Bundesbank und Wirtschaftsweise warnen vor einem Arbeitsmarkt-Instrument, das es fast überall gibt - sogar in den USA: der Mindestlohn. Die SPD fordert ihn in den Koalitionsverhandlungen, die Union tut sich damit schwer. Welche Auswirkungen hat der Mindestlohn in anderen Staaten? Und wie hoch ist er?

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Was unterscheidet eine Friseurin in New Orleans von einer Friseurin in Chemnitz? Der eine hat Anspruch auf einen Mindestlohn, die andere nicht.

Bereits 1938 wurde in den USA ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der damals 0,25 Dollar pro Stunde betrug. Seitdem gibt die Bundesregierung einen nationalen Mindestlohn vor, von dem die einzelnen Bundesstaaten per Regierungsbeschluss nach oben oder unten abweichen können. Die Folge ist, dass es heute keinen einheitlichen Mindestlohn in den USA mehr gibt, sondern große regionale Unterschiede.

Mindestlohn auf amerikanisch: 5,37 Euro müssen reichen

Die derzeitige Vorgabe des Bundes liegt bei 7,25 Dollar (5,37 Euro) und soll, wenn es nach Präsident Obama geht, auf 9,00 Dollar erhöht werden. Die höchsten regulären Mindestlöhne gibt es mit 9,19 Dollar im Bundestaat Washington, die niedrigsten mit 5,15 in Georgia und Wyoming. Ein Vergleich mit der Situation in Deutschland ist schwierig, weil die Forderung der SPD nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro fast 40 Prozent über dem Mindestlohn in den USA liegt und damit zu hoch ist, um die USA als Beispiel für positive oder negative Prognosen heranzuziehen.

Deutschland ist als Land ohne feste Lohnuntergrenze ein echter Sonderfall, auch innerhalb der EU. 21 der 28 EU-Staaten haben einen Mindestlohn, der allerdings in Europa so starken Schwankungen unterliegt, wie zwischen den einzelnen Bundesstaaten in den USA.

Wie Gott in Frankreich: Mindestlohn von 9,43 €

In Frankreich wurde bereits 1950 ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, der seit 1970 die Bezeichnung "Salaire minimum interprofessionnel de croissance" (SMIC) trägt und in der Verfassung und im Arbeitsrecht verankert ist. Die Höhe des Bruttomindestlohnes wird einmal jährlich an die gesamtwirtschaftliche Lage sowie nach politischen Vorgaben, also durch den Staat, angepasst. Der Bruttomindestlohn beträgt aktuell 9,43 Euro pro Stunde. Das Einkommen von mindestens 13 Prozent aller französischen Arbeitnehmer wird durch den französischen Mindestlohn gestützt.

Der SMIC solle auch Menschen im unteren Lohnbereich "eine Kaufkraft-Garantie und eine Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung der Nation" garantieren, heißt es im Gesetzbuch. Die Schattenseite der "Kaufkraft für alle" ist allerdings eine hohe Jugendarbeitslosigkeit von fast 25 Prozent. Trotz Abschlägen für Berufseinsteiger machen Experten dafür auch den Mindestlohn von immer noch 7,45€ verantwortlich.

Großbritannien: Empfehlung einer unabhängigen Kommission

Auch in Großbritannien gibt es einen gestaffelten Mindestlohn, der 1999 von der Tony Blair-Regierung eingeführt worden ist. Die Mindestlöhne betrugen 2007 5,52 Pfund (7,60 Euro) ab 22 Jahren, 4,60 Pfund (6,33 Euro) für 18- bis 21-Jährige und 3,40 Pfund (4,68 Euro) für 16- bis 17-Jährige. Im Gegensatz zu Frankreich wird der Mindestlohn in Großbritannien von einer unabhängigen Kommission maßgeblich beeinflusst, wie sie jetzt offenbar auch die künftige große Koalition für Deutschland plant.

Die sogenannte "Low Pay Commission" ist unabhängig und besteht aus je drei Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Gewerkschaften. Einmal jährlich gibt sie einen Bericht heraus, in dem die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Gesamtwirtschaft und den Niedriglohnsektor untersucht werden. Außerdem geben die Experten eine Empfehlung für die künftige Höhe des Mindestlohnes, auf deren Grundlage dann die Regierung zum Oktober eines jeden Jahres den neuen (meist höheren) Mindestlohn berechnet.

Irland: branchenspezifische Regelungen lassen Löhne sinken

Bis Anfang 2000 galt in Irland ein ähnliches Modell wie derzeit in Deutschland. Branchenspezifische Mindestlöhne sollten Lohn-Dumping verhindern - und führten doch zu teilweise sehr niedrigen Löhnen. Seit 1. April 2000 gilt in Irland ein einheitlicher, staatlich festgelegter, gesetzlicher Mindestlohn mit Abschlägen von 10 bis 30 Prozent für Berufseinsteiger und Praktikanten, der Anfang 2013 8,65 Euro betrug.

Über die Auswirkungen für den Arbeitsmarkt sind sich die Experten nicht einig. Das liegt auch daran, dass einige wenige Betriebe besonders stark von der Einführung des Mindestlohns betroffen waren, sich deren veränderte Personalpolitik aber im großen Ganzen nur sehr begrenzt bemerkbar machte. Flächendeckende negative Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sind offenbar nicht zu erkennen.

Und in Deutschland?

Richtig ist, dass das bisherige, von der alten schwarz-gelben Koalition favorisierte Modell von branchenspezifischen Mindestlöhnen international nicht sehr oft zur Anwendung kommt. Was auch darin begründet ist, dass die Grenze dessen, was ein menschenwürdiger Lohn ist, nicht durch den ausgeübten Beruf verändert wird. Oder anders gesagt: eine Friseurin braucht nicht weniger zum Leben als ein Nachtwächter.Richtig ist aber auch, dass die Forderung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro, wie ihn die SPD favorisiert, in Europa zur Obergrenze der gezahlten Löhne gehören würde. Nur Irland, die Niederlande, Belgien, Frankreich und Luxemburg zahlten dann mehr. Ohne Ausnahmeregeln drohen zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit Arbeitsmarkt-Risiken für Berufseinsteiger und junge Beschäftigte.Eine Mindestlohn-Kommission mit Vertretern aus der Wirtschaft, der Arbeitnehmer und unabhängigen Experten, auf die sich die künftigen Koalitionspartner offenbar jetzt geeinigt haben, könnte dafür sorgen, dass die Höhe des Mindestlohns nicht auf Kosten von Arbeitsplätzen geht. Wenn sie allerdings das erste Mal nach der Einführung einer politisch festgelegten Grenze von 8,50 Euro tagt, könnte es für etliche Arbeitsplätze bereits zu spät sein.

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