Die SPD wurde regelrecht abgestraft, die CDU kommt gerade so mit einem dunkelblauen Auge davon. Das heißt zugleich, dass die Diskussion um die Zukunft der "GroKo" weitergehen wird. Die Grünen hingegen feiern den nächsten großen Wahlerfolg in wenigen Wochen. Diese Schlüsse lassen sich aus der Landtagswahl in Hessen ziehen.

Eine Analyse

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Mit großer Spannung wurde das Ergebnis der letzten Landtagswahl dieses Jahres erwartet. Schließlich haben Abstimmungen in den Bundesländern immer auch Auswirkungen auf den Rest des Landes – vor allem in so stürmischen politischen Zeiten.

Diese Lehren lassen sich aus der Hessen-Wahl ziehen

1. Atempause für Angela Merkel

Viel wurde zuvor über Konsequenzen für die CDU spekuliert. 2005 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wegen einer verlorenen Wahl in Nordrhein-Westfalen Neuwahlen eingeläutet. Soweit kommt es dieses Mal nicht. Die Christdemokraten haben in Hessen zwar dramatisch verloren. Ministerpräsident Volker Bouffier verkündete am Abend aber auch, die wichtigsten Wahlziele habe man erreicht: Seine Partei ist stärkste Kraft – und Bouffier wird voraussichtlich auch die nächste Landesregierung anführen.

Das verschafft auch Kanzlerin Angela Merkel Luft, schließlich gilt Bouffier als ihr Vertrauter und Unterstützer. "Die bundespolitischen Konsequenzen für Merkel werden sich im Rahmen halten", sagt Oskar Niedermayer, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus der Führungsriege ihr beim Parteitag den Vorsitz streitig machen wird."

2. Andrea Nahles weiter unter Druck

Anders sieht es für die SPD aus. Hessen war früher eine Hochburg der Sozialdemokraten, zudem stand mit Thorsten Schäfer-Gümbel ein im Land bekannter und relativ beliebter Kandidat an ihrer Spitze. Trotzdem muss die SPD wieder einen Verlust von rund zehn Prozent verschmerzen. Die Partei stecke in einer "tiefen Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise", räumte die hessische SPD-Generalsekretärin Nancy Faeser ein.

"Nach meiner Auffassung kann eine Partei als Volkspartei gelten, wenn sie die Möglichkeit hat, unter ihrer Führung eine Regierungsmehrheit zu bilden. Der SPD gelingt das vielerorts nicht mehr", sagt Politikwissenschaftler Niedermayer. SPD-Chefin Andrea Nahles hat diese Wahl sicherlich keine Erleichterung verschafft. Die Diskussion über die "GroKo" in Berlin dürfte weitergehen.

3. Die AfD hat ihr Wachstum abgeschlossen

Die AfD schließt gewissermaßen ihre Blitzkarriere ab: Mit dem Wiesbadener Landtag sitzt sie nun in allen 16 Landesparlamenten. Das hat sie Grünen, FDP und Linken voraus. Allerdings hat die AfD ihr hochgestecktes Ziel "15 Prozent plus X" in Hessen nicht erreicht. Das Flüchtlingsthema spielt zwar weiterhin eine Rolle – aber nicht mehr eine so dominante wie noch vor zwei Jahren. Offenbar hat die Rechtspartei die Grenzen ihres Wachstums erreicht.

"Die AfD und die Grünen stellen in gesellschaftspolitischen Fragen zwei entgegengesetzte Pole dar. Das macht sie derzeit erfolgreich, hat aber auch zur Folge, dass sie bei den Wahlergebnisse an eine bestimmte Decke stoßen", sagt Oskar Niedermayer. "Bei den Grünen liegt diese Decke höher als bei der AfD."

4. Die Grünen sind so bürgerlich wie nie

Neben der AfD sind die Grünen die großen Gewinner dieser Wahl. Die Öko-Partei setzt ihren Höhenflug fort – und das in einer besonderen Konstellation: Als sie 2013 eine Koalition mit der konservativen Hessen-CDU bildeten, galt das als Wagnis. Die Wähler haben es ihnen aber offenbar nicht nur verziehen: Aus dem schwarz-grünen Bündnis geht der kleinere Partner gestärkt hervor.

Laut einer repräsentativen Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der ARD fänden 75 Prozent der Hessen es gut, wenn die Grünen an der Landesregierung beteiligt wären. Offenbar hat sich auch die Partei mit der Konstellation arrangiert: Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour sagte, seine Partei solle das schwarz-grüne Bündnis auch bei nur einer Stimme Mehrheit fortsetzen.

5. Mehrheiten nur jenseits der politischen Lager

Möglicherweise bieten Koalitionen mit der Union für die Grünen in Zukunft öfter die wichtigste Machtperspektive: Vor der Wahl hatte Hessen darüber diskutiert, ob SPD, Grüne und Linke nach dem missglückten Versuch von 2008 erneut ein Bündnis wagen würden. Die Frage stellt sich nun nicht mehr, denn eine Mehrheit haben sie knapp verpasst.

Dabei waren die Bedingungen besser als in anderen Bundesländern: Die SPD ist in Hessen tief verwurzelt, die Grünen dort nicht erst seit ihrem bundespolitischen Höhenflug stark. Auch die Linke hat ein für westdeutsche Verhältnisse gutes Ergebnis erzielt.

Für Rot-Rot-Grün hat es trotzdem nicht gereicht – ebenso wenig allerdings für Schwarz-Gelb: Wenn die AfD in einen Landtag einzieht, sind politische Mehrheiten häufig nur noch über die früheren politischen Lagergrenzen hinweg möglich.

Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Oskar Niedermayer, Freie Universität Berlin
  • Frankfurter Rundschau (FR.de): Newsticker zur Landtagswahl
  • tagesschau.de: Umfragen zu den Grünen
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