Der Militärputsch im afrikanischen Niger stellt die deutsche Politik vor große Probleme. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, warnt im Interview mit unserer Redaktion vor schnellen Entscheidungen: Ein kompletter Rückzug aus der Region ist aus ihrer Sicht keine Lösung.

Ein Interview

Der westafrikanische Staat Niger ist eines der ärmsten Länder der Erde. Doch für die deutsche Bundesregierung war die Republik der vielleicht wichtigste Partner in der Sahelregion: Die Bundeswehr unterhält in der Hauptstadt Niamey einen Lufttransportstützpunkt. Wenn es um die Regelung der Migration aus Afrika oder den Kampf gegen den islamistischen Terrorismus geht, arbeitete die Bundesregierung mit Nigers Präsident Mohamed Bazoum bisher eng zusammen.

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Doch die vergangene Woche hat diese Sicherheit erschüttert: Die Präsidentengarde hat gegen ihren eigenen Präsidenten geputscht und Bazoum für entmachtet erklärt. In der Region droht sich der Konflikt zuzuspitzen.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), war selbst mehrmals bei der Bundeswehr in Niger zu Besuch. Sie sagt: "Es ist grundsätzlich eine Riesenherausforderung, in der Region Partnerschaften zu pflegen. Es nicht erst zu versuchen, wäre allerdings aus meiner Sicht auch kurzsichtig."

Frau Strack-Zimmermann, wie stark hat Sie der Putsch in Niger überrascht?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Aus unserer Sicht hat sich dieser Putsch nicht abgezeichnet. Auch die Dienste haben uns nichts dergleichen vermittelt. Niger war in der Sahelzone nicht nur das einzige Land mit einem demokratisch gewählten Präsidenten, es war in der Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa auch ein sehr verlässlicher Partner. Die derzeitige Lage ist keine Freude.

Welche Bedeutung hat Niger für die deutsche Verteidigungspolitik?

Wir sind ja gerade im Begriff, unsere Soldatinnen und Soldaten bis Ende des Jahres aus dem Nachbarland Mali abzuziehen. Der Flughafen von Nigers Hauptstadt Niamey, ich habe die Bundeswehr dort im Einsatz mehrmals besucht, spielt als Drehkreuz für den geordneten Abzug dabei eine ganz wichtige Rolle. Jetzt hat also erst einmal absolute Priorität, unsere Soldatinnen und Soldaten aus Mali sicher abzuziehen. Die Unterstützung von Niger ist dabei hilfreich.

Das würde aber bedeuten, dass die Bundesregierung mit der möglichen Putschisten-Regierung in Niamey zusammenarbeiten müsste.

In dieser Situation gibt es natürlich Sinn, Augen und Ohren in jede Richtung offenzuhalten. Sollte sich die Lage in Niger verschlechtern, müssen auch die Soldatinnen und Soldaten und das Botschaftspersonal, die sich derzeit dort aufhalten, sicher nach Hause geholt werden. Die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas hat inzwischen den neuen Machthabern ein Ultimatum gestellt, auch unter Androhung militärischer Gewalt, den festgesetzten Präsidenten Bazoum freizulassen und wieder einzusetzen. Sollte die Lage vor Ort also eskalieren, dann muss die Bundeswehr gegebenenfalls auch sofort evakuieren.

Strack-Zimmermann: Russland könnte Einfluss noch weiter ausbauen

Niger war auch unabhängig vom Truppenabzug aus Mali ein wichtiger Partner in der Sahelregion. Nun wurde dort geputscht – nachdem das bereits in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso geschehen ist. Ist es aus deutscher Sicht überhaupt noch sinnvoll, in dieser Region Partner zu suchen?

Es ist grundsätzlich eine Riesenherausforderung, in der Region Partnerschaften zu pflegen. Es nicht erst zu versuchen, wäre allerdings aus meiner Sicht auch kurzsichtig. Uns muss klar sein: Sollte die Sahelzone komplett unkontrollierbar werden, hätte das auch Auswirkungen auf Europa und damit auch auf Deutschland.

"Nur einfach wegzuschauen und sich komplett zurückzuziehen, ist keine Lösung"

Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Welche?

Die Zahl der Menschen, die dann aus der Region fliehen werden, wird steigen – und das würden wir auch deutlich in Europa zu spüren bekommen. Hinzu kommt, dass der massive islamistische Terror, der die Zivilbevölkerung in der Region tyrannisiert, auch die Länder Europas erreichen könnte. Wir haben ein sehr großes Interesse an einer relativen Stabilität in der Region. Wie wir dort in Zukunft noch präsent sein können – mit dieser Frage müssen wir uns in den nächsten Monaten beschäftigen. Da gibt es keine einfachen Antworten. Nur einfach wegzuschauen und sich komplett zurückzuziehen, ist keine Lösung.

Welche Rolle spielt Russland in dieser Angelegenheit? Zieht sich Europa aus der Sahelzone zurück, könnte Russland seinen Einfluss in Afrika womöglich weiter ausbauen.

In Mali werden die Söldner der Wagner-Gruppe und auch ganz offen die russische Armee immer präsenter. Sie nehmen inzwischen auch Einfluss auf die Politik vor Ort. Russland versucht in der Region immer mehr Einfluss zu nehmen und die Länder der westlichen Welt zu verdrängen. Insofern ist das ein sehr ernstes Thema.

Ich glaube nicht, dass Russland beim Putsch in Niger aktiv mitgewirkt hat. Es ist aber offensichtlich, dass Wladimir Putin sich als Trittbrettfahrer diese Lage sofort zu eigen gemacht hat. Er wird das entstehende Machtvakuum in der Region ausnutzen wollen. Russische Soldaten ziehen bereits jetzt an der Seite der malischen Armee – auch mit Lieferung von Waffen – in den Kampf gegen die Terroristen und beteiligen sich an schlimmsten Menschenrechtsverletzungen. Wenn der Westen sich komplett aus der Sahelzone zurückzieht, werden die Präsenz und der Einfluss Russlands und der Druck auf Europa immer größer werden.

Zur Person: Marie-Agnes Strack-Zimmermann sitzt seit 2017 für die FDP im Bundestag und gehört zu den bekanntesten Mitgliedern ihrer Partei. Zuvor hat unter anderem als Verlagsrepräsentantin für einen Jugendbuchverlag gearbeitet. Derzeit ist die Düsseldorferin Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Im kommenden Jahr soll sie die FDP als Spitzenkandidatin in die Europawahl führen.
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