- Janine Wissler ist Co-Parteichefin der Linken und bestreitet zusammen mit Dietmar Bartsch die Spitzenkandidatur der Partei für die Bundestagswahl.
- Zuletzt kämpfte die Linke mit schwachen Umfrageergebnissen und internem Streit.
- Im Interview spricht Wissler unter anderem über die Querelen um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine.
Frau
Janine Wissler: Wie meinen Sie das?
Sie heißen eigentlich Wißler.
Ach so. Im digitalen Zeitalter bringt das Eszett eine Menge Nachteile mit sich, angefangen bei der Mailadresse. International gibt es den Buchstaben auf Tastaturen nicht oder er wird im Ausland manchmal für ein großes B gehalten. Es war also eher eine pragmatische Entscheidung, meinen Nachnamen mit Doppel-s zu schreiben.
Sind Sie nach 13 Jahren im hessischen Landtag auch in Ihren politischen Positionen pragmatischer geworden?
Ich fand mich schon immer recht pragmatisch.
In alten Reden haben Sie erklärt, dass gesellschaftlicher Fortschritt nur durch Revolutionen erreicht werden könne und nicht durch Regierungen und Parlamente.
Das sehe ich auch heute noch so. Grundlegende Veränderungen sind immer durch gesellschaftlichen Druck entstanden. Denken Sie an die Arbeiterbewegung, die Frauenbewegung oder die Bewegung gegen Atomkraft. Ich will, dass sich einiges in der Gesellschaft grundlegend ändert, beim Klimaschutz, der Bildung, bei der ungerechten Verteilung von Reichtum. Dafür braucht es neben dem politischen Willen auch immer einen gewissen Druck außerhalb der Parlamente. Man kann grundsätzliche Kritik äußern und trotzdem pragmatisch sein. So habe ich mich in meiner Zeit im Landtag auch verhalten.
Das bedeutet?
Wenn die CDU einen vernünftigen Antrag eingebracht hat, was leider selten vorkam, dann haben wir dem zugestimmt. Als Linke im Parlament fragen wir uns, welche Auswirkungen unser Abstimmungsverhalten auf das Leben der Menschen haben wird. Also verweigern wir uns auch nicht reflexhaft der Zusammenarbeit mit politischen Gegnern, wenn dadurch Verbesserungen erreicht werden können. Das ändert aber nichts an unserer Vision von einer anderen, einer solidarischen Gesellschaft.
Ließe sich eine solche Gesellschaft in einem Bündnis mit Grünen und SPD erreichen?
Sicher nicht von heute auf morgen. Aber es könnte eine Chance sein, die Politik des "Weiter so" zu beenden und dafür zu sorgen, dass weniger Menschen in prekären Verhältnissen leben müssen. Als Linke kämpfen wir dafür, dass die Spaltung zwischen Arm und Reich nicht noch weiter voranschreitet. Wir kämpfen für ein gut ausgestattetes und nicht profitorientiertes Gesundheitssystem und für bezahlbares Wohnen.
Gilt das Nein der Linken zu Rüstungsexporten und Auslandseinsätzen der Bundeswehr auch noch, falls Ihre Partei nach der Bundestagswahl tatsächlich über eine Regierungsbeteiligung sprechen sollte?
Klar. Wir lehnen Waffenexporte und Militäreinsätze ab, wir wollen eine friedliche Außenpolitik und Abrüstung statt Aufrüstung. Das sind zentrale Grundsätze der Linken und die gelten.
Was macht es für Sie persönlich aus, links zu sein?
Dass man dafür kämpft, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben und in Würde leben können. Links zu sein bedeutet für mich, die in den Blick zu nehmen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Für gute Bildung für alle, für ordentliche Löhne und Renten zu kämpfen. Wenn jemand erwerbslos wird, darf er nicht in Hartz IV fallen, sondern muss sozial vernünftig abgesichert sein. Außerdem ist für mich der Kampf gegen Rassismus und alle anderen Formen von Menschenfeindlichkeit zwingend Teil einer linken Identität.
All das passt im weitesten Sinne auch zur SPD, trotzdem verlieren Sozialdemokraten wie auch Linke seit Jahren an Zustimmung. Warum ist linke Politik in Deutschland offenbar so wenig gefragt?
Leider hat die SPD in den letzten Jahren ja gerade keine linke Politik gemacht. Die Partei ist seit 1998 fast durchgehend an der Regierung beteiligt und hat in dieser Zeit für die Menschen in diesem Land kaum etwas erreicht - im Gegenteil, wenn man beispielsweise an Hartz IV und die Rente ab 67 denkt. Der aktuelle Finanzminister, Olaf Scholz, hat jahrelang für die Schuldenbremse und die Schwarze Null argumentiert und dringend notwendige Investitionen damit verhindert. Ich bin überzeugt, dass linke Politik und soziale Gerechtigkeit in Deutschland gefragt sind und ein deutlich größeres Potenzial haben. Es ist im Wahlkampf nun unsere Aufgabe, den Menschen zu zeigen, welche konkreten Verbesserungen wir erreichen können. Als Linke haben wir dafür ein ambitioniertes und konkretes Wahlprogramm aufgelegt.
In dem neben klassischen Linke-Forderungen wie einer Erhöhung des Mindestlohns und einer Vermögensabgabe auch der Klimaschutz eine zentrale Rolle spielt. Doch selbst in Ihrer Partei heißt es von vielen Mitgliedern: Wir laufen zu sehr den Grünen nach und vergessen unsere Stammwähler.
Das Engagement für Klimaschutz ist ja nun wirklich nicht neu für die Linke, dafür streiten wir schon lange. Der Unterschied zu den Grünen ist: Wir wollen konsequenten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden. Wir wollen Arbeitsplätze schützen und nicht die Menschen überproportional belasten, die ohnehin schon wenig haben und nur einen kleinen CO2-Fußabdruck hinterlassen. Wir müssen an die wirklichen Verursacher ran.
Etwas zugespitzt: Mit der Linken gibt es Klimaschutz, der Liter Benzin wird aber nicht 16 Cent teurer?
Wer auf das Auto angewiesen ist, weil kein Bus und keine Bahn fährt, kann sein Verhalten ja gar nicht ändern. Die Krankenschwester auf dem Land, die sich die hohe Miete in der Stadt nicht leisten kann, wird morgens ins Auto steigen und zur Arbeit fahren – und zwar auch, wenn der Spritpreis um 30 Cent steigt. Sie muss das dann woanders einsparen, weil sie keine Alternative zum Auto hat. Deshalb brauchen wir in Deutschland einen flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, eng getaktet, bezahlbar und barrierefrei.
Ganz ähnlich hat sich
Nicht nur da. Wir sind ja nicht zufällig in der gleichen Partei. Ich finde ohnehin, dass wir mehr die vielen Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen sollten, etwa bei Themen wie Rente, Arbeit und Gesundheitssystem. In den letzten Monaten hat die Linke in der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler etwas zu vielstimmig gewirkt.
Eine freundliche Umschreibung für den internen Streit, der um Sahra Wagenknechts aktuelles Buch entstanden ist. Linke-Mitglieder in Nordrhein-Westfalen werfen ihr parteischädigendes Verhalten vor und wollen sie sogar aus der Partei ausschließen.
Was ich für Unsinn halte. Wir sind sicher nicht in allen Punkten einer Meinung, aber politische Differenzen in einer Partei sollte man nicht über Ausschlussverfahren austragen.
Sie sind also froh, dass Frau Wagenknecht wieder für den Bundestag kandidiert?
Ja. Die Mitglieder in Nordrhein-Westfalen haben sie zur Spitzenkandidatin gewählt und ich gehe davon aus, dass Sahra Wagenknecht einen erfolgreichen Wahlkampf für uns machen wird.
Glauben Sie auch daran, dass
Im Saarland gibt es einen über Jahre entstandenen Konflikt, der mit der Bundespartei wenig zu tun hat. Es geht dort auch nicht um inhaltliche Grundsatzfragen. Meine Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hat vor dem Bundesparteitag mit Oskar Lafontaine gesprochen und konnte, das ist zumindest mein Eindruck, Probleme ausräumen.
Den Ruf als Chaos-Partei hat der Konflikt trotzdem wieder einmal zementiert.
Wir alle müssen uns der Verantwortung bewusst sein, die wir gerade in einem Wahljahr tragen. Wir brauchen eine starke Linke im Bundestag als laute Stimme für soziale Gerechtigkeit. Gerade jetzt angesichts der Coronakrise, in der die soziale Spaltung weiter zugenommen hat und sich viele um ihre Existenz sorgen.
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