Ursula von der Leyen ist die erste Frau, die es an die Spitze der EU-Kommission geschafft hat. Mit hauchdünner Mehrheit wurde die vom Europäischen Rat nominierte Deutsche im EU-Parlament zur Kommissionspräsidentin gewählt. Was denkt man im Ausland über die Personalie? Die internationalen Pressestimmen im Überblick.

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Dass Ursula von der Leyen von den Staats- und Regierungschefs für den Posten als EU-Kommissionspräsidentin nominiert wurde und nicht etwa einer der Spitzenkandidaten, sorgte für Missstimmung im Parlament.

So dürfte auch der äußerst knappe Ausgang ihrer Wahl am Dienstag zu erklären sein. Von der Leyen erhielt 383 Stimmen - nur neun Stimmen mehr, als sie zur absoluten Mehrheit gebraucht hätte.

Die 16 deutschen EU-Abgeordneten der SPD stimmten gegen die bisherige CDU-Verteidigungsministerin - das dürfte noch zu Diskussionen innerhalb der Berliner GroKo sorgen. Auch international gehen die Meinungen über den Ausgang der Wahl für das höchste Amt in der Europäischen Union auseinander.

Frankreich

"Le Monde": Vom Schleudersitz zur EU-Kommissionspräsidentin

"Es gibt nichts, was eine politische Führungsperson, die in Ungnade zu fallen schien, daran hindert, eine unerwartete Rückkehr zum Ruhm zu genießen. Ministerin mit kritisierter Bilanz, umstrittener Redlichkeit und veränderter Popularität - diejenige, die einst als Kandidatin für die Nachfolge von (Bundeskanzlerin) Angela Merkel galt, schien auf einem Schleudersitz zu sitzen.

Sie ist heute Präsidentin der Europäischen Kommission und die erste Frau, die dieses Amt innehat, das seit Walter Hallstein (1958-1967) nicht mehr von einem Deutschen besetzt war."

Österreich

"Der Standard": Knapper Sieg ist Ausdruck des schwachen Zustands Europas

"Ursula von der Leyen hat es also doch noch geschafft. […] Knapp. Sogar 'arschknapp', wie Bundespräsident Alexander van der Bellen seinen Wahlsieg über den FPÖ-Gegenkandidaten Norbert Hofer 2016 einstufte. […] Es ist das direkter Ausdruck, in welch schwachem Zustand Europa politisch ist. Die sprichwörtlichen Proeuropäer sind nicht mehr selbstverständlich in der großen Überzahl, wie manche meinen, auch wenn sehr viel auf dem Spiel steht."

Schweiz

"Neue Zürcher Zeitung": Brüssel kann von der 'postnationalen Deutschen' profitieren

"Sie ist eine in der Wolle gefärbte Europäerin und wurde wohlwollend auch schon als 'postnationale Deutsche' bezeichnet. Davon zeugen ihre weltläufige Biografie, aber auch ihre kulturelle und gesellschaftliche Gewandtheit, die sie in verschiedensten Umgebungen mit unterschiedlichen Menschen einbringen kann.

Sie ist ein großes Talent, wenn es darum geht, Politik zu erklären, medial darzustellen und begreifbar zu machen. Davon kann Brüssel zweifellos profitieren. Auch wenn manchen ihr wie 'ins Gesicht gemeißeltes Strahlen' auf die Nerven geht – vielleicht hellt es die verblassten europäischen Sterne etwas auf."

"Der Tages-Anzeiger": Von der Leyen muss Brückenbauerin sein

"Ursula von der Leyen wird als Brückenbauerin gefragt sein. Die Zeiten, in denen die EU von einer informellen großen Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten gesteuert wurde, sind vorbei. Die neuen Mehrheiten sind fragil. Ursula von der Leyen sieht sich mit Maximalforderungen konfrontiert, hat in ihrer Bewerbungsrede viel versprochen. Umsetzen kann sie jedoch nichts, wenn Mitgliedsstaaten und EU-Parlament sie nicht unterstützen. Kompromiss scheint jedoch zum Schimpfwort zu werden. Ohne tragfähige Kompromisse droht der Stillstand und Ursula von der Leyen eine Kommissionspräsidentin ohne Macht und Kraft zu werden."

Italien

"Corriere della Sera": Von der Leyen kann stark werden

"Es ist alles wie immer geblieben. Von der Leyen wurde mit der üblichen Methode gewählt. [...] Die einzige kleine Innovation wurde abgelehnt - nämlich dem Wähler den Spitzenkandidaten bekannt zu machen. Der Eindruck bleibt, dass die Wahl ein wenig transparentes Manöver hinter verschlossenen Türen war. Paradoxerweise hat diese veraltete Methode aber ein politisches Ergebnis gebracht, das zur Stärke der Frau werden kann, die dem Luxemburger Jean-Claude Juncker folgt. Ursula von der Leyen hat kein kleines Land hinter sich [...]. Daraus kann sie Führungsstärke gewinnen. Sie wird möglicherweise autonomer sein als viele ihrer Vorgänger. [...] Und es darf natürlich nicht unterschätzt werden, dass erstmals eine Frau an die Spitze der Kommission gewählt wurde. Auch das wird auf jeden Fall zur Stärke beitragen."

"La Repubblica": SPD stürzt sich erneut in Abgrund

"Traurig, einsam und final. Das, was für die SPD eine wilder und trotziger Schützengraben sein sollte - die Weigerung, für Ursula von der Leyen zu stimmen - hat sich erneut in einen Abgrund verwandelt, in den sich eine Partei in totaler Konfusion mit dem Kopf voran gestürzt hat.

Damit riskiert sie in Berlin eine schwerwiegende Regierungskrise. Weil sie keine Spitzenkandidatin war, haben die 16 neugewählten SPD-Parlamentarier in Straßburg ihr Nein für VDL angekündigt. Die Anzeichen des Sturms ignorierend, die sich auf den Bänken neben ihnen zusammengebraut hatten."

Belgien

"De Standaard": Zustimmung kam nicht von Herzen

"Die Deutsche Ursula von der Leyen hat dann doch eine Mehrheit der Europaabgeordneten überzeugt, ihrer von den EU-Staats- und Regierungschefs eingefädelten Nominierung zuzustimmen. Von Herzen kam das nicht und der Schatten der Hinterzimmerpolitik, die dem vorausging, wird noch lange über ihrer Präsidentschaft liegen. [...]
Das gebotene Spektakel wird nur wenige Europäer davon überzeugt haben, dass die Führer der EU ihre Botschaft gehört und verstanden haben. Aber es scheint keine realistische Alternative zu der mühsamen Plackerei zu geben, die europäischen Entscheidungen vorausgeht. Wir müssen mit diesem Europa zurechtkommen. Ein anderes gibt es nicht."

Niederlande

"De Volkskrant": Politische Zeitbombe wurde entschärft

"Das Wahlergebnis ist ein Rückschlag für von der Leyen. Eine knappe Mehrheit, die möglicherweise mit Hilfe von Euroskeptikern und bald abziehenden britischen Parlamentariern erreicht wurde, schwächt ihre Ausgangsposition. [...]
Wäre sie abgelehnt worden, wäre es zu einem 'Krieg der Institutionen' zwischen den Regierungschefs (die von der Leyen nominiert hatten) und dem Parlament gekommen - mit für die EU lähmenden Sommerwochen voller Krisengesprächen und einem Sonder-EU-Gipfel. Der Druck der Hauptstädte auf die Parlamentarier in den letzten Tagen und die Versprechungen von der Leyens an das Parlament haben diese politische Zeitbombe entschärft."

Dänemark

"Jyllands-Posten": Von der Leyens Kompromisskunst ist nun gefragt

"Ursula von der Leyen ist eine gute Wahl. Sie ist kompetent, zuverlässig und steht in der deutschen Tradition der Kunst des Kompromisses. Das kann die EU mehr denn je gebrauchen. Die Wahl von der Leyens ist eine unschöne Vorstellung gewesen. Dass sie nur mit einer knappen Mehrheit gewählt wurde, sagt weniger über sie und ihre Qualifikationen, als mehr über die tiefe Zersplitterung der EU-Länder aus. [...]

Grotesk war der Unwille der deutschen Sozialdemokraten, für ihre Landsfrau zu stimmen. Es verwundert nicht, dass einem die SPD in diesen Jahren so vorkommt, als wäre sie auf einem selbstzerstörerischen Kurs."

Tschechien

"Lidove noviny": Von der Leyen hat es allen recht gemacht

"Als Ursula von der Leyen um Unterstützung warb, erschien sie nicht als Siegerin der Wahl, sondern vielmehr als diejenige, die sich bei allen einschmeicheln muss. [...]

War das nur Teil des Rituals? Oder gibt dies bereits ein Bild der künftigen Ausrichtung der EU ab? Das ist schwer zu sagen. Wer über von der Leyen nun schon den Stab bricht, sollte berücksichtigen, dass in Deutschland bald eine Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Postkommunisten regieren könnte. Daneben würde die neue EU-Kommissionschefin wie ein rationales Bollwerk gegen ein radikales Deutschland wirken."

Slowakei

"Pravda": Von der Leyen ist keine schlechte Wahl

"Ursula von der Leyen ist nämlich gar keine so schlechte Wahl. Zwar hat sie keine Erfahrung mit dem Führen einer Regierung, dafür kennt sie sich gut in den internationalen Beziehungen aus und ist vor allem eine überzeugte Europäerin. Für manche sogar zu überzeugt, denn sie würde den Prozess der europäischen Einigung am liebsten bis zu Vereinigten Staaten von Europa durchziehen.

Aus der Sicht der Visegrad-Gruppe steht von der Leyen Mitteleuropa sicher näher als der Niederländer Frans Timmermans. Doch indem Orban und Kaczynski den niederländischen Sozialisten ablehnten, haben sie sich nicht sehr geholfen. Denn von der Leyen wird die europäischen Werte ebenso entschlossen durchsetzen wie er und wird wohl kaum nachgeben, wenn es um den Rechtsstaat in beiden Ländern geht."

Russland

"Kommersant": Ursula von der Leyen ist für einen Dialog mit Russland

"Zur Außenpolitik hat sich Ursula von der Leyen praktisch gar nicht geäußert. Aber ihre Position zu Russland hat sie schon im Frühjahr 2018 formuliert. Damals sagte Frau Ursula von der Leyen in einem Interview der "Bild am Sonntag", dass der Kreml Schwäche nicht verzeiht und ein Feindbild braucht, während die "freie westliche Gesellschaft" in dieser Hinsicht kein Verlangen zeigt. Sie hat auch gesagt, dass es wichtig sei, offen zu bleiben für einen Dialog, aber dabei gleichzeitig seinen Standpunkt zu verteidigen.

Ihre damals häufig in den Medien zitierte Formulierung, mit Moskau aus einer Position der Einheit und Stärke heraus den Dialog zu führen, hat in Russland wilde Reaktionen ausgelöst. Der Verteidigungsminister der Russischen Föderation, Sergej Schoigu, meinte damals, dass die Kollegen aus Deutschland lieber mal '200 Jahre' lang schweigen sollten. 'Vielleicht sollten sie auch einmal bei ihren Großvätern nachhorchen, was es heißt, mit Russland aus einer Position der Stärke zu sprechen. Sie können das wahrscheinlich erklären', warnte er."

Zusammengestellt von jwo, mit Material dpa

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