Sachsen wählt in aufgewühlten Zeiten einen neuen Landtag. Die gesellschaftlichen Gräben sind tiefer geworden, die bisherige Koalition ist zerrüttet. Doch auch nach der Wahl dürfte es turbulent weitergehen.
Als die zwei deutschen Staaten vor gut 35 Jahren zusammenfanden, gab es im Westen und teils auch im Osten eine Erwartung: Dass der Osten dem Westen nacheifern, dass er ihm sich angleichen würde. Doch daraus wurde nichts.
Der Soziologe Steffen Mau hat vor kurzem in seinem Buch "Ungleich vereint" festgestellt: Die ostdeutschen Bundesländer bleiben anders. Statt sich anzugleichen, bestehen in Ost und West zwei Teilgesellschaften fort. Es gebe eigene Mentalitäten und Sozialstrukturen, einen "eigenen ostdeutschen Entwicklungspfad".
Vielleicht lässt sich dieser Entwicklungspfad nirgendwo besser beobachten als in Sachsen.
Verstärkte Polarisierung in Sachsen
Politisch stach der Freistaat schon immer heraus. Die CDU ist hier seit der Wiedervereinigung so dominant wie in keinem anderen Land. Aber auch die extreme Rechte hat in vielen Landesteilen Wurzeln geschlagen. Möglicherweise wird die Landtagswahl am 1. September diese Entwicklung noch einmal befeuern.
Die gesellschaftliche und politische Polarisierung hat sich nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Erik Vollmann verstärkt. "Es gibt verschiedene Blöcke, die nicht mehr miteinander zu reden scheinen", sagt Vollmann, der an der Technischen Universität Dresden arbeitet, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Krisen, Konflikte und die politischen Reaktionen darauf haben in den vergangenen zehn Jahren viele Menschen auf die Straßen, in unterschiedliche Lager und zum Teil in die politische Verbitterung getrieben: die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energieversorgung. Vor allem aber Flucht und Zuwanderung.
CDU und AfD betonen Thema Migration
Das Thema beherrscht auch den sommerlichen Wahlkampf zwischen Görlitz, Plauen und Leipzig. In einer repräsentativen Umfrage für das ZDF-Politbarometer gaben 25 Prozent der Befragten Migration als wichtigstes Thema an.
Davon will die AfD profitieren, die schon bei der Europawahl stärkste politische Kraft im Osten wurde. Ihren Spitzenkandidaten Jörg Urban stellt sie als "unseren Ministerpräsidenten für Sachsen" vor. Die Rechtsaußen-Partei fordert einen "Aufnahmestopp" für Asylbewerber oder ein "Begrüßungsgeld" von 5000 Euro für Kinder von Eltern mit alleiniger deutscher Staatsbürgerschaft.
Um Platz eins bei dieser Landtagswahl liefert sich die AfD einen Zweikampf mit der CDU. Die dauerregierende Partei von Ministerpräsident
SPD, Grüne und Linke: Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde
Die politische Konkurrenz kämpft dagegen mehr oder weniger um ihre Existenz auf Landesebene. Laut Politikwissenschaftler Vollmann macht sich die Schwäche der schon länger etablierten Parteien in Sachsen besonders bemerkbar. Denn die Parteien haben dort traditionell wenig Mitglieder. "Die zunehmende Parteienverdrossenheit trifft auf eine dünne Personaldecke."
Der FDP etwa droht in Sachsen der Status einer Splitterpartei: Sie wird in Wahlumfragen gar nicht mehr einzeln aufgeführt.
Auch die Linke muss fürchten, erstmals aus dem sächsischen Landtag zu fliegen. Ihre Hoffnungen ruhen auf dem Gewinn von zwei Direktmandaten – das könnte für den Wiedereinzug reichen. Spitzenkandidatin Susanne Schaper, eine Krankenschwester aus Chemnitz, setzt auf höhere Steuern für Reiche und einen Mietendeckel.
Doch soziale Ungleichheit treibt gerade eher wenige Wählerinnen und Wähler in Sachsen um. Das merkt auch die SPD. Die Kanzlerpartei hat mit Landessozialministerin Petra Köpping und Wirtschaftsminister Martin Dulig profilierte Köpfe an der Spitze. Mit Themen wie Pflege- und Gesundheitspolitik oder Mindestlohn dringen die Sozialdemokraten in der aufgeheizten Debatte aber kaum durch.
Strategische Landtagswahl – aber für wen?
Auch die Grünen dürften schon froh sein, wenn ihnen der Wiedereinzug in den Dresdner Landtag gelingt. Ein Spitzentrio um Justizministerin Katja Meier wirbt für Weltoffenheit und Investitionen in den Klimaschutz, um den Wirtschaftsstandort zu stärken. Die Grünen führen aber vor allem einen Abwehrkampf. Sie sind in Sachsen für viele Menschen zum Feindbild geworden – Beleidigungen, Angriffe auf Menschen und Parteibüros inklusive.
Mit Verweis auf strategische Gründe versuchen sich die Parteien der demokratischen Mitte gegenseitig die Wählerinnen und Wählern abzuwerben. Nur eine starke CDU könne die AfD aufhalten, heißt es von den Christdemokraten. Nur wenn es möglichst viele kleinere Parteien in den Landtag schaffen, sei eine Mehrheit der AfD zu verhindern, sagen dagegen SPD, Grüne und Linke.
CDU, SPD und Grüne regieren bisher in der "Kenia-Koalition" gemeinsam den Freistaat. Doch das Verhältnis vor allem zwischen CDU und Grünen gilt als zerrüttet. "Kenia" war vor fünf Jahren alles andere als ein Wunschbündnis, die politischen Gräben zwischen den Regierungspartner haben sich seitdem vertieft. "Die Landesregierung befindet sich schon seit zwei Jahren im Wahlkampf gegeneinander", sagt Erik Vollmann.
Doch auch die Suche nach einer neuen Regierungsmehrheit im sächsischen Landtag wird sich schwierig gestalten: CDU-Ministerpräsident Kretschmer hat eine Zusammenarbeit mit AfD, Linken und Grünen mehr oder weniger ausgeschlossen.
Eine Wunschkoalition wird aber auch die nächste Landesregierung kaum sein. "Irgendeinen unbequemen Partner wird sich Michael Kretschmer aussuchen müssen", sagt Vollmann.
BSW: Neu ins Parlament – und gleich in die Regierung?
Dieser unbequeme Partner könnte die Sahra-Wagenknecht-Partei BSW sein. Sie tritt bei dieser Landtagswahl erstmals an und kann auf den dritten Platz hinter CDU und AfD hoffen.
Das BSW hat mit einer Bedingung aufhorchen lassen: Wagenknecht will eine Landesregierung nur mittragen, wenn diese sich auf Bundesebene gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und für eine diplomatische Lösung des russischen Kriegs ausspricht.
Das Thema hat mit der Landespolitik wenig zu tun. Trotzdem trifft das BSW damit einen Nerv. Der Krieg in der Ukraine rüttle die Menschen in Ostdeutschland anders auf als im Westen, sagt Politikwissenschaftler Vollmann. "Er trifft auf eine andere ökonomische Grundlage. Waffenlieferungen an die Ukraine oder Sanktionen gegen Russland sehen viele Menschen kritisch – und sie haben das Gefühl, mit ihren Sorgen nicht gehört zu werden."
Das BSW und seine Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann stehen vor einem großen Sprung, denn möglicherweise werden sie auch gleich für eine Regierungsbildung gebraucht. Ministerpräsident Kretschmer hat jedenfalls nicht ausgeschlossen, mit dem BSW zu koalieren. Die Partei müsste dann schon acht Monate nach ihrer Gründung beweisen, wie sie alles besser machen will.
Sicher ist nur: Auch nach der Landtagswahl wird es in Sachsen politisch turbulent weitergehen.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Erik Vollmann, Technische Universität Dresden
- ZDF.de: ZDF-Politbarometer Extra: Wer gewinnt in Sachsen und Thüringen?
- Steffen Mau: Ungleich vereint – Warum der Osten anders bleibt, Edition Suhrkamp
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