Almuth Schult hat ein schweres halbes Jahr hinter sich, bei der Frauen-WM in Frankreich ist die Torfrau aber nicht nur die Konstante, sondern auch die große Hoffnung der deutschen Nationalmannschaft.

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Wenn man etwas zu sagen hat, dann muss man den Mund aufmachen. Und Almuth Schult hat jede Menge zu sagen. Im Kerngeschäft ist Schult Torhüterin. Die letzte Bastion ihrer Mannschaften, beim VfL Wolfsburg und derzeit bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft.

Nebenbei schlüpft die 28-Jährige aber auch in diverse andere Rollen: Sie ist der verlängerte Arm von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die Mutter der Kompanie, Galionsfigur und Anführerin der jungen deutschen Mannschaft. Und sie geht auf Konfrontationskurs, wenn es sein muss, zeigt sich dann unangepasst und angriffslustig.

Attacke auf den DFB

Im Frühjahr rüttelte Schult ihre Branche und ein bisschen auch die Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt auf. Beim Deutschen Fußball-Bund ist man Widerworte kaum gewohnt und schon gar nicht eine Frontalattacke aus der Nische. Als solche behandle der große DFB die kleine Frauen-Sparte immer noch, ließ Schult sinngemäß wissen. "Wir Frauen werden oft vergessen", klagte sie in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" an. "Wir hoffen, dass der DFB den Frauenfußball weiter nach vorne bringt. Aber die Signale, die ich momentan wahrnehme, deuten leider in eine andere Richtung."

Während in Frankreich, England, den Niederlanden oder Spanien und ohnehin schon in fast allen skandinavischen Ländern und selbstverständlich im Mekka USA der Frauen-Fußball auf dem Vormarsch ist, fristet er in Deutschland, unter der Schirmherrschaft des größten Sportfachverbands der Welt, immer noch ein kärgliches Schattendasein. Schult wollte darauf hinweisen im WM-Jahr, das bis dato so vor sich hin schlummerte und in dem die Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung unter ferner liefen rangierten.

Plastisch machen konnte Schult dies mit der ältesten aller Diskussionsgrundlagen, der Sorge um das liebe Geld. Zwar entwickelten sich die Prämien auch für die Frauen weiter nach oben, die grundsätzliche Herangehensweise des DFB aber sorge nicht eben für die richtigen Signale. "Maßnahmen und Länderspiele werden von Geld aus einem Topf gefördert, der sich wirtschaftliche Beteiligung nennt. Dieser wurde deutlich reduziert. Das ist etwas schade in Zeiten, in denen man das Gefühl hat, dass sich etwas bewegt." In Frankfurt kam der Affront nicht besonders gut an, Schult störte das aber nicht besonders.

Schult ist anders als die anderen

Sie ist die Nationaltorhüterin, seit rund einem Jahrzehnt bei der Nationalmannschaft dabei. Sie hat mit dem VfL Wolfsburg alles gewonnen und als Nummer zwei beim DFB das WM-Desaster vor acht Jahren erlebt sowie den Olympia-Triumph 2016 als Stammkraft im Tor. Sie steht in Nachfolge und in einer Reihe mit den Granden Nadine Angerer, Silke Rottenberg oder Marion Feiden, die früher das deutsche Tor bewachten und Garanten großer Erfolge waren - sowie immer auch einen Tick anders als ihre Feldspielerkolleginnen.

Schult ist sogar sehr anders als die meisten, mit denen Voss-Tecklenburg in Frankreich die Mission Titelgewinn bestreitet. Die meisten der vornehmlich jungen Spielerinnen hatten noch keine großen Hürden zu überwinden oder Rückschläge zu verkraften, ihre Karrieren stehen noch am Anfang. Dafür turnen diese Spielerinnen auf Facebook, Twitter oder Instagram herum oder lassen ihre Agenturen herumturnen. Schult hat dagegen keinen einzigen Account in den sozialen Netzwerken, dafür aber im richtigen Leben schon fast alles gesehen. "Sie hat gelernt, gegen Widerstände anzukämpfen", sagt Michael Fuchs, der seit zwölf Jahren als Torwarttrainer bei den DFB-Frauen arbeitet.

Aus der Provinz an die Spitze

Schult stammt von einem Bauernhof in der niedersächsischen Provinz, einem 120-Seelen-Dörfchen. In ihren Mannschaften verkauft sie auch mal die Eier vom Hofladen ihrer Eltern, für 30 Cent das Stück. Sie spielte als 15-Jährige noch zusammen mit den Jungs in der C-Jugend, in die Kreisauswahl der U15 schaffte sie es bereits als Achtjährige - im großen Tor, nicht in den kleineren Gehäusen, die bis zur D-Jugend Standard sind. Mit 16 ist sie dann nach Hamburg gezogen, um beim HSV Fußball zu spielen, später nach Köln für ein Sportstudium und dazwischen noch mehr Fußball in Magdeburg und Bad Neuenahr.

Ihr wurde im Leben nichts geschenkt und "ich wurde nie in Watte gepackt von meinen Eltern". Schult hat das Leben nicht gelernt wie so manch anderer, der einfach nur gut Fußball spielen kann. Sie hat sich alles erarbeitet, auch die weiße Weste bei der WM bisher. In allen drei Gruppenspielen blieb die DFB-Auswahl ohne Gegentor, obwohl es gegen China und Spanien genug Probleme in den defensiven Abläufen gab und die Gegner reihenweise beste Chancen hatten. Schult blieb unüberwindbar, was aus dreierlei Hinsicht bemerkenswert ist.

Gefährliche Masernerkrankung

Nur die Übermannschaft aus den USA ist bisher neben der deutschen Mannschaft ohne Gegentor, dabei stand Schults Einsatz beim Endturnier bis vor wenigen Wochen noch in den Sternen. Eine Schulterverletzung setzte sie außer Gefecht, ein Testspiel gegen Japan mit zwei schlimmen Patzern geriet aus ihrer Sicht völlig daneben. Und dann war da noch die lebensbedrohliche Nachricht aus dem Winter: In Wolfsburgs Trainingslager in Portugal verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand plötzlich massiv, die Ärzte wussten lange keinen Rat.

Erst spät kam die Diagnose Masern. Eine für Kinder eher harmlose Erkrankung, für Erwachsene aber durchaus gefährlich. "Mir ging es dann auch immer schlechter. Ich konnte nicht mehr essen und es kamen unter anderem auch eine Zahnfleisch- und Bindehautentzündung dazu", sagte Schult in einem Interview mit "Sportbuzzer".

"Es waren sehr schwere Symptome, es war sehr untypisch für Masern." Eine Leberentzündung kam erschwerend dazu. So schlecht wie in diesen Tagen sei es ihr noch nie gegangen, fast sieben Kilo habe sie in nur zwei Wochen abgenommen. Essen, laufen, selbst fernsehen war nahezu ausgeschlossen. Und sie konnte kaum noch sprechen.

Der Ruhepol im Tor

In den Tagen von Frankreich ist sie jetzt aber wieder der Fels, an dem sich die Kolleginnen aufrichten können. 15 WM-Debütantinnen hat Voss-Tecklenburg ja mit dabei, da ist eine wie Schult Gold wert für die Teamhygiene abseits des Platzes und eine stabile Defensive in den Spielen. Ein kleines bisschen erinnert das an Manuel Neuer und dessen Lage vor fünf Jahren. Auch Neuer reiste mit einer Schulterverletzung zur WM in Brasilien und niemand wusste so genau: Hält die Schulter? Und wenn ja: Wie groß kann Neuers Wert für die Mannschaft sein?

Das Ergebnis ist bekannt, Neuer festigte bei diesem Turnier nicht nur seinen Ruf als modernster Keeper der Gegenwart, sondern führte Deutschland auch zum Titel. So weit ist es für die Frauen noch lange nicht. Aber die Gewissheit, dass da hinten im Tor immer noch eine steht, vor der die Gegner Respekt oder vielleicht sogar Angst haben, ist eine beruhigende.

Almuth Schult ist der Ruhepol in einer immer noch etwas wilden Mannschaft. Für die ganz großen Ziele sind solche Spielerinnen unverzichtbar.

Verwendete Quellen:

  • FAZ.net: "Wir Frauen werden oft vergessen"
  • Sportbuzzer.de: "Almuth Schult vom VfL wolfsburg: 'Ging mir noch nie so schlecht in meinem Leben'"
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