Das beweisen sie zurzeit auf dem Platz aber nicht", sagte Lothar Matthäus am späten Sonntagabend in der Sendung "Sky90" und kam zu dem Schluss: "Das ist keine Mannschaft, da spielt jeder für sich selbst!"

Fast chancenlos gegen starke Gegner

Matthäus nimmt in seiner Kritik zwar klar die Spieler in die Pflicht, aber nicht nur zwischen den Zeilen nun auch Trainer Terzic. Nach einem knappen Drittel der Saison zeigt sich Dortmund wankelmütig und unberechenbar: Guten oder zumindest soliden Leistungen wie in den Pokalwettbewerben folgen dann wieder unerklärlich schwache Auftritte in der Liga.

In den letzten drei Spielen gegen die stärkeren Gegner Frankfurt und Stuttgart sowie im vermeintlichen Topspiel gegen die Bayern gelang der Mannschaft nur eine vernünftige Halbzeit: bei der Aufholjagd gegen die Eintracht. Die restlichen fünf Halbzeiten hatte der BVB aber rein gar nichts zu bestellen gegen zum Teil turmhoch überlegene Gegner.

Nach nur einem Punkt aus diesen Spielen und gleich neun Gegentoren zeigen sich die Schwächen des Dortmunder Pragmatismus, den Terzic vor ein paar Wochen ausgerufen hatte. "Weniger sexy, mehr Erfolg" soll das Rezept lauten, mit dem sich die Borussia an der Tabellenspitze festkrallen will. Oder besser: wollte. Mittlerweile sind die Bayern acht und Spitzenreiter Bayer Leverkusen zehn Punkte einteilt, Dortmund als Fünfter sogar zumindest vorübergehend aus den Champions-League-Plätzen gefallen.

"Wir wollten aus der vergangenen Saison lernen, jetzt ist es uns wieder passiert. Wir wollten es dieses Jahr besser machen, um uns das maximale Ziel nicht wieder von hinten erarbeiten zu müssen, sondern einfach die ganze Zeit mittendrin bleiben. Das ist uns nicht gelungen", musste Terzic am Samstag auf der Pressekonferenz zugeben.

Fußballerisch nicht auf Augenhöhe

Im Prinzip ist Terzic mit seiner Mannschaft fast auf den Punkt genau wieder dort angelangt, wo er zum selben Zeitpunkt der abgelaufenen Saison stand. Nach elf Spieltagen wies der BVB damals 19 Punkte aus, sogar noch zwei weniger als heute. Allerdings gab es da nicht zwei Teams, die fast schon beängstigend massiv punkten wie nun Leverkusen und die Bayern.

Der Rückstand auf die Spitze betrug trotz der durchwachsenen Leistungen nur vier Zähler. Es war nicht der BVB, der sich im letzten Herbst im Rennen hielt - es war die vergleichsweise schwache Konkurrenz. Das ist nun ganz anders und macht die Dortmunder Defizite nicht nur tabellarisch besonders sichtbar.

Wie Leverkusen, wie die Tormaschinen aus München, wie phasenweise Leipzig Fußball spielt: Das ist ein sehr großes Stück entfernt von dem, was der BVB immer mal wieder zeigt. Die Mannschaft hat immer noch große Probleme im Spiel mit dem Ball, erarbeitet sich viel zu wenige Torchancen und damit auch Tore. 21 sind es bis jetzt, damit belegt die Borussia in der Statistik einen Mittelfeldplatz.

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Wie weit enteilt andere Mannschaften sind, zeigte der VfB auf schonungslose Weise. Eine Mannschaft, die im Frühjahr dieses Jahres noch unter dem Anti-Fußball von Bruno Labbadia ächzte und auch deshalb beinahe abgestiegen wäre, hat innerhalb kürzester Zeit eine Metamorphose hingelegt zu einem der aufregendsten Teams der Liga, mit einem strukturierten, zielorientierten, attraktiven und mutigen Fußball, den man eigentlich dem BVB zuschreiben wollte.

Das zeigt: Eine Entwicklung kann stattfinden - und das in nur wenigen Monaten. Sebastian Hoeneß hat das hinbekommen, sein VfB hat den BVB am Samstag aus dem Stadion gespielt und nur das Toreschießen vergessen. Ansonsten hätte die Partie in einem Debakel für Dortmund geendet.

Mindestens diesen Vorwurf muss sich Terzic spätestens jetzt gefallen lassen: Während an anderen Standorten mit vergleichbaren Mitteln, wie in Leverkusen, oder mit deutlich weniger Personalaufwand, wie in Stuttgart, eine deutlich positive Entwicklung zu erkennen ist, macht der BVB nach einem Schritt vorwärts immer wieder auch zwei Schritte zurück.

Deshalb ist die Ausgangslage nun auch so explosiv: Bis Weihnachten bieten sich der Mannschaft theoretisch noch genug Chancen zur Selbsthilfe. Momentan scheint es aber eher so, dass in den K.o.-Spielen gegen Milan und PSG in der Königsklasse und beim Pokalauftritt in Stuttgart einiges kaputtgehen könnte. Und in der Liga warten unter anderem noch Leipzig und Leverkusen auf den BVB.

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