Noch ist Friedrich Merz nicht im Amt, doch durch seine Kehrtwende bei der Schuldenbremse hat der kommende Kanzler bereits vor Amtsantritt Vertrauen verloren. Am Sonntagabend erklärte Merz nun bei "Caren Miosga" seine Gründe und ob nun der versprochene Politikwechsel kommt. Seine Antwort: Ja, aber.

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Die Themen des Talks

"Geht so Ihr Politikwechsel, Herr Merz?", fragt Caren Miosga am Sonntagabend Friedrich Merz, der diesmal der einzige Gast ist. Dass Merz diese Frage mit einem "Ja" beantworten wird, scheint schon vorher klar zu sein, daher sind vor allem die Nachfragen von Miosga interessant. Und hier sollte es der Journalistin um Folgendes gehen: die Koalitionsverhandlungen, die Befindlichkeiten innerhalb des neuen Kabinetts sowie die neue Migrations-, Wirtschafts-, Finanz- und Außenpolitik.

Der Gast

  • Friedrich Merz (CDU). Merz wurde nach den Versuchen von 2018 und von 2021 im dann dritten Anlauf 2022 zum Bundesvorsitzenden der CDU gewählt, in der er seit 1972 Mitglied ist. Merz saß von 1989 bis 1994 im Europäischen Parlament und zwischen 1994 und 2009 im Deutschen Bundestag. Danach wechselte Merz in die Wirtschaft, saß in Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten verschiedener Unternehmen und arbeitete als Rechtsanwalt und Wirtschaftslobbyist.

Bei Caren Miosga sitzt Merz nun als kommender Bundeskanzler und erklärt, dass er nach den anstrengenden Koalitionsverhandlungen nun ein paar Tage Urlaub brauche. Sein Resümee der Verhandlungen: "Wir haben eine guten Koalitionsvertrag gemacht, die Arbeit hat sich gelohnt."

Caren Miosga, Friedrich Merz
Friedrich Merz war bei Caren Miosga zu Gast. © NDR/Claudius Pflug

Die persönlichen Offenbarungen des Abends

Was genau oder zumindest ungenau die neue Regierung vorhat, kann man im Koalitionsvertrag nachlesen. Da die baldige Regierung naturgemäß noch keines dieser Ziele erreicht oder verfehlt hat, ist es an diesem Abend besonders spannend, was Friedrich Merz über die vielen Dinge, die nicht oder zwischen den Zeilen im Koalitionsvertrag stehen, zu sagen hat. Dass er über Lars Klingbeil "Zwischen uns beiden ist ein gutes Vertrauen gewachsen" sagt, gehört allerdings nicht dazu, denn mit Klingbeil will es Merz die kommenden vier Jahre wahrscheinlich noch aushalten.

Eine kleine Nuance interessanter ist da Miosgas Frage zum bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Der erschien ihr bei der Vorstellung der Verhandlungsergebnisse nämlich ein bisschen zu klamaukig, sodass Miosga Merz fragt, ob Söder für ihn "wie der peinliche Onkel am Kaffeetisch" sei. Auch hier verhält sich Merz diplomatisch und bescheinigt Söder eine "besondere Art des Humors", der bei den Verhandlungen aber hilfreich gewesen sei.

Später will Miosga das Verhältnis von Merz und Söder aber noch einmal genauer beleuchten und fragt, ob die Besetzung von drei Ministerien, fünf Staatssekretären und davon einer im Auswärtigen Amt, wodurch Söder auch bei der Migrationspolitik mitreden könne, der Preis dafür gewesen sei, "dass Sie die Kanzlerkandidatur bekommen"? "Nein", antwortet Merz sofort, das sei eine längere Verabredung gewesen und entspreche außerdem den Stimmenverhältnissen der Wahl.

Die sachlichen Offenbarungen des Abends

Angesichts der neuen Politik der US-Regierung habe Merz bei den Koalitionsverhandlungen den Forderungen der SPD nach Steuererhöhungen eine Absage erteilt. Gleichzeitig schränkt Merz bei den Steuererhöhungen ein: "Man soll nie nie sagen. Wir wissen nicht, was noch auf dieser Welt passiert. Ich denke, wir werden die Krise als das neue Normale erleben." Zu diesem neuen Normalen zählt auch die Abkehr der USA vom westlichen Bündnis wie es einmal war. Das sei für Merz auch der Grund für seinen Umschwung bei der Verschuldung gewesen.

"Wir haben nach dieser Bundestagswahl in einer noch viel schwierigeren Lage gestanden, als wir das ursprünglich gedacht haben", erklärt Merz. Eine Woche vor der Bundestagswahl sei die Münchener Sicherheitskonferenz gewesen und über die sagt Merz: "Ich bin jetzt seit 30 Jahren auf dieser Konferenz. Ich hab so etwas noch nie erlebt. Auch so eine offene Konfrontation der Amerikaner gegen uns. Das war mal früher eine Konferenz des transatlantischen Bündnisses. Plötzlich stehen die Amerikaner auf der anderen Seite und belehren uns über unsere Demokratie, statt über Außen- und Sicherheitspolitik zu sprechen. Das alles hat Spuren hinterlassen, auch bei mir."

Beim Thema Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik sei Merz zu 90 Prozent mit den Vereinbarungen zufrieden, gerade für die Unternehmen. Das Paket könne sich insgesamt sehen lassen, vor allem bei den Bürokratiekosten werde viel passieren. "Das, was wir machen, ist wirklich eine große Unternehmenssteuerreform", so Merz.

Beim Wirtschaftswachstum werde es hingegen länger dauern, bis sich Verbesserungen zeigen. "Es wird jetzt keinen schnellen Gewinn geben", erklärt Merz, ihm gehe es aber auch darum, dass sich die Stimmung der Menschen bessere. Gleichzeitig muss Merz über die Pläne der Regierung festhalten: "Wir haben alles, was wir tun wollen, natürlich unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Das muss man machen." Erst müsse der Haushalt aufgestellt werden.

Über den jüngsten Angriff Russlands auf Zivilisten im ukrainischen Sumy mit 30 Toten und über 100 Verletzten sagt Merz: "Ich sage mal allen, die naiv Putin in Deutschland auffordern, an den Konferenztisch zu kommen. Das ist die Antwort. Das ist das, was Putin mit denen macht, die mit ihm über einen Waffenstillstand sprechen. Das ist eines der schwersten Kriegsverbrechen." In Abstimmung mit den Partnern solle Deutschland Taurus-Systeme liefern, um die Ukraine aus der Defensive zu holen und "vor die Lage zu kommen".

Die Widersprüche des Abends

Miosga konfrontiert Merz mit seiner früheren Aussage, unter ihm als Kanzler werde vom ersten Tag an dauerhaft an deutschen Grenzen kontrolliert und alle Versuche illegaler Migration zurückgewiesen. "Das steht fast wörtlich so im Koalitionsvertrag", antwortet Merz auf Miosgas Frage, ob das noch gelte und bekräftigt: "Das wird passieren." So weit, so scheinbar klar, doch Miosga erinnert Merz daran, dass er dafür die Hilfe der Nachbarländer brauche und das auch wisse, weshalb im Koalitionsvertrag "in Abstimmung mit den Nachbarstaaten" stehe.

"Heißt, die Nachbarstaaten müssen zustimmen?", fragt Miosga und fortan wankt Merz’ vorher so vehement vorgetragene Bestimmtheit. Er mache diese Abstimmung mit den Nachbarstaaten bereits, außerdem sei "enorm Bewegung in Europa". Mit anderen Worten: So einfach wie Merz es vor der Wahl dargestellt hat, ist es eben doch nicht. Statt "Das wird passieren" müsste Merz sagen: "Wir müssen uns mit den anderen abstimmen, also verhandeln."

Gleichzeitig behauptet Merz, die Nachbarländer müssten die Menschen gar nicht zurücknehmen, denn "die sind noch gar nicht bei uns". Nur Minuten später erklärt Merz aber, man wolle "eine Rückführungsoffensive" starten.

Die Zahl der Flüchtlinge, mit denen Deutschland klarkomme, könne Merz nicht "quantifizieren". Er habe sich immer gesträubt, abstrakte Zahlen zu nennen. "Das kommt auch immer darauf an, wie viele sind schon da, welche Probleme sind mit denen, die da sind, heute schon verbunden", so Merz. Kurz darauf behauptet Merz: "Wir haben aber insgesamt zu viel", deshalb müssten jetzt die Zahlen "drastisch runter und wir sind noch nicht da, wo wir sein sollten".

Wo dieses "wo wir sein sollten" genau ist, darauf solle man ihn allerdings nicht festnageln, aber "es darf keine sechsstellige Zahl sein". Zusammengefasst: Die Zahl an geflüchteten Menschen sei Merz viel zu hoch, obwohl er diese Zahl nicht genau benennen kann. Gleichzeitig müsse sie runter auf eine Zahl, auf die man ihn nicht festnageln dürfe, die aber nicht sechsstellig sein dürfe. Würde bedeuten: 99.999 Geflüchtete sind okay, 100.000 gehen aber auf gar keinen Fall. Merz hätte auch sagen können: In der Praxis ist das doch alles viel komplizierter und noch ein bisschen unmenschlicher, als es im Wahlkampf klang.

Der Schlagabtausch des Abends

Dass es am Sonntagabend keinen wirklichen Schlagabtausch gab, lag zum einen natürlich daran, dass es neben Friedrich Merz keinen weiteren Gast gab. Wenn, dann hätte sich Merz also mit Caren Miosga streiten müssen. Das wiederum ist alleine deshalb schwierig, weil Miosga dazu eine Gegenposition hätte vertreten müssen. Das allerdings ist nicht ihre Rolle als Moderatorin, stattdessen muss sie kühl, vehement und vorausschauend nach- und hinterfragen, was Merz da erklärt, umschifft und behauptet.

Das gelang Miosga auch in weiten Teilen, trotzdem war der Talk alleine schon angesichts des Ernstes der Lage ein wenig zu oft zu locker – ein Umstand, der Merz in die Karten spielte. Zum einen, weil er so unter dem Deckmantel der Lockerheit auch mal ausweichen konnte, zum anderen, weil er, wie er an diesem Abend verriet, nach den eher sachlichen Amtsführungen von Merkel und Scholz wieder mehr Begeisterungsfähigkeit in die Politik bringen wolle: "Ich bin ein zutiefst rationaler Mensch, aber ich kann auch Emotion." Eine Behauptung, die Miosga wiederum nicht hinterfragte.

Der Erkenntnisgewinn

"Geht so Ihr Politikwechsel, Herr Merz?", lautete die Kernfrage von Caren Miosga für diesen Abend. "Ja", würde Friedrich Merz vermutlich offiziell sagen, die Antwort, die er bei Miosga gab, war allerdings ein "Ja, aber". Ja, aber die SPD hatte Vorstellungen wie das Aus der Atomkraft durchgesetzt. Ja, aber dafür haben wir vieles erreicht, zum Beispiel bei der Besetzung der Ministerien oder beim Nein zu Steuererhöhungen. Ja, aber, weil sich die Lage noch verschlechtern könnte. Ja, aber ich musste mir diesen Politikwechsel mit dem Verlust von Glaubwürdigkeit erkaufen. Ja, aber das war notwendig, weil sie die Lage durch die Politik der US-Regierung noch einmal dramatisch zugespitzt hatte. Ja, aber, weil all das im Koalitionsvertrag Beschlossene unter Finanzierungsvorbehalt steht. Und zum Schluss gibt es noch ein "Ja, weil", wir das alles, so Merz’ Botschaft, trotz der vielen "Ja, aber" wollen – und müssen.