- Die Konflikte um Trinkwasser erreichen in Deutschland neue Dimensionen.
- Nach CORRECTIV-Recherchen steigt die Anzahl der Gerichtsverfahren zwischen Kommunen, Industrie und Agrarwirtschaft an.
- Die Bundesregierung hat bisher keinen Plan für Wasserkonflikte. Selbst aus der Koalition kommt Kritik.
In Deutschland landen Konflikte um die Nutzung von Wasser zunehmend vor Gericht: Die Anzahl der Prozesse um das öffentliche Gut hat in den vergangenen 10 Jahren in elf von 16 Bundesländern zugenommen.
In Bayern etwa haben sie sich von 17 auf 33 fast verdoppelt, in Baden-Württemberg stiegen sie von 6 auf 13 Verfahren. Das zeigt erstmals eine Recherche vom gemeinnützigen Recherchezentrum CORRECTIV. Eine Entwicklung, die angesichts der Klimakrise zu eskalieren droht. Denn schon jetzt wird Wasser in vielen Regionen Deutschlands knapp – und es ist unklar, wer darauf Anspruch hat, wenn der Regen wochen- oder monatelang ausbleibt. Doch die Bundespolitik bleibt untätig.
Politik und Behörden haben keinen konkreten Plan für die Wasserkrise
Die CDU sieht nun dringenden Handlungsbedarf bei der Koalition: "Ich erwarte von Bundesumweltministerin
Im vergangenen Sommer hat die Bundesregierung den Entwurf einer "Nationalen Wasserstrategie" vorgestellt. Ziel ist es, "Versorgungskonzepte zu entwickeln", die allerdings erst zwischen 2030 und 2050 umgesetzt werden sollen.
Auch innerhalb der Ampel-Koalition gibt es Kritik an dem Entwurf, der bis Ende des Jahres vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll. Konkrete Maßnahmen würden fehlen, die Umsetzung dauere zu lange, heißt es aus dem Umfeld des Bundesumweltministeriums.
Die Industrie pumpt täglich hunderte Millionen Liter Wasser ab
CORRECTIV hat erstmals rund 350 gerichtliche Verfahren aus der juristischen Datenbank Juris rund um Wasser ausgewertet. Juris sammelt die verfügbaren Urteile aller Gerichte Deutschlands. Bei den Prozessen in Hessen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt der vergangenen 20 Jahren klagen Unternehmen, Landwirtschaft oder Wasserverbände durchweg gegen Behörden. Dabei geht es meist um die Wassermengen, die sie laut behördlicher Erlaubnis entnehmen dürfen.
Die Recherche zeigt auch: Die größten Wasserverbraucher haben häufig auf Jahrzehnte genehmigte Rechte, bestimmte Wassermengen aus dem Boden oder auch Flüssen und Seen zu entnehmen. Teilweise sind diese Abmachungen vor 20 oder 30 Jahren in Kraft getreten – selten berücksichtigen sie die Klimakrise.
In Niedersachsen fürchten Landwirtinnen und Landwirte um das Wasser für ihre Felder. Hamburg Wasser, der Wasserversorger der Hafenmetropole, will immer mehr Wasser aus der Lüneburger Heide zapfen. Denn Hamburg wächst und damit auch die Zahl der durstigen Bürgerinnen und Bürger.
In Hessen klagt ein Naturschutzverband in zwei Verfahren gegen das Land. Der Vorwurf: die örtliche Trinkwasserversorgung pumpe zu viel Wasser aus den Böden. Die Wälder der Region lägen auf dem Trockenen.
Streit um Wasserkosten
Industrie und Landwirtschaft streiten sich mit den Behörden vor Gericht auch immer wieder um die Entgelte für das Wasser, also darum, ob und wie viel sie für die vielen Millionen Liter Wasser bezahlen müssen. Unsere Recherche zeigt, dass Unternehmen versuchen, die Kosten für die Wassernutzung zu drücken. So etwa in Nordrhein-Westfalen, wo 2013 zwei Unternehmen der Zement- und Kalkindustrie dagegen vorgingen, für von ihnen genutztes Wasser zu bezahlen.
Dabei haben die Großverbraucher kaum einen Anreiz, das kostbare Gut einzusparen: Landwirtschaft und Industrie in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen zahlen kein oder nur wenig Geld für ihren Wasserverbrauch – Bürgerinnen und Bürger dagegen schon. Die mit Abstand größten Verbraucher bekommen es fast umsonst. RWE nutzt für seine Braunkohle-Tagebauen rund 500 Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr – so viel, wie über 10 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Und noch dazu zahlt RWE dafür deutlich weniger, nach eigenen Angaben höchstens fünf Cent pro Kubikmeter. Ein immenser Verbrauch, der in den vergangenen Jahren nicht gesunken ist."Die größte Wassersparmaßnahme ist der Kohleausstieg", räumt RWE ein. Der kommt aber erst frühestens 2030. Auch die Braunkohlekonzerne im Osten, Mibrag und Leag, verbrauchen große Mengen Wasser – zwanzig Mal mehr, als die viel diskutierte Tesla-Fabrik.
Sparen müssen hingegen die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher. Seit Ende Mai ist es im Landkreis Böblingen in Baden-Württemberg strikt verboten, Wasser aus Flüssen und Bächen zu entnehmen. Nicht mal eine Gießkanne zu füllen, ist erlaubt. In Brandenburg will der Wasserverband Strausberg-Erkner künftig beschränken, wie viel Wasser Privathaushalte verbrauchen dürfen. Denn vor Ort verschärft Teslas Gigafactory das Wasserproblem der Region. Bürgerinnen und Bürger dürfen täglich pro Person nicht mehr als 100 Liter am Tag verbrauchen, also deutlich weniger als der bisherige Durchschnitt von 175 Litern. Bei Verstößen drohen Bußgelder. (Correctiv)
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