Berlin - Es ist ein klassischer Fehlstart in den Wahlkampf, den die SPD nach dem Ampel-Aus hingelegt hat. Erst nach einer quälend langen Debatte über die Einwechslung von Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat hat die SPD-Führung sich entschieden: Bundeskanzler Olaf Scholz, der die SPD schon 2021 aus einem Umfragetief geholt und zum Wahlsieg geführt hat, soll es noch einmal versuchen.
Diesmal startet er aber stark angeschlagen in die Aufholjagd - als Chef einer gescheiterten Regierung und mit einer Partei im Rücken, die sich in den letzten Tagen alles andere als einig gezeigt hat. Bei seinem ersten Wahlkampfauftritt 14 Stunden nach der Entscheidung in der K-Frage versuchte er mit einem Scherz Optimismus zu verbreiten: Die Wahl finde am Geburtstag von Parteichef
Wie ist die Ausgangslage für Scholz?
Sie könnte kaum ungünstiger sein.
Was ist mit dem Kanzlerbonus?
Von dem können Amtsinhaber im Wahlkampf oft profitieren, weil sie medial sehr präsent sind, Entscheidungen treffen und sich auf internationalen Bühnen profilieren können. Scholz ist nach dem Ampel-Aus aber Kanzler einer gescheiterten Regierung, die nur noch bedingt handlungsfähig ist, weil sie keine Mehrheit mehr im Parlament hat. Und große internationale Auftritte wird er abgesehen von einem EU-Gipfel am 19. und 20. Januar auch nicht mehr haben.
Was spricht überhaupt für Scholz' Kandidatur?
Er hat viel Regierungserfahrung. Vor seinen bisher drei Jahren als Bundeskanzler war er unter der CDU-Kanzlerin
Der Sicherheitspolitiker
Was spielt bei der Entscheidung noch eine Rolle?
Scholz ist der Kanzler und als solcher auch der "natürliche" Kanzlerkandidat der SPD. Er hat sich bereits im Sommer quasi selbst gekürt. "Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden", sagte er im Juli. Die Parteispitze stellte sich früh hinter ihn und bekräftigte diese Haltung nach dem Ampel-Aus und der Neuwahl-Entscheidung.
Für eine Einwechslung von Pistorius hätte Scholz zunächst auf seine Kandidatur verzichten müssen, was gegen seine eigene Überzeugung gewesen wäre. Auch die Parteispitze hätte über ihren Schatten springen und sich korrigieren müssen.
Ist die Debatte über die Kanzlerkandidatur der SPD nun beendet?
Das hoffen Scholz und die Parteiführung. "Jetzt geht es um Geschlossenheit und den gemeinsamen Weg und es geht darum, dass wir uns gemeinsam als SPD aus dieser Situation herauskämpfen", sagt Parteichef Lars Klingbeil. Garantiert ist das aber nicht. Sollten die Umfragewerte der SPD in den kommenden Wochen weiter sinken, könnte die Debatte vor dem Parteitag am 11. Januar neu aufflammen. Erst dann soll Scholz endgültig zum Kandidaten gekürt werden.
Gehen Scholz und die SPD jetzt beschädigt in den Wahlkampf?
Ja. Es ist der SPD nicht gelungen, die K-Frage im Einvernehmen zu klären. Das ist eine Bürde für den Wahlkampf. Pistorius bleibt außerdem zunächst der deutlich beliebtere Politiker, was Scholz durch den ganzen Wahlkampf begleiten könnte.
Gibt es überhaupt eine Chance für eine Aufholjagd?
Wenn man Scholz auf die schlechten Umfragewerte anspricht, gibt er stets den Hinweis auf das Wahljahr 2021. Damals lag er zweieinhalb Monate vor dem Wahltermin noch rund 16 Prozent hinter Armin Laschet von der CDU. Nach einem unangebrachten Lacher Laschets im Flutgebiet im Ahrtal kippte die Stimmung. Die SPD gewann noch knapp mit 25,7 zu 24,1 Prozent gegen die Union. Scholz wurde Kanzler der ersten Ampel-Koalition mit Grünen und FDP auf Bundesebene.
Diese Geschichte wird von ihm im Wahlkampf immer wieder zu hören sein. Die Ausgangslage war damals allerdings eine andere. Scholz war der Neue, auf den man noch neugierig sein konnte. Nun kennt man ihn deutlich besser und es gibt nach den Umfragen eine große Unzufriedenheit mit seiner Regierungsbilanz.
Mit welchen Themen will Scholz punkten?
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik und die Sozialpolitik werden eine große Rolle spielen: sichere Rente, angemessener Mindestlohn, Steuerentlastung von 95 Prozent der Bevölkerung. Und dann ist da noch der Ukraine-Krieg. Den nannte Scholz in seiner ersten Wahlkampfrede heute als erstes und warb für seinen "Kurs der Besonnenheit": Waffenhilfe für die Ukraine, aber keine Verwicklung der Nato in den Krieg. Und deswegen auch keine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper.
Was passiert, wenn Scholz scheitert?
Sollte Scholz sein Ziel verfehlen, die SPD wieder zur stärksten Partei zu machen, dürfte seine Amtszeit irgendwann im Frühjahr oder Frühsommer enden. Er wäre dann zwischen drei und dreieinhalb Jahren im Amt – nur zwei seiner sieben Vorgänger und einer Vorgängerin blieben kürzer im Kanzleramt: Ludwig Erhard (CDU, 1963 bis 1966) und Kurt Georg Kiesinger (CDU, 1966 bis 1969). Sollte die SPD als Juniorpartner in eine neue Regierung eintreten, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Scholz einen Schritt zurücktritt und Minister wird.
Was ist mit der Parteiführung?
Auch für sie könnte eine Wahlniederlage Konsequenzen haben, weil die Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken sowie Generalsekretär Matthias Miersch die Entscheidung für Scholz zu verantworten haben. Es kommt dann aber auf das Wahlergebnis an. Alles unter den 20,5 Prozent der SPD mit dem Kandidaten Martin Schulz 2017 wäre das schlechteste Ergebnis der SPD bei einer Bundestagswahl. Im Moment liegt die Partei in allen Umfragen mindestens 4,5 Prozentpunkte darunter.
Was wird nun aus Pistorius?
Obwohl die K-Debatte nachwirken wird, will die SPD-Führung mit dem beliebtesten Politiker Deutschlands im Wahlkampf punkten. Er werde eine "starke Rolle" spielen, sagt Klingbeil.
Pistorius selbst wird sich auch nicht verstecken. In dem Video, in dem Pistorius am Donnerstag seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur erklärte, sagt er sehr klar, dass er eine zweite Amtszeit als Verteidigungsminister anstrebe. "Vieles haben wir noch vor, um das Leben der Menschen in unserem Land zu verbessern", sagt er. Die zweite Amtszeit könnte auch eine unter einem CDU-Kanzler Friedrich Merz sein - als Vizekanzler mit Aussicht auf mehr bei der nächsten Wahl. © Deutsche Presse-Agentur
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