Es sind die Gummistiefel-Momente in der Politik: Schon Gerhard Schröder, Angela Merkel und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet reisten ins Hochwassergebiet. Nun beschwört Kanzler Olaf Scholz vor den Fluten Zusammenhalt – ganz ohne Gummistiefel.

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Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Hochwassergebiet im Norden Niedersachsens ankommt, glitzert das Wasser in der Sonne. Im Hintergrund strotzt der historische Rathausturm, rechts davon der Dom als Wahrzeichen der Altstadt Verdens unweit von Bremen. Gummistiefel braucht es nicht. Und so steht der SPD-Politiker an Silvester in braunen Schnürschuhen und Jeans am Aussichtspunkt "Panoramablick" und hört ohne die Miene zu verziehen den Einsatzkräften zu.

Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz besucht die Hochwassergebiete in Verden an der Aller am 31. Dezember 2023. © picture alliance / Geisler-Fotopress/Ulrich Stamm

Die Idylle trügt: Das glitzernde Wasser ist ein reißender Strom, der die Aller und das stehende Gewässer der Alten Aller zu unbeherrschbaren Wassermassen verbindet. Schon seit dem 23. Dezember füllen die Einsatzkräfte Sandsäcke ab und kämpfen in Verden gegen das Hochwasser. Und eine Entspannung ist nach Angaben des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) nicht absehbar. Zwar sei der höchste Wasserstand vorerst erreicht, doch sei an zahlreichen Pegeln die höchste Meldestufe nach wie vor überschritten – besonders an der Aller, Leine, Oker und Mittelweser. Neben Niedersachsen sind auch der Süden von Sachsen-Anhalt an der Grenze zu Thüringen sowie Gebiete in Nordrhein-Westfalen von Hochwasser betroffen.

Per Rundflug mit einem Helikopter verschafft sich Scholz am Sonntagvormittag einen Eindruck über die Hochwasserlage in den besonders betroffenen Gebieten. Er spricht mit dem niedersächsischen Landesbranddirektor und mit Betroffenen – abgeschirmt von Medien und Schaulustigen. Neben gestapelten Sandsäcken beschwört er schließlich den Zusammenhalt.

Scholz betont Zusammenhalt

"Das Wetter, die Natur fordern uns heraus", sagt der SPD-Politiker. "Deshalb ist es wichtig, dass wir im Land zusammenhalten. Überall geschieht das auch durch die zuständigen Organisationen, die Polizei, die Feuerwehr, das Technische Hilfswerk, auch die Bundeswehr hat ihre Unterstützung zur Verfügung gestellt." Viele Freiwillige täten alles dafür, die Konsequenzen klein zu halten und Menschen und Häuser zu schützen.

"Ich sehe, dass die Bereitschaft weit über diejenigen hinausgeht, die jetzt beruflich oder ehrenamtlich in den Hilfsorganisationen tätig sind. Da helfen auch Bürgerinnen und Bürger vor Ort ganz konkret mit und fragen, was sie tun können", sagt Scholz. "Das ist wichtig. Ich glaube, dass das zeigt, dass in unserem Land Solidarität existiert und die Bereitschaft, zusammenzuhalten."

Bedrohliche Wucht des Wassers

Im Hintergrund verteilt eine Anwohnerin Kaffee, Tee, Kakao und heiße Suppe an die Einsatzkräfte. Sie sei nun den zweiten Tag in Folge mit ihrem Bollerwagen und den Getränken unterwegs, erzählt sie. Sie wohne 300 Meter entfernt und sei nicht betroffen, wolle ihren Nachbarn aber wenigstens ein bisschen helfen. "Viele Menschen hier haben um ihre Existenzen Ängste", sagt die Anwohnerin. Das Wasser sei mit Wucht gekommen. "Es war schon bisschen bedrohlich alles." Was sie von dem Besuch des Kanzlers hält? Die Frau winkt nur mit einer enttäuschten Handbewegung ab.

Andere sind mit ihrer Kritik weniger zurückhaltend. "Der Kanzler fliegt durch die Luft und tut nichts", schreit eine Anwohnerin, noch bevor Scholz in Sichtweite ist. Dabei brauche es jede Hand, die Menschen wüssten nicht mehr weiter. Zwei Polizisten begleiten die schimpfende Frau schließlich weg.

Für den Kanzler Chance – und Risiko

Für Kanzler Scholz ist der Besuch Chance und Risiko zugleich. Er kann als Krisenmanager Stärke demonstrieren und solche Momente haben das Potenzial, Wahlen zu bestimmen. Beispiele dafür gibt es einige. So profitierte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2002 von der "Jahrhundertflut" an der Elbe wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Er lag zwar in Meinungsumfragen deutlich hinter seinem Kontrahenten Edmund Stoiber (CSU), präsentierte sich dann aber als "Macher": In dunkelgrüner Regenjacke und Gummistiefeln war er vor Ort, schnürte Hilfspakete und gewann die Wahl schließlich ganz knapp.

Für Bundeskanzler Scholz wäre es wichtig, nun ähnlich anpackende Bilder zu produzieren. Die vergangenen Tage wurden schließlich schon erste Stimmen laut, die sich fragten, wo der Kanzler angesichts des Hochwassers bleibe. Und auch die schlechten Umfragewerte für die Ampel und die Proteste gegen die geplanten Haushaltskürzungen werfen kein gutes Licht auf Scholz.

Dem kurz vor Weihnachten veröffentlichten Deutschlandtrend für das ARD-"Morgenmagazin" zufolge lägen die drei Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP bei einer Bundestagswahl mit 33 Prozent derzeit nur knapp vor der Union (32 Prozent). CDU und CSU würden die mit Abstand größte Fraktion im Bundestag bilden.

Schwierige Haushaltslage schränkt ein

Doch anders als Schröder damals kann Scholz nicht einfach so Gelder vom Bund versprechen, nicht in der aktuellen Haushaltslage. Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts streitet die Ampel-Koalition schließlich weiterhin über den Etat für das kommende Jahr. So bleibt ihm nur zu versichern, dass auch der Bund den betroffenen Ländern und Kommunen bei der Bewältigung "mit seinen Möglichkeiten" zur Seite stehe.

Und der Besuch in Hochwassergebieten bietet auch ein generelles Risiko. Manch einer mag sich noch an den lachenden Armin Laschet erinnern. 2021 begleitete er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat ins Hochwassergebiet von Erftstadt. Während dessen Rede scherzte er lachend im Hintergrund mit Umstehenden und löste eine Welle der Empörung und des Zweifels an seiner Eignung aus. Am Ende verlor er die Wahl und Profiteur wurde stattdessen Olaf Scholz.

"Druck der Wassermassen ungeheuer groß"

An dessen Seite steht nun Parteikollege Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen. Die Lage sei ernst, beteuert er. "Wir sehen, dass in den nördlicheren Landesteilen Niedersachsens nach wie vor der Druck der Wassermassen ungeheuer groß ist", sagt der SPD-Politiker. Man sei froh, dass die Sicherungssysteme bisher hielten. "Aber wir wissen ganz genau, je länger der Druck des Wassers auf den Deichen liegt, desto größer ist das Risiko, dass doch noch diese Dämme dann brechen können."

Bislang sei das Land mit einem blauen Auge davongekommen, sagt Weil. Er wisse von keinem Todesfall und nur einer Verletzung bei der Feuerwehr. Auch die Zahl der evakuierten Menschen sei erfreulich niedrig: "Jeder Einzelne davon tut mir leid. Aber gemessen an dem Risiko, das wir schon in den letzten Tagen gesehen haben, ist eine Zahl von deutlich unter 2.000 evakuierten Personen, von denen jetzt viele schon wieder zu Hause sind, überschaubar."

Dafür seien mehr als 100.000 Helferinnen und Helfer unermüdlich im Einsatz, und etwa sechs bis zehn Millionen Sandsäcke seien bereits gefüllt und verlegt worden. Aber auch Weil kommt mit leeren Händen. "Im Moment sind wir dabei, eine akute Krise zu bekämpfen. Danach werden wir uns sicherlich mit den anderen Fragen auseinandersetzen, welche Schäden sind entstanden, welche Möglichkeiten der Hilfe bestehen", sagt der SPD-Politiker.

Sorge vor der Silvesternacht

Für Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft geht der Einsatz derweil weiter – mit großer Sorge vor der Silvesternacht. Auch Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens appelliert, lieber auf Böller und Raketen zu verzichten. "Denn die Hilfskräfte, die Einsatzkräfte, die Rettungsdienste sind mit dem Hochwasser beschäftigt", sagt die SPD-Politikerin bei dem gemeinsamen Besuch mit dem Kanzler. Weitere Problemlagen sollten möglichst von den Einsatzkräften ferngehalten werden.

Zumindest das Wetter spielt mit, die Prognose zum Jahreswechsel ist günstig. Es soll nur örtliche Schauer geben – nicht hochwasserrelevant, teilt das NLWKN mit. Nun gelte es langfristig zu planen und in die Notfall-Infrastrukturen zu investieren, sagte der Kanzler zum Abschied. Man dürfe nicht vergessen, "dass wenn das Hochwasser weg ist, es auch wiederkommt". (Mirjam Uhrich, Stella Venohr und Christopher Weckwerth, dpa/tas)

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