Es ging nicht um Kriegsprognosen, Sanktionspolitik oder Waffenlieferungen: Am Montagabend (28.) stellte Frank Plasberg die Menschen, die vor Putins Bomben fliehen, in den Mittelpunkt und fragte: "Wie gut kann Deutschland helfen?" Während der bayerische Innenminister Joachim Hermann (CSU) sich mit einer Sozialdezernentin über Registrierungen von Flüchtlingen uneins war, blieb es beim "Moment des Abends" ziemlich still im Studio.

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Der Krieg in der Ukraine tobt weiterhin, Berichte von Kriegsverbrechen mehren sich: Angriffe auf zivile Objekte und Zivilbevölkerung, vorsätzlich verursachtes Leid, willkürliche Zerstörung. Millionen Menschen sind vor Putins Bomben auf der Flucht – die meisten kommen in Polen an, doch auch in Deutschland nehmen die Zahlen der Ankömmlinge stetig zu. Ihnen widmete Frank Plasberg am Montagabend (28.) seine Sendung.

Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

272.338 ukrainische Flüchtlinge hat das deutsche Bundesinnenministerium bis heute gezählt, die tatsächliche Zahl dürfte deutlich darüber liegen, denn: Ukrainische Flüchtlinge müssen sich zurzeit in Deutschland nicht registrieren. Während 2015 innerhalb eines Jahres rund 1,2 Millionen Menschen in die EU kamen, sind es nun schon mehr als 3,5 Millionen in vier Wochen.

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Plasberg wollte deshalb nicht über Putin, Waffenlieferungen und Kriegsszenarien sprechen – sondern über die Menschen, die in Deutschland Hilfe suchen und leisten. Seine Gäste fragte er: "Finden die Flüchtlinge die nötige Geborgenheit? Sind Staat und Gemeinden diesmal besser vorbereitet? Wie lange trägt die private Solidarität?"

Das sind die Gäste

Luise Amtsberg (B‘90/Grüne): Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe sagte: "Putins Angriffskrieg erfordert, dass wir alle an einem Strang ziehen: Von der EU bis in die Kommune." Kritik sei derzeit bei Fragen der Registrierung und Verteilung sicher noch angezeigt. "Da gibt es nach wie vor Probleme und die müssen zwingend angegangen werden", gab sie zu. Eine weitere Wahrheit sprach Amtsberg aus: "Es ist nicht möglich, innerhalb von drei Wochen solche Strukturen aufzubauen", sagte sie mit Blick auf Unterbringung, psychosoziale Betreuung, Beschulung und Arbeitsmarktregelungen.

Joachim Herrmann (CSU): "So viele Menschen aufzunehmen schaffen wir nur, wenn die Menschen auch gerecht verteilt werden. Dafür braucht es aber dringend eine Registrierung", forderte der bayerische Innenminister. Die Situation sei geordneter als es vor sieben Jahren der Fall war. "Es ist höchste Zeit, dass der Bund sagt, wie viel Geld die Kommunen für ihre großartige Kraftanstrengung bekommen", forderte Hermann.

Isabel Schayani: Die ARD-Moderatorin berichtete aus ihrer persönlichen Erfahrung: "Die meisten Ukrainer, die geflüchtet sind, sehen sich als vorübergehende Gäste und nicht als Flüchtlinge." Bei Plasberg wunderte sie sich über die Entspanntheit des Bundes. Bund und Länder seien "im Yogasitz", die Situation sei überhaupt nicht geordnet. "In jeder Stadt ist es komplett anders", klagte sie und berichtete von Online-Registrierungsverfahren in Hamburg und fehlenden Datenlese-Geräten in Köln.

Heike Jüngling: "Die Kommunen sind schon am Anschlag und werden vom Bund ziemlich alleingelassen", beschwerte sich die Sozialdezernentin der Stadt Königswinter in Nordrhein-Westfalen. Hilfsbereitschaft und Ehrenamt seien groß – reichten aber nicht aus. "Die Strukturen müssen her, die Regeln müssen her", forderte sie. Über einen Monat nach Kriegsausbruch habe man für die geflüchteten Menschen und Ehrenamtlichen die wichtigsten Antworten nicht parat. "Ich glaube nicht, dass es zum Dauerzustand werden kann, das Gästezimmer genutzt werden", mahnte sie.

Julia Kroß: Die Unternehmensberaterin, die zusammen mit ihrem Mann fünf ukrainische Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen hat, sagte: "Wenn Menschen von heute auf morgen alles verlieren, kann ich nicht still sitzen bleiben." Schon am Tag der russischen Invasion sei die Entscheidung gefallen, Menschen aufzunehmen. Es sei allerdings nun ein "full-time-job". Kroß riet: "Wichtig ist es, Rückzugsräume zu haben und den Menschen erwartungslos zu begegnen." Man brauche Spontaneität, Flexibilität und Erfindungsreichtum.

Oksana Ilchenko: "Endlich fühlt sich meine Tochter psychisch besser. Sie springt, tanzt und lacht wieder", berichtete die Deutschlehrerin aus Kiew, die mit ihrer Mutter und Tochter nach Deutschland flüchtete. Hier fühle sie sich in Sicherheit. Von Deutschland wünschte sie sich noch mehr Klarheit in der Kommunikation: "Ich habe nicht den Eindruck, dass hier bis zum Ende erklärt wird, wie schrecklich es in der Ukraine ist", sagte sie. Ihre Nation werde von den Russen vernichtet. Ilchenko warnte: "Es kann das Ende von Europa sein, sie haben Atombomben und wir haben Atomkraftwerke, die bombardiert werden könnten."

Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

Auch bei den Zuschauern sind Tränen geflossen, berichtete die "Hart aber fair"-Zuschaueranwältin Brigitte Büscher. Tatsächlich war es ungewöhnlich still im Studio, als Oksana Ilchenko von ihrem Schicksal berichtet. "Ich hoffe jeden Tag darauf, dass ich am nächsten Tag nach Hause fahre", sagte sie, sichtlich um Fassung bemüht.

Ihre Tochter frage jeden Tag nach dem Vater, der als Offizier in der Ukraine zurückblieb und dort für sein Heimatland kämpft. "Ich versuche mit ihr nicht über den Krieg zu sprechen, um meine Versprechen nicht zu brechen", sagte die Mutter. Für ihre Tochter wünsche sie sich eine normale Kindheit. "In Deutschland hat sie diese Möglichkeit gefunden. Danke für diese Möglichkeit", sagte Ilchenko.

Sie gab zu: "Ich träume davon, dass meine Gastfamilie mich in meinem Haus in einer friedlichen Ukraine besuchen kann." Warum ihr Bericht der Moment der Sendung war, brachte Journalistin Schayani auf den Punkt: "In einer Talkrunde klingt der Krieg abstrakt", erinnert sie. In dem Moment, wo man Ilchenko zuhöre, merke man aber, "dass das eine Dimension hat, die wir kaum begreifen können."

Das ist das Rede-Duell des Abends

CSU-Politiker Hermann hatte die Vorlage von Plasberg zur Registrierung der Flüchtlinge dankend aufgegriffen und beteuert: "Das ist zur Sicherheit unseres Landes und zur Sicherheit der Flüchtlinge notwendig". Da schritt Sozialdezernentin Jüngling ein: "Es geht nicht nur um Sicherheit, sondern um Asylleistungen für Ukrainer. Das ist das eigentliche Problem! "

Es gehe nicht darum, dass Straftäter unentdeckt blieben, sondern darum, als Kommune schnell Hilfeleistungen auf den Weg zu bringen. Hermann verteidigte sich: "Man kann doch jetzt nicht ernsthaft erwarten, dass der Staat oder die Kommune an jeden X-beliebigen, der nicht registriert ist und von dem man keinen Ausweis hat, anfängt Geld auszuzahlen." Jüngling holte ihn in den Alltag zurück: "Wenn die Not da ist, zahlen wir auch ohne Registrierung aus und das erfolgt in allen Kommunen so."

So hat sich Frank Plasberg geschlagen

Der Spagat zwischen technischen Verwaltungsfragen und menschlichen Schicksalen gelingt Plasberg an diesem Abend. Während er Ilchenko einfühlsam von ihren Erlebnissen berichten ließ, richtete er an die Gäste der Talkrunde die harten Fragen: "Was ist mit der Blaupause 2015, haben Sie die Pläne in der Schublade nicht gefunden?", wollte er etwa von Sozialdezernentin Jüngling wissen und den bayerischen Innenminister Hermann fragte er: "Sind sie gelassen oder haben Sie bislang noch keinen Plan?"

Nur einmal grätschte er an einer Stelle dazwischen, die sich zu vertiefen gelohnt hätte. Amtsberg wollte von der Runde mit Blick auf die Versorgung der Flüchtlinge wissen: "Ist es eigentlich Konsens, dass wir diese ganzen Notstrukturen nicht brauchen werden?" Plasberg ließ die Debatte nicht zu: "Das müssen Sie auf Arbeitsebene diskutieren", watschte er sie ab.

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Es ist wie so häufig: Das Problem liegt auf dem Tisch, jeder beschreibt es aus seiner Perspektive, aber in den Verantwortungsfragen klärt sich kaum etwas. Was wann und vor allem wie schnell in Sachen Flüchtlingsversorgung passieren wird, konnte niemand hinreichend beantworten. Gezeigt hat sich aber, wie wertvoll der Bericht von einer ukrainischen Geflüchteten und einer Ehrenamtlichen war. Das half allen Talkshow-Gästen nicht nur im Verwaltungs-Kosmos zu verweilen.

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