Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte in einem Interview, in erbeuteten russischen Panzern habe man Chips von Haushaltsgeräten gefunden. Einige Nutzerinnen und Nutzer im Netz halten diese Aussage für eine "Blamage". Doch sie ist technisch plausibel.

Eine "Blamage" sei die Aussage von Anton Hofreiter, heißt es im Netz. Es geht um einen kurzen Video-Ausschnitt, in dem der Grünen-Politiker sagt, dass man in erbeuteten russischen Panzern immer öfter Waschmaschinen- und Spülmaschinen-Chips finde. Die Beiträge, in denen das Video geteilt wird, glauben offenbar nicht, dass das stimmt. In den Kommentaren heißt es etwa, das sei "Schwachsinn" oder "richtig peinlich für Deutschland".

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Die Behauptung, man habe Waschmaschinen-Chips in russischen Panzern gefunden, ist jedoch nicht aus der Luft gegriffen. US-Handelsministerin Gina Ramonda sagte das bereits am 11. Mai in einer Anhörung des Senats, später wiederholte es auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Ein Professor für elektronische Bauelemente von der RWTH Aachen sagte uns, es sei technisch plausibel, dass einfache Chips und Schaltungen aus Haushaltsgeräten in Militärfahrzeuge eingebaut werden.

Anton Hofreiters Aussage fiel in einer Sendung von Bild-TV

Zunächst haben wir geprüft, ob das Video authentisch ist. Der Ausschnitt, der in sozialen Netzwerken verbreitet wird, ist neun Sekunden lang. Darin sagt Hofreiter, die russische Rüstungsindustrie sei in großen Schwierigkeiten: "Sie finden in erbeuteten russischen Panzern immer öfter Waschmaschinen- und Spülmaschinen-Chips." Oben links ist das Logo der Bild-Zeitung zu sehen.

Wir haben auf YouTube mit den Stichworten "Hofreiter" und "Bild" gesucht und fanden dadurch das Originalvideo. Am 20. September war Hofreiter in der Bild-Sendung "Die richtigen Fragen" zu Gast. Der auf sozialen Netzwerken kursierende Ausschnitt beginnt bei Minute 10:06 der rund einstündigen Sendung. Der Grünen-Politiker sagt, dass die europäischen Sanktionen gegen Russland bewirkten, dass die russische Rüstungsindustrie in großen Schwierigkeiten stecke und nennt als Beispiel die Chips.

Doch wie kommt Hofreiter zu dieser Aussage? Wir haben bei Google mit den Stichworten "Chips", "Geschirrspüler" und "Panzer" gesucht und mehrere Medienberichte gefunden, in denen dieselbe Behauptung zu finden ist. NTV etwa titelte am 12. Mai "Russen nutzen Chips aus Geschirrspülern in Panzern" und bezog sich damit auf eine Aussage der US-Handelsministerin Gina Ramondo.

Auch US-Handelsministerin Gina Ramondo sprach über russische Panzer mit Chips von Haushaltsgeräten

In der Washington Post wird Ramondo mit folgendem Satz zitiert: "Uns liegen Berichte von Ukrainern vor, wonach die russische Militärausrüstung, die sie vor Ort finden, mit Halbleitern gefüllt ist, die sie aus Geschirrspülern und Kühlschränken entnommen haben." Die Anekdote mit den Halbleitern kommt laut Washington Post von offizieller ukrainischer Seite. Demnach habe die Ukraine in erbeuteten russischen Panzern Teile von Kühlschränken und anderen Geräten gefunden, die anscheinend nicht verfügbare Komponenten austauschen sollten.

Halbleiter bestehen häufig aus Silizium und sind der Hauptbestandteil von Mikrochips. Die Begriffe Halbleiter und Chips werden deshalb häufig als Synonyme verwendet.

Auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in einer Rede im EU-Parlament am 14. September: "Das russische Militär nimmt Chips aus Geschirrspülern und Kühlschränken, um seine militärische Hardware zu reparieren, weil es keine Halbleiter mehr gibt. Russlands Industrie liegt in Trümmern." Von der Leyen bezog sich damit auf die US-Handelsministerin, wie uns eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigte.

Experte: "Es ist denkbar, dass Halbleiterbauelemente aus Haushaltsgeräten in Militärfahrzeuge eingebaut werden"

Doch ist die Aussage technisch plausibel? Das haben wir Max Christian Lemme, Professor am Lehrstuhl für Elektronische Bauelemente der RWTH Aachen, gefragt. "Es ist durchaus vorstellbar, dass Halbleiterbauelemente (Transistoren, Widerstände, Kondensatoren oder Spulen) aus Haushaltsgeräten ausgebaut werden und in Militärfahrzeuge eingebaut werden", schrieb uns Lemme per E-Mail.

Sowohl Waschmaschinen als auch russische Panzer hätten eher einfache Chips und Schaltungen. Daher sei es denkbar, dass diese zur Reparatur verwendet werden.

"Dazu muss man den Chip aus einer Platine auslösen und anschließend in eine andere Platine einlöten. So werden auch hier und im täglichen Leben ältere Geräte repariert, deren Chips nicht mehr neu auf dem Markt verfügbar sind, weil sich die Technik weiterentwickelt hat", schrieb uns Lemme.

Christoph Heusgen

Ex-Merkel-Berater Heusgen: "Mit Atom-Drohung zielt Putin auf Deutschland"

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sieht in den Atomwaffen-Drohungen von Wladimir Putin einen klaren Fingerzeig auf Deutschland. Seine Einschätzung: "Wir sind zurück in der Logik des Kalten Krieges." (Bildcredit: picture alliance / photothek/Michael Gottschalk)

Halbleitermangel ist seit 2021 ein weltweites Problem

Nach Medienberichten gibt es sogar Unternehmen, die Waschmaschinen kaufen, um die Halbleiter darin auszubauen und für andere Geräte zu benutzen. Weltweit gibt es seit Anfang 2021 eine sogenannte Chipkrise. Davon betroffen sind viele Branchen, insbesondere auch die deutsche Autobranche.

Lesen Sie auch: Alle aktuellen Informationen zum Krieg in der Ukraine im Live-Ticker

CORRECTIV ist ein gemeinnütziges, unabhängiges und vielfach ausgezeichnetes Recherchezentrum. Die investigativen Journalisten recherchieren langfristig zu Missständen in der Gesellschaft, wie dem CumEx-Steuerraub oder illegaler Parteifinanzierung.
Eine eigene Faktencheck-Redaktion - CORRECTIV.Faktencheck - überprüft irreführende Behauptungen und Gerüchte in den sozialen Medien. Die Faktenchecker erklären, wie Falschmeldungen unsere Wahrnehmung beeinflussen und wie Sie sich vor gezielten Falschmeldungen schützen können.
Alle zwei Wochen erhalten Sie die neuesten Faktenchecks zu Gerüchten im Netz direkt in Ihr Postfach: Abonnieren Sie hier den CORRECTIV Newsletter

Wenn Sie auf mögliche Falschmeldungen oder Gerüchte stoßen, können Sie diese CORRECTIV.Faktencheck zur Überprüfung schicken - entweder über den CrowdNewsroom oder über WhatsApp an die +49-151-17535184.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.