Keine Beschimpfungen, keine Angriffe unter der Gürtellinie: Das einzige TV-Duell zwischen US-Vizepräsident Mike Pence (Republikaner) und Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris (Demokraten) hob sich deutlich von der TV-Debatte zwischen Präsident Donald Trump und Joe Biden ab. Allerdings beantwortete das Duo viele Fragen nicht – und Pence gab einige gefährliche Thesen Trumps wieder.

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Im einzigen TV-Duell zwischen US-Vizepräsident Mike Pence (Republikaner) und seiner demokratischen Widersacherin Kamala Harris ist ein Eklat ausgeblieben. Im Gegensatz zur ersten Fernsehdebatte zwischen Präsident Donald Trump und Joe Biden gingen Pence und Harris respektvoll miteinander um und verzichteten völlig auf persönliche Angriffe unter der Gürtellinie.

Anders als Trump fiel Pence Harris nur ein paar Mal ins Wort. "Mr. Vice President, Ich rede", sagte die US-Senatorin daraufhin freundlich, aber bestimmt. Moderatorin Susan Page hatte das Duo schon zu Beginn zu einer "zivilisierten" Diskussion ermahnt.

Kamala Harris: "Größtes Scheitern einer US-Regierung in der Geschichte unseres Landes"

Harris griff vor allem die Corona-Politik der Regierung an und nannte bei jeder Gelegenheit die Zahl von mehr als 210.000 verstorbenen Amerikanern. "Das ist das größte Scheitern einer US-Regierung in der Geschichte unseres Landes", betonte Harris. Zudem warf sie der Trump-Administration vor, immer noch keinen Plan zur Bekämpfung der Pandemie zu haben. "Sie haben ihr Recht auf die Wiederwahl verwirkt", sagte sie.

Dagegen beharrte Pence darauf, dass der US-Präsident durch sein Handeln Hunderttausende Leben gerettet habe. Er warf Biden vor, dass er das im Februar erlassene Einreiseverbot Trumps gegen Bürger China als "xenophobisch" abgelehnt habe. Zudem attackierte der Vizepräsident Harris, weil sie das Vertrauen der Bürger in einen künftigen Corona-Impfstoff "untergrabe" – was sie bestritt.

Insgesamt war der als guter Debattierer geltende Pence deutlich besser vorbereitet als der Präsident bei seinem Auftritt. Mit ruhiger Stimme und durchaus präsidial im Stil konterte er die Attacken von Harris, die ihrerseits angriffslustiger wirkte, mehr lächelte und einen sympathischeren Eindruck hinterließ.

Auffallend war, dass beide bei vielen zentralen Fragen ausweichend antworteten. So drückte sich Pence um eine Aussage, warum die US-Bevölkerung der Corona-Politik der Regierung folgen sollte, wenn sich die Regierenden selbst nicht an Abstandsregeln uns Maskenpflicht halten. Harris wiederum wollte nicht verraten, ob sie den Supreme Court, das höchste Gericht der USA, im Falle eines Wahlsiegs vergrößern wolle, um die konservative Mehrheit zu schwächen. Beide wichen der Frage aus, ob sie China als Konkurrent, Widersacher, oder Feind betrachten.

Viele Antworten, ohne zu antworten

Das Duo verweigerte auch bei einer weiteren wichtigen Thematik die Auskunft. Ob es Vorkehrungen oder Absprachen hinsichtlich des hohen Alters ihrer Mitstreiter gebe? Biden, der schon heute manchmal ein wenig tattrig wirkt, wäre bei der Amtseinführung 78, Trump 74 Jahre alt. Immer wieder war zuletzt die Frage aufgekommen, was passiert, wenn einer der beiden im Amt ernsthaft krank wird oder stirbt, zumal Trump gerade mit dem Coronavirus infiziert ist. Pence und Harris, die dann ins höchste Amt nachrücken könnten, trugen nichts zur Klarstellung bei. Wahrscheinlich, um jeden Eindruck der Schwäche bei ihren Parteifreunden zu vermeiden.

Trotz der inhaltlichen Leerstellen wurden die politischen Unterschiede dieses Mal viel deutlicher als bei dem Schreikrampf, den sich der Präsident und Biden geliefert hatten. Harris will (mit Biden) mehr für Umwelt- und Klimaschutz tun, sie will die Obamacare-Krankenversicherung erhalten, die Polizei reformieren und Marihuana entkriminalisieren, das Vertrauen der Alliierten in die USA wiederherstellen und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch erhalten.

Pence lehnt mehr Steuern, mehr Regulierungen, mehr Kosten für die Bürger kategorisch ab. Er leugnete anders als Harris, die die erste schwarze und weibliche Vizepräsidentin werden könnte, systemischen Rassismus in den USA, insbesondere bei der Polizei. Darüber hinaus bezeichnete sich Pence als "Pro Life"-Anhänger, der Schwangerschaftsabbrüche ablehnt. Was konkrete Vorhaben betrifft, blieb er deutlich unkonkreter als Harris.

Pence mit Attacke auf die Presse

Das lag auch daran, weil Pence viel damit zu tun hatte, den Präsidenten gegen Anschuldigungen zu verteidigen. An denen in seinen Augen natürlich überhaupt nichts dran war. Dass Trump im ersten Duell eine Neonazi-Gruppierung nicht klar verurteilt, sondern sogar ermutigt hatte "bereitzustehen"? Die darauf folgende Empörung war in den Augen von Pence vor allem Schuld der Presse, die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen habe. Trump habe den "KKK und Neonazis wiederholt verurteilt", so der Vizepräsident.
Auch wenn Pence, der den netten ultrakonservativen und streng religiösen Onkel gab, vom Stil fast nichts mit Trump verbindet, so nahm er neben der pressefeindlichen Rhetorik eine weitere gefährlichen Erzählung des Amtsinhabers auf: dass durch die Briefwahl "massiver Wahlbetrug" drohe.

Anders als Trump verzichtete Pence auf allzu scharfe Rhetorik. Anstatt auf der Gegenseite "radikale Linke" oder gar "Kommunisten" zu wittern, sagte der Vizepräsident mit Verweis auf einen Bericht des Magazins "Newsweek", Harris sei "sei das liberalste Mitglied des Senats, liberaler als Bernie Sanders." Liberal ist vermutlich das kraftvollste Schimpfwort, das das konservative Amerika für die Anhänger der Demokraten kennt.
Einen ihrer härtesten Treffer landete Harris wiederum, als sie eine Umfrage zitierte, wonach viele Staatschefs mehr Vertrauen in den chinesischen Präsidenten Xi Jinping hätten als in Trump. "Wegen der verfehlten Führung dieser Administration", betonte Harris. Es war einer der wenigen Momente, in denen der sonst gut aufgelegte Pence in einem Duell ohne klaren Sieger gar nichts erwiderte.

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