Die AfD triumphiert: Bei der Bundestagswahl wurde die Partei erstmals zweitstärkste Kraft. Was sind die Gründe für diesen Erfolg?
Bei den Bundestagswahlen am vergangenen Sonntag wurde die AfD mit 20,8 Prozent der Wählerstimmen zweitstärkste Kraft – und ist somit stärker als je zuvor. Mit einem Zuwachs von 10,4 Prozentpunkten verdoppelte die Partei ihr Wahlergebnis im Vergleich zur vorherigen Bundestagswahl.
Professor Dr. Andreas Schäfer von der Humboldt Universität zu Berlin erklärt, wie die AfD so stark werden konnte.
Grund 1:"Viele Menschen fühlen sich nicht mehr sicher"
Die Bereitschaft, die AfD zu wählen, wächst. Und das seit Jahren. Der Grund: Die außen- und innenpolitischen Umstände, wie Schäfer erklärt.
So begann alles mit der Corona-Pandemie, die 2021 nahtlos in Putins Angriff auf die Ukraine überging. Daraufhin stiegen die Energiepreise an. Die Wirtschaft in Deutschland kriselt bis heute. Firmen kämpfen ums Überleben – und Menschen mit den Folgen der Inflation.
Hinzu kommt: "Viele Menschen fühlen sich nicht mehr sicher.", sagt Schäfer. Verstärkt werde dies durch die Terroranschläge der vergangenen Monate, wie zuletzt in München, als ein Mann mit einem Auto in einen Demonstrationszug fuhr.
Laut "Statista Research Department" war "Sicherheit" das am häufigsten genannte Thema für die Bundestagswahl. 45 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben an, ihre Wahlentscheidung davon abhängig zu machen.
Das, sagt der Experte, nutze der AfD. Denn sie werde ohnehin mit Themen wie Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung und Migration in Verbindung gebracht – was ihr auch relativ hohe Kompetenzwerte in diesen Bereichen zuschreibe, erklärt er. Viele Wäher setzten offenbar darauf, dass die Partei tatsächlich etwas an der verzwickten Situation ändern könne.
Vermutlich war genau das auch die Motivation und der Grund für die außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung bei der diesjährigen Bundestagswahl. Denn mit 82,2 Prozent gaben so viele Menschen ihre Stimme ab wie seit 1990 nicht mehr.
"Der Partei ist es gelungen, in einem sehr hohen Maße zu mobilisieren", sagt Schäfer. Zahlen von infratest dimap bestätigen: Rund 1,8 Millionen ehemalige Nichtwähler entschieden sich für die AfD. "Das zeigt: Es hat eine breite Politisierung der Gesellschaft stattgefunden", findet auch Schäfer.
Grund 2: Junge Wähler haben sich zunehmend radikalisiert
Auffällig ist, dass insbesondere junge Wählerinnen und Wähler sich zunehmend radikalisiert haben. So wählten einer infratest dimap-Analyse zufolge insgesamt 19 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die AfD, während bei der Bundestagswahl 2021 nur etwa 7 Prozent für die Partei stimmten.
"Die AfD ist medial sehr präsent. Besonders in den sozialen Medien", sagt Schäfer. Vor allem, weil sich junge und sehr junge Wähler zunehmend über soziale Medien informierten – deutlich mehr als ältere Wählergruppen. "Dadurch hat die Partei einen sehr großen Einfluss auf junge Menschen, die über die sozialen Medien ein Stück weit sozialisiert werden", sagt Schäfer.
Das gelte auch für die Linke. Denn mit insgesamt 27 Prozent der Stimmen bei den 18- bis 24-Jährigen verzeichnet die Partei einen noch höheren Zuspruch bei jungen Menschen als die AfD. "Die haben auch viel in ihren Auftritt in den sozialen Medien investiert und eine hohe mediale Präsenz entwickelt", sagt Schäfer.
Grund 3: Der Wahlkampf von Friedrich Merz
Aber auch die Union müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, radikale Positionen gestärkt zu haben, kommentierte jüngst Christian Wulff, ehemaliger Bundespräsident und CDU-Spitzenkandidat. "Die AfD und die Linkspartei werden
Das sieht Schäfer ähnlich - allerdings mehr mit Blick auf die Linke. Vor allem Merz' Abstimmung im Bundestag mit den Stimmen der AfD kurz vor der Bundestagswahl habe diese Radikalisierung befördert. "Im Gegensatz zu Parteien der linken Mitte gelingt es gerade der Linken, sich in der Migrationsfrage klar sowohl von der Union als auch von der AfD abzugrenzen", sagt Schäfer.
Die Forderungen der Linken bilden das genaue Gegenteil zur AfD. So lehnt sie in ihrem Wahlprogramm als einzige Partei jegliche Verschärfung des Asylrechts ab. Sie sieht Deutschland als Einwanderungsgesellschaft, die Migranten ein gutes Ankommen ermöglichen soll. Zudem fordert sie eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, um Einbürgerungen zu erleichtern.
Den Wahlerfolg der AfD hingegen sieht Schäfer weniger durch die Union beeinflusst. "Die AfD war schon vorher in den Umfragen relativ stabil, insofern ist es eher fraglich, ob der Wahlkampf von Merz der AfD wirklich in die Hände gespielt hat", sagt Schäfer.
Geschadet habe er der AfD jedoch nicht. "Eher im Gegenteil", findet Schäfer. So verlor die Union infratest dimap zufolge im Vergleich zur letzten Bundestagswahl mit 1.010.000 einen großen Teil ihrer Stimmen an die AfD.
Grund 4: Der "Ampelfrust"
Weitere 720.000 Stimmen kamen von der linksliberalen SPD."Nicht alle Wechselwähler haben die AfD aus voller Überzeugung gewählt oder weil sich ihr Weltbild plötzlich geändert hat", gibt Schäfer zu bedenken. Zwar verfüge die Partei über eine stabile Basis von überzeugten Wählern, die ihr auch weiterhin die Treue hielten, einige hätten aber eher aus Enttäuschung gewählt, um den anderen Parteien - vor allem der ehemaligen Ampelregierung -"einen Denkzettel zu verpassen".
"Die Wahrnehmung der Leistung und der Performance der Ampelkoalition ist sehr schlecht, mehr oder weniger durch die Bank", sagt Schäfer. Insofern könne man sagen, dass viele Wählerinnen und Wähler zur AfD gegangen seien, um einfach einen Wechsel zu wählen, etwas Neues.
Welchen Einfluss hat die AfD auf die anstehende Regierungsbildung?
Eine Koalition mit der AfD haben alle Parteien bereits ausgeschlossen. Dennoch bleibt die AfD zweitstärkste Kraft. Für Schäfer ist es daher entscheidend, bei der Bildung einer neuen Koalition Geschlossenheit und Stabilität zu zeigen, um der AfD entgegenzutreten."Die einzig mögliche Koalition ist aus heutiger Sicht eine Koalition aus Union und SPD", sagt der Experte."Das wissen die Parteien und beide fühlen sich dazu verpflichtet."
Sollte sich die SPD allerdings doch für die Opposition entscheiden, könnte die Union sich gezwungen fühlen, mit der AfD zusammenzuarbeiten. "Das wird die SPD sicher nicht machen", schätzt Schäfer. Auch wenn es Streitpotenzial gebe, etwa bei Themen wie der Reform der Schuldenbremse oder der Schaffung eines neuen Sondervermögens für die Bundeswehr.
"Wenn jetzt eine Koalition aus Union und SPD scheitern sollte, wie es bei der Ampelkoalition mit all den öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten und Konflikten der Fall war, würde das der AfD nur weiteren Auftrieb geben", so Schäfer. Letztlich bleibe aber abzuwarten, wie sich die Situation entwickle, doch Schäfer ist positiver Dinge: Er sieht die Chancen einer zukünftig stabilen Regierung als groß an.
Zum Gesprächspartner:
- Prof. Dr. Andreas Schäfer ist Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2022 hat er dort die Leitung des Lehrbereichs für Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland als Gastprofessor übernommen. Seine Forschung konzentriert sich auf die Schnittstellen zwischen politischer Kommunikation und demokratischen Entscheidungsprozessen.
Verwendete Quellen:
- tagesschau.de: Wie die Wähler wanderten
- tagesschau.de: Wen wählten Jüngere und Ältere?
- statista.com: Welches der folgenden Themen ist für Ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl im Februar 2025 am wichtigsten?