• Fast schon geheimnisvoll nennen manche den Besuch von Olaf Scholz bei seinem Amtskollegen Joe Biden: kaum Zeremonielles, wenig Worte vor der Presse.
  • Dabei dürfte vielen klar sein, über welche Themen Scholz und Biden gesprochen haben.
  • Ein Experte analysiert das Treffen und mahnt, sich einen Satz von Biden ganz genau anzuschauen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Viele offizielle Bilder gibt es nicht von diesem Besuch in den USA. Das Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden haben beide Seiten wohl betont niedrig gehängt. Keine Pressekonferenz, keine Delegationen, kein Staatsdinner.

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Eine Stunde Gespräch unter vier Augen – ein knapper Besuch, aber mit großer Bedeutung. Über den Inhalt selbst wird kaum etwas bekannt, doch klar sein dürfte: "Es ging wohl darum, wie man den Ukraine-Krieg und die Krise mit China in Zukunft handhabt", sagt US-Experte Michael Hochgeschwender. Entscheidungen dazu wollte man nicht an die große Glocke hängen.

Zu wichtig für Videokonferenz

"Man hat bewusst auf Zeremonielles verzichtet", vermutet der Experte. So gab es beispielsweise keinen Empfang am Weißen Haus, als Kanzler Scholz in einem schwarzen, gepanzerten Chevrolet Suburban vorgefahren kam – stattdessen ging er alleine hinein. Ein "Arbeitstreffen", wie im Vorfeld betont wurde.

Für ein Telefonat oder eine Videokonferenz waren die Gesprächsthemen dann aber doch zu wichtig. "Bei Videokonferenzen geht viel verloren. Es ist bei manchen Gesprächsthemen wichtig, in einem Raum zu sitzen und zu sehen, wie der andere reagiert", sagt Hochgeschwender.

Die Öffentlichkeit konnte sich davon nur einen Eindruck machen, als die beiden Staatschefs im Oval Office vor die Kameras traten, für ein paar repräsentative Fotos. Scholz und Biden nebeneinander im Anzug, in gleicher Pose, mit überschlagenen Beinen unter den Porträts von Abraham Lincoln und George Washington sitzend. Auch bildlich so, wie sie es inhaltlich betonen: "Im Gleichschritt."

Biden lobt Zeitenwende

Der Ton zwischen Biden und Scholz klang fast freundschaftlich: "Olaf, es hat sich viel verändert, seit du im vergangenen Jahr hier gewesen bist", sagte Biden und verteilte warme Worte an Scholz. Er habe mit seiner Zeitenwende zu Hause historische Veränderungen vorangetrieben.

"Olaf, ich möchte Ihnen für die starke und beständige Führung danken. Das meine ich aufrichtig. Es hat einen starken Unterschied gemacht", sagte der US-Präsident. Es sei extrem wichtig, dass Deutschland und die USA an einem Strang gezogen hätten. Nun sei es wichtig, die Botschaft zu senden, dass man das so lange wie notwendig weiter tun wird.

"Ich habe durchaus wahrgenommen, dass die Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die Diversifizierung weg von russischen Energiequellen nicht einfach und sehr schwierig für dich war", erklärte Biden aber auch.

Scholz betonte: "Ich freue mich wirklich sehr, hier zu sein, um mit dir zu sprechen." Es gebe viel zu bereden, sagten beide. Nach dem Gespräch gab es keine Kommentare mehr. Für Scholz war der USA-Besuch nach einem Interview mit dem Fernsehsender CNN beendet.

Experte: "Es besteht Abstimmungsbedarf"

Hochgeschwender hat den Auftritt von Biden und Scholz beobachtet. Er sagt: "Man ergeht sich in sehr allgemeinen Äußerungen." Wenn Biden von Dingen wie "moralischer Führerschaft" Deutschlands spreche, sage das erst einmal gar nichts. Doch der Experte kann aus dem Treffen herauslesen: "Es besteht offensichtlich Abstimmungsbedarf. So etwas wie bei der Lieferung der Kampfpanzer soll nicht noch einmal passieren. Beide Seiten haben durch das Vorgehen leichte Verwundungen davongetragen", erklärt er.

Die US-Amerikaner seien von den Deutschen quasi gezwungen worden, Kampfpanzer zu liefern und die Deutschen seien ihrerseits getrieben gewesen. "Hier bestand dringender Gesprächsbedarf. Die Amerikaner werden den Deutschen sicherlich deutlich gemacht haben, dass wir uns strategisch orientieren müssen und uns von den Ereignissen nicht immer hetzen lassen dürfen", sagt der Experte.

China ist ein wichtiges Thema

In Bezug auf China sei das noch bedeutender, weil hier beide Seiten große ökonomische Interessen hätten. Jüngst machten amerikanische Informationen die Runde, wonach die Chinesen militärische Unterstützung für Russland erwägen. Westliche Sanktionen würden damit unterlaufen, die USA und Deutschland müssten ihrerseits reagieren. Sanktionen gegen China würden die deutsche Wirtschaft noch einmal deutlich stärker treffen.

Welche Schritte Biden und Scholz besprochen haben, bleibt unbekannt. Dem transatlantischen Verhältnis dürfte das Treffen aber gutgetan haben. "Es ist derzeit nicht schlecht, es war schon einmal deutlich schlechter – aber auch schon besser", kommentiert Hochgeschwender. Der eigentliche strategische Partner in Bezug auf die Ukraine sind in Europa die Briten.

Gleichzeitig ist nicht klar, ob die Amerikaner Biden für eine weitere Amtszeit wählen. Mit einem Kandidaten wie Trump im Weißen Haus verändert sich auch die Lage für Europa. Darauf vorbereiten? Aus Sicht von Hochgeschwender ist das kaum möglich.

Eine Aussage bleibt hängen

"Was man tun kann, ist, Europa zu stärken", sagt er. Wenn die USA auf einen größeren Konflikt mit China zusteuerten, werde das automatisch bedeuten, dass sie Europa nicht mehr so im Blick haben können. "Die Geschwindigkeit, mit der die Europäer sich darauf vorbereiten, dass die Führungsmacht des Westens den Blick auf den Pazifik richtet, ist zu langsam", betont er.

Eine Aussage ist Hochgeschwender zwischen den allgemeinen Floskeln übrigens aufgefallen. "Wenn Biden die moralische Führerschaft Deutschlands lobt, ist das ein zweischneidiges Schwert", sagt er. Deutschland solle sich darauf nicht ausruhen. Denn in einem amerikanischen Kontext könnte man die Aussage auch ganz anders interpretieren. Nämlich als: "Nun habt ihr genug moralische Führerschaft gezeigt, jetzt zeigt doch mal militärische und politische Führerschaft, es ist an der Zeit", erklärt Hochgeschwender.

Über den Experten: Prof. Dr. Michael Hochgeschwender ist Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte, Empirische Kulturforschung und Kulturanthropologie an der Ludwigs-Maximilan-Univerisität München. Zu seinen Forschungsgebieten zählt die Geschichte der USA in der Antebellums- und Bürgerkriegsepoche sowie in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg.
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