• Im Ukraine-Konflikt meldet sich Ex-Kanzler Gerhard Schröder wieder zu Wort und fällt mit Putin-freundlichen Aussagen auf.
  • Russland sei nicht der Aggressor, stattdessen rassele die Ukraine mit dem Säbel, so der SPD-Politiker.
  • Wird Schröders enge Beziehung zu Russland zur Last für die Bundesregierung und Kanzler Scholz?
  • Zwei Experten sind sich einig.

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Altkanzler Gerhard Schröder hat sich im Ukraine-Konflikt zu Wort gemeldet und Kiew "Säbelrasseln" vorgeworfen. "Ich hoffe sehr, dass man endlich auch das Säbelrasseln in der Ukraine wirklich einstellt", sagte der SPD-Politiker wörtlich im Podcast "Die Agenda". Der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warf Schröder eine Provokation Russlands vor, weil sie vor ihrem Antrittsbesuch in Moskau die Ukraine besucht hatte.

Das ließ Kanzler Olaf Scholz (SPD) nicht lange auf sich sitzen, er stellte unverzüglich klar, wer das Sagen hat: "Wenn ich die Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland richtig verstehe, gibt es nur einen Bundeskanzler, und das bin ich", betonte er im "ZDF". Er habe Schröder nicht um Rat gefragt.

Gerhard Schröder: Vom Kanzler zum Gaslobbyist

Als Russland-Freund ist Schröder, der Deutschland von 1998 bis 2005 regierte, schon seit langem bekannt. "Die Freundschaft zwischen ihm und Putin reicht weit zurück, vermutlich bis in das Jahr 2000", sagt Politikwissenschaftler Martin Koch. Es handele sich um eine "klassische Männerfreundschaft", die im Laufe der Jahre immer fester und enger geworden sei. "Das Besondere ist, dass einer von beiden noch amtierender Präsident ist", so Koch.

Regelmäßige Treffen zwischen Kreml-Chef Wladimir Putin und Schröder sind seit Jahren an der Tagesordnung. Seit Ende seiner Amtszeit betätigt Schröder sich als Wirtschaftslobbyist und arbeitet als Aufsichtsratschef für russische Energiekonzerne wie "Gazprom" und "Rosneft".

Gehalt von rund 600.000 Euro

Ein Gehalt von rund 600.000 Euro soll Schröder dafür kassieren. Auch für die Betreibergesellschaft der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2, die "Nord Stream AG", ist Schröder tätig.

Die Europäische Union hatte den Staatskonzern Rosneft in der Vergangenheit wegen Russlands Rolle im Ukrainekonflikt 2014 mit Sanktionen belegt. Schröder stand deshalb immer wieder in der Kritik. Er verwies aber darauf, seine Tätigkeit sei "Privatsache".

"Politische Nähe hat sich eindeutig in ökonomische Verbindungen gewandelt", analysiert Politikwissenschaftler Johannes Varwick. Während Schröders Kanzlerschaft sei der gute Kontakt eines deutschen Regierungschefs nach Russland noch begrüßt worden. "Allerdings war das damalige Russland noch ein anderes Russland", sagt Varwick. Bei Schröder habe sich das gute Verhältnis auch aus einer Skepsis gegenüber den USA gespeist, insbesondere nach dem Beginn des Irakkriegs 2003.

Dass Schröder politischen Einfluss auf Putin hat, halten die Experten für unwahrscheinlich. "Ich glaube, dass politische Themen zwischen den beiden keine große Rolle spielen. Konfliktbeladene Themen dürften außen vor bleiben und man konzentriert sich wahrscheinlich eher auf das Geschäftliche", schätzt Experte Koch.

Schröder im innersten Zirkel der russischen Führung

Dennoch, Schröder bewegt sich im innersten Zirkel der russischen Führung: Bei Putins vierter Amtseinführung im Jahr 2018 durfte Schröder als Zweiter gratulieren – noch vor Ministerpräsident Dimitri Medwedjew. Im russischen Fernsehen posierte der SPD-Politiker dabei prominent in der ersten Reihe.

Experte Varwick ist sich deshalb sicher: "Schröder ist ein Sprachrohr Moskaus." In seinen jüngsten Interviewaussagen habe er die russische Sichtweise unreflektiert übernommen. Auch Experte Koch sieht in Schröders Aussagen einen erneuten Beleg dafür, wie loyal Schröder zu Putin steht.

"Schröder ist seinem Freund schon mehrfach zur Seite gesprungen – selbst, wenn die Beweislage erdrückend war. Bei der Vergiftung des Oppositionspolitikers Nawalny hat Schröder etwa betont, dass die Beweise noch gar nicht gesichert seien und man die Untersuchungen erst abwarten müsse", erinnert Koch. Stets versuche Schröder, der Kritik an Putin den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der SPD scheint man die Gefahr, die von Schröders Verhalten ausgehen könnte, bereits zu wittern. SPD-Politiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, hat Schröders Äußerungen bereits zurückgewiesen. "Ich halte mich da lieber an die Fakten. Und die lassen doch keine Zweifel zu, wer die Verantwortung für die aktuelle militärische Eskalation trägt", sagte Roth dem Nachrichtenportal "ntv.de".

Experte: "Nur eine Linie in der SPD"

Experte Varwick rät zu weniger Aufgeregtheit um die Aussagen Schröders. "Das hat wenig Einfluss auf die Positionierung der SPD. Schließlich weiß jeder: Schröder ist Putin-Freund und Wirtschaftsfunktionär eines russischen Staatsunternehmens", sagt er. Schröder repräsentiere mit seiner Haltung nur eine Linie in der SPD.

"Matthias Platzeck und Manuela Schwesig zählen auch zu diesem Russland-nahen Lager. Das ist im Meinungsspektrum ein legitimer Beitrag", so Varwick. Platzeck hatte im aktuellen Konflikt immer wieder auch um Verständnis für die russische Position geworben, Schwesig gilt es eiserne Verteidigerin des Nord-Stream-Projekts.

Koch sieht in Schröders Verhalten sogar eine Chance für die SPD. "Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde Schröder mit seinem Gegenfeuer der jungen Regierung schaden", analysiert er.

Doch darin liege auch eine Chance für die SPD: "Scholz bietet sich die Möglichkeit, sein eigenes Profil zu schärfen und einen stärkeren Abstand zum alten SPD-Kanzler einzunehmen", sagt Koch. Das Hartz-IV-Erbe laste ebenfalls schwer auf der SPD. "Das gibt nun Gelegenheit, einen radikalen Schnitt zu machen. Damit kann Scholz die Partei anders aufstellen", meint Koch.

Über die Experten:
Prof. Dr. Johannes Varwick ist Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg.
PD Dr. Martin Koch ist Politikwissenschaftler und lehrt an der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Theorien der Internationalen Beziehungen, Weltgesellschaftsforschung sowie Politische Soziologie.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Prof. Dr. Johannes Varwick
  • Interview mit PD Dr. Martin Koch
  • ZDF: ZDF heute vom 02.02.2022. Angriff auf Ukraine hat "hohen Preis"
  • Ntv.de: Roth: "Das hat mit Säbelrasseln nichts zu tun."
  • Die Agenda: Krieg in Europa?
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