Da ist Dampf drin: Bereits nach wenigen Minuten entbrennt am Donnerstagabend bei "maybrit illner" eine hitzige Diskussion über die Gewalt gegen Polizisten in Stuttgart im Speziellen und gegen die Gewalt gegen die Polizei im Allgemeinen. Trotzdem halten sich die Erkenntnisse des Abends in Grenzen.

Christian Vock
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Vock dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Szenen aus Stuttgart mit den Plünderungen, Zerstörungen und der Gewalt gegen Polizisten werfen immer noch Fragen auf. Wie konnte es zu einer solchen Gewalteskalation kommen? War das ein einmaliger Vorfall oder steckt hier genereller Hass gegen die Polizei dahinter? Was erleben Polizisten in ihrem Arbeitsalltag und gibt es strukturellen Rassismus in der Polizei?

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Diese und ähnliche Fragen stellt am Donnerstag Maybrit Illner beim Thema "Feindbild Polizei – Hass, Gewalt und Machtmissbrauch?"

Mit diesen Gästen diskutiert Maybrit Illner:

  • Wolfgang Bosbach (CDU), ehemaliger Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages
  • Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK)
  • Cem Özdemir (B'90/Die Grünen), ehemaliger Parteivorsitzender
  • Idil Baydar, deutsche Kabarettistin

Das sind die Themen bei "maybrit illner":

Die Gewalt in Stuttgart

Ob er eine Erklärung für die Gewalt in Stuttgart habe, will Illner von Özdemir wissen und der gibt sich nicht mit der erstbesten Erklärung zufrieden: "Keine einfache, die man in einem Satz zusammenfassen kann." Er spricht von einem "harten kriminellen Milieu", aber auch von herbei telefonierten Trittbrettfahrern. "Ich hoffe, dass so viele Täter wie möglich zur Rechenschaft gezogen werden", erklärt der Grünen-Politiker, fordert aber auch Ursachenforschung, warum Jugendliche so etwas machen: "Da ist es mir erstmal egal, welche Herkunft sie haben. Es sind unsere Jugendlichen aus Stuttgart, aus der Umgebung. Das darf sich nicht wiederholen."

Sebastian Fiedler verweist bei den Gründen und Hintergründen der Taten auf die noch laufende Ermittlungsarbeit, sieht aber bei den Tätern eine Gemeinsamkeit: "Was sie eint, ist, dass sie den Staat in Gänze offensichtlich ablehnen, weil sie ja nun die staatlichen Behörden als Feindbild begriffen haben." Für Fiedler sei solche Gewalt aber kein Stuttgarter und kein deutsches Phänomen: "Wir haben in Europa Destabilisierungselemente, mit denen wir uns intensiver auseinandersetzen sollten."

Idil Baydar will stattdessen auch die andere Seite beleuchten. Sie bezieht die Black-Lives-Matter-Bewegung in die Diskussion mit ein, bei der es um Polizeigewalt geht. Das werde in der Stuttgart-Diskussion überhaupt nicht berücksichtigt. Die bereits attestierte grundsätzliche Ablehnung des Staates sieht Baydar hingegen nicht: "Dass es eine generelle Staatsfeindschaft gibt, finde ich wirklich polemisch und übertrieben bis zum Gehtnichtmehr."

Die AfD und Grünen-Politiker Boris Palmer wollen laut Illner bereits während der Ermittlungen einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Migranten unter den Tätern festgestellt haben. Dazu erklärt Cem Özdemir: "Wenn man jetzt mal zählt, bei denen, die da festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt worden sind, ist es ungefähr repräsentativ, was die Zusammensetzung der Jugendlichen unter 18 Jahren in Stuttgart betrifft. Das ist ungefähr so wie sich Stuttgart zusammensetzt."

Gewalt gegen Polizisten

Seit wann man auf Gewalt gegen Polizisten gefasst sein muss, will Illner wissen und Fiedler erklärt: "Spätestens seit sich die Gesellschaft so zunehmend polarisiert hat." Idil Baydar erklärt hierzu: "Die Dinge haben sich entwickelt." Die Politik habe die Polizei massiv beschnitten: "Wir haben eine absolut überforderte Polizei. Die Polizei trägt auch nicht die Verantwortung an diesen Missständen. (…) Was man nicht vergessen darf, ist, dass wir als Migranten ständig im Visier sind", erklärt Baydar und verweist auf die Seelenlage von Migranten seit den Morden von Hanau "Wir sind traumatisiert. (…) Wir Migranten wissen: Die Polizei schützt uns nicht. NSU."

Polizei und Rassismus

Bereits bei der Diskussion um die Gewalt in Stuttgart streift Baydar das Thema Rassismus in der Polizei: "Eines ist natürlich auch klar - wir haben den Polizeifunk gehört: 'Das ist Krieg, ich übertreibe nicht. Das sind nur Kanaken!' Glauben Sie ernsthaft, dass ein Polizist, der so ran geht an migrantische Jugendliche, auch nur annähernd Respekt erfährt? (…) Respekt geht in zwei Richtungen."

Etwas später bringt Wolfgang Bosbach das Thema Rassismus aus einer anderen Perspektive auf den Tisch. In einem anderen Fall, ebenfalls in Stuttgart, hätten Passanten Polizisten Rassismus unterstellt, als diese im Zuge einer Fahrkartenkontrolle die Personalien eines Mannes mit dunkler Hautfarbe feststellen wollten, erzählt Bosbach und stellt fest: "Das Problem der Sicherheit in unserem Land ist nicht die Polizei. Das Problem sind die Kriminalität und Kriminelle."

Später dann geht es um die Frage, ob die Polizei ein punktuelles Problem mit Rassismus in den eigenen Reihen hat oder ein strukturelles. Cem Özdemir erklärt: "Der Vergleich zwischen der deutschen und der US-Polizei ist ein falscher Vergleich. Wir haben uns als Politiker vor die Polizei zu stellen." Gleichzeitig hält Özdemir fest: "Es sind Einzelfälle, aber es sind mir ein bisschen zu viele Einzelfälle."

Sebastian Fiedler rechtfertigt sich gegenüber den Vorwürfen: "Wir haben diesen Beruf ergriffen, weil wir gegen diese Typen vorgehen wollen. Deshalb müssen wir solchen Strömungen in der Polizei nachgehen." Bei der Frage, wie strukturell Rassismus in der Polizei sei, erklärte Fiedler: "Wir wissen es nicht genau." Man kenne nur die herausragenden Fälle wie Nordkreuz.

Die Bekämpfung und Offenlegung rassistischer Einstellungen sei laut Fiedler aber schon im eigenen Interesse der Polizei: "Wir müssen eines zur Kenntnis nehmen: Dass es Teile der Gesellschaft gibt, in denen dieses Vertrauen erschüttert ist. Das sagen auch Migrantenverbände. Ich glaube, wir müssen um dieses Vertrauen werben." Schwarze Schafe hätten in der Polizei nichts zu suchen, denn "wir haben einen Eid auf diese Verfassung geschworen".

Der Schlagabtausch des Abends:

Es dauert nur ein paar Minuten, dann raucht es schon gewaltig, was zu einem nicht unerheblichen Teil an Idil Baydar liegt. Je nach Lesart bringt sie Leidenschaft oder aber Schärfe in die Diskussion. Das führt zum einen dazu, dass fast alle in der Runde mit offenem Visier sprechen, aber auch dazu, dass es hier und da etwas polemisch wird.

Als Baydar etwa feststellt, dass wegen der Aufbauschung der Clan-Kriminalität etwas nicht ganz richtig laufe, spottet Fiedler: "Hier läuft heute Abend was nicht richtig." Und als Wolfgang Bosbach über Clankriminalität spricht, sagt er: "Da finden sie keine schwedischen Volkstanzgruppen." Aber auch Baydar wird unsachlich und empfiehlt Wolfgang Bosbach, nicht immer nur die "Bild"-Zeitung zu lesen, sondern auch einmal "Die Zeit".

Das ist insofern schade, da hierdurch die eigentlichen Argumente etwas untergehen, so dass Cem Özdemir irgendwann feststellt: "Wir haben die Wahl, es holzschnittartig zu machen oder differenziert."

Der Hinweis des Abends:

Angesichts der teils hitzigen Diskussion kann der Hinweis von Cem Özdemir über die Gewalt in Stuttgart auch außerhalb der "illner"-Runde nur hilfreich sein: "Es gab früher mal einen Grundsatz in der deutschen Politik. Dass man erstmal die Polizei ihre Arbeit machen lässt. (…) Und dann setzen wir uns hin und unterhalten uns über die Schlussfolgerungen. Da gibt es wahrscheinlich Streit und auch Gemeinsamkeiten. Das ist außer Kraft gesetzt. Wir haben es mittlerweile in Echtzeit mit Bildern über soziale Medien zu tun. Die AfD insbesondere, hier zum Glück niemand, hat dann sofort schon den Täter und weiß immer gleich: Die waren's nicht oder die waren's und dann arbeitet man sich daran ab. Ich hätte gerne wieder dieses alte Prinzip."

Das Fazit:

Es ist eine wichtige und hitzige Diskussion, bei der man aber über jeden einzelnen Punkt Stunden diskutieren könnte. Dementsprechend bleibt es bei einigen Themen zu oberflächlich, zum Beispiel bei der nicht gestellten Frage, warum man Polizisten bei der Fahrscheinkontrolle eines Menschen mit dunkler Hautfarbe überhaupt Rassismus unterstellt.

Es gibt also noch viel zu klären und so kann man Sebastian Fiedlers Schlussworte dann auch als Einladung auffassen: "Wenn bei Migrantenverbänden der Eindruck entsteht, sie würden schlecht behandelt, sollten wir reden darüber. Wo ist das Problem?"

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.