Schaden Apps wie TikTok der deutschen Politik und Gesellschaft? Angesichts des Erfolgs der AfD auf der sozialen Plattform debattierte Louis Klamroth mit seinen Gästen über Populismus im Netz und was man dem entgegenstellen kann. Lässt sich der Vorsprung der AfD noch einholen? Ein YouTuber hatte dazu eine eindeutige Einschätzung. Gleichzeitig beruhigte Gesundheitsminister Lauterbach an einer Stelle: "An dem Punkt sind wir noch nicht."
Die AfD weiß es bereits zu nutzen: Auf der Plattform TikTok werden Videos von der Partei doppelt so oft geschaut wie die Beiträge aller anderen Parteien zusammen. Während die Videos der AfD in den letzten beiden Jahren im Schnitt 430.000 Impressionen pro Video erreichten, waren es bei der FDP nur 53.300 und bei der SPD sogar nur 22.200. Die Zahl der Impressionen gibt an, wie häufig der Inhalt Nutzern angezeigt wurde. Was macht die AfD so erfolgreich? Antworten gab es in der Sendung.
Das ist das Thema bei "Hart aber Fair"
Unter dem Titel "Populismus, Hass und Fakes – Wie gefährlich sind soziale Medien?" diskutierte
Das sind die Gäste
Karl Lauterbach (SPD): "Wir dürfen die sozialen Medien der AfD nicht überlassen", sagte der Gesundheitsminister. Die Herausforderung bei TikTok sei, dass dort ein plumper, catchy Satz besser laufe als eine Erklärung. Viele junge Menschen würden es als Hauptnachrichtenquelle nutzen. "Das zu vernachlässigen wäre eine Katastrophe", so Lauterbach.Sascha Lobo : "Aus meiner Sicht zu einem großen Teil zum Guten", antwortete der Digitalexperte auf die Frage, wie Social Media den Politikbetrieb verändert hätte. Die positiven Auswirkungen von sozialen Medien würden überwiegen. "Social Media hat eine größere Transparenz gebracht, Debatten beschleunigt und intensiviert", so Lobo. Der Austausch zwischen Politik und Bevölkerung sei einfacher geworden.- Muhanad Al-Halak (FDP): Der Bundestagsabgeordnete berichtete von Reaktionen im Bundestag auf seinen TikTok-Auftritt. Al-Halak nutzt die App politisch und hat damit Wahlkampf gemacht. "Von Abgeordneten egal welcher Fraktion kam sehr viel Gegenwind. Viele sagten: Das geht gar nicht, es ist gefährlich, das ist unter der Würde", sagte er. Er habe es als schade empfunden, welches Bild von TikTok vorherrschte.
- Tara-Louise Wittwer: Die TikTokerin erzählte von dem Hass, der ihr als Frau in den sozialen Medien entgegenschlägt. "Ich blockiere viel. Ich hatte früher mehr Angst, aber ich achte in meinen Videos sehr darauf, dass ich nicht auf Einzelpersonen gehe", erklärte die Autorin und Kulturwissenschaftlerin. Damit federe sie etwas Hass ab.
- Alexander Prinz: Der YouTuber, bekannt als der "Dunkle Parabelritter", sagte: "Unsere Generation lebt ein Stück weit in dieser virtuellen Realität, im Netz." Die AfD sei dorthin gegangen, wo die Menschen sich zuhause fühlten und erklärten ihnen dort "den anderen Teil der Realität". Prinz dazu: "Das war ein smarter Move. Da waren sie ein bisschen schneller, effizienter unterwegs als die etablierten Parteien." Das sei aber ein Vorsprung, den man einholen könne.
- Anthony: "Ich starte meinen Livestream jeden Tag mit dem gleichen Aufhänger: Gib mir einen guten Grund, um die AfD zu wählen", sagte er. Bis jetzt habe sich niemand gemeldet, der ihm einen guten Grund habe nennen können. Bei den meisten Usern, die kommentieren würden, sehe er: "Okay, du hast ein Problem. Das lässt sich aber auch anderweitig lösen – dafür musst du nicht die AfD wählen."
- Mischa: Die Anwältin, die auf TikTok in Livestreams mit AfD-Anhängern diskutiert, sagte: "Man sollte mit Dialog und Fakten dieser großen Welle von Hass, Falschinformation, Propaganda, diskriminierendem Verhalten entgegenwirken." Von der Gegenseite kämen stets viele Gefühle, aber wenig Fakten. Die AfD-Bundesebene lasse ihren Politikern freie Hand und toleriere sexistische Aussagen. "Sie belohnen Verhalten von Männern, die mir Gewalt androhen", so die Influencerin. "Ich muss sagen: Ich habe keine Angst vor euch", machte sie klar.
- Silke Müller: Die Schulleiterin einer Oberschule in Niedersachsen berichtete über das, was ihre Schüler auf ihren Handys sehen. Der Algorithmus sei von Gewalt bestimmt. "Tierquälerei, das ist teilweise Folter, das ist ganz viel Cybergrooming", sagte sie. Sie biete an ihrer Schule eine Social-Media-Sprechstunde an, um die Kinder dort abzuholen, wo sie sich bewegen.
Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber Fair"
Klamroth zeigte einen Einspieler des rechten Europa-Politikers Maximilian Krah (AfD). In einem viral gegangenen Video auf TikTok hatte er gesagt: "Jeder dritte junge Mann hatte noch nie eine Freundin. Du gehörst dazu? Schau keine Pornos, wähle nicht die Grünen, (…) und vor allem, lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts."
Wie Lauterbauch auf TikTok auftreten wolle, fragte der Moderator im Anschluss den Gesundheitsminister. Der hatte sich jüngst einen Account zugelegt. "So möchte ich auf jeden Fall nicht auftreten. Ich möchte mich nicht zum Gespött der Zuschauer machen", sagte Lauterbach und erntete dafür jede Menge Beifall. Nicht jede Art von Bekanntheit sei ein Erfolg. "Wie erfolgreich das ist, werden wir bei der Europawahl sehen", kommentierte er.
Das ist das Rede-Duell des Abends
Man brauche eine Aufklärung der jungen Menschen darüber, wie soziale Medien und das Internet funktionieren, forderte Lobo. "Seit fast 20 Jahren fordere ich ein Schulfach Interneterziehung", schob er hinterher.
"Das geht überhaupt nicht weit genug", schaltete sich YouTuber Prinz ein. Lobo verteidigte: "Ich finde das schon ziemlich weit und so, wie die deutsche Bildungspolitik unterwegs ist, wird 2065 bestimmt was passieren." Prinz argumentierte weiter: "Wir müssten ganz grundlegend erstmal bei den Menschen ansetzen, die die Kinder tagtäglich im Unterricht haben, mit denen über Dinge sprechen – also bei der Lehrerbildung ansetzen."
So hat sich Louis Klamroth geschlagen
Klamroth bremste die Debatte, die ohnehin zu wenig aufkam, an entscheidenden Stellen ab – beispielsweise, als Lobo den Erfolg der AfD auf TikTok erklärte. Die zahlreichen Einspiel-Videos waren unterhaltsam und illustrierend, dürften sich einem Großteil der Zuschauer jedoch nicht erschlossen haben. Hängen blieben an diesem Abend wenige Fragen, denn sie wirkten teils zusammenhangslos und wenig zielführend, etwa: "Sollten Politiker bei Instagram und Co überhaupt mitmachen?". Das kann Klamroth besser.
Das ist das Ergebnis bei "Hart aber Fair"
Die AfD hat die Plattform TikTok besser verstanden als andere Parteien. Beispielsweise, dass sie jungen Menschen als eine Art neues Google dient. Für den Erfolg der rechten Partei wollte die Runde die App jedoch nicht verantwortlich machen. "Der große Erfolg der AfD auf TikTok ist eine Folge des Versagens der Politik in vielen anderen Bereichen", konstatierte Lobo treffend. Ein Verbot von TikTok hielt aktuell niemand in der Runde für sinnvoll. Lauterbach forderte jedoch, stärkere Regulierungen zu erwägen. Zu einem Verbot sagte er: "An dem Punkt sind wir noch nicht."
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