Mehrere Male drohte Putin bereits mit einer atomaren Eskalation. Umso gespannter wurden die russischen Feierlichkeiten zum 9. Mai vom Westen beobachtet. Aus diesem Anlass diskutierte Frank Plasberg bei "hart aber fair" am Montagabend die Interpretation von Putins Parade. Äußerst interessant waren dabei die Erklärungen von Militärexpertin Claudia Major zum Sinn der Drohungen und dem Ablauf eines Nuklearkrieges.

Christian Vock
Eine Kritik
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Am Montag feierte Diktator Wladimir Putin mit einer Militärparade den Sieg über Nazi-Deutschland. Im Vorfeld der Feier wurde spekuliert, was Putin sagen würde – von Generalmobilmachung bis zum Ausrufen des Sieges war alles dabei. Nun ist klar, was Putin gesagt hat und dementsprechend fragt Frank Plasberg am Montagabend bei "Hart, aber fair": "Putins Parade – Ist keine Drohung schon Hoffnung genug?"

Mit diesen Gästen diskutierte Frank Plasberg:

  • Claudia Major. Die Militärexpertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt, dass die westliche Unterstützung der Ukraine wirke, man aber ein abgestimmtes Vorgehen brauche: Erst schnelle Hilfe durch sofort einsetzbare Waffen, während man dann, bis diese Waffen wieder zerstört sind, die Zeit nutzt, um Ukrainer an westlichen Waffensystemen auszubilden.
  • Michael Roth (SPD). Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses glaubt, dass man sich nicht von Putin in irgendeiner Weise verunsichern lassen solle. Man solle ihn ernst nehmen, aber mit der massiven Unterstützung der Ukraine weitermachen. Denn nur aus einer Position der Stärke und der Wehrhaftigkeit heraus könne Schlimmeres verhindert werden. Roth ist sich sicher: "Wenn die Ukraine fällt, dann geht das Morden weiter. Moldau, Georgien, möglicherweise auch Kasachstan und noch viel schlimmer: der westliche Balkan, Bosnien-Herzegowina. Überall hat Russland seine Finger mit im Spiel und anerkennt nicht die Souveränität von Staaten."
  • Roderich Kiesewetter (CDU). Der Oberst a. D. und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss ist sich in der Einschätzung Russlands und der deutschen Schritte oft einig mit seinem politischen Kontrahenten Roth. Man müsse alles tun, damit die Ukraine diesen Krieg nicht verliert, "sondern, dass Putin dahingehend verliert, dass er sich aus der Ukraine zurückziehen muss."
  • Wolfgang Merkel. Politikforscher Merkel zitiert den CIA-Chef, der sagt, dass Putin den Krieg nicht verlieren könne, "weil damit seine politische Existenz und möglicherweise sogar seine physische Existenz gebunden ist." Man müsse, so Merkel, schnell zu einem Waffenstillstand kommen, "in dem sich beide Seiten erkennen können."
  • Gesine Dornblüth. Die Journalistin vergleicht die Situation in den Gebieten, die Russland besetzt hat. Hier sei die Lage im Sünden anders als die im Norden: "Da beobachten wir eine 'seichte' oder 'sanfte' Russifizierung, was ein Euphemismus ist, aber verglichen mit dem, was nördlich von Kiew passiert ist, mit den massenhaften Morden und Gräueltaten, ist es eben weiter im Süden tatsächlich vergleichsweise sanft", erklärt Dornblüth. Hier würden aber dennoch Bürgermeister, Journalisten oder Aktivisten verschleppt oder verschwänden.

Darüber diskutierte die Runde bei "Hart, aber fair":

Plasberg würde gerne irgendetwas Hoffnungsfrohes aus der Parade herausgelesen haben, doch da muss ihn Claudia Major enttäuschen. Für sie kamen die bekannten Narrative und Verdrehungen, vor allem "keine Abkehr von den Zielen." Für Wolfgang Merkel "hätte es besser kommen können", dann nämlich, wenn Putin von einem Sieg gesprochen hätte. Das wäre für Merkel "ein Einstieg in die Gesichtswahrung" Putins gewesen.

Michael Roth hingegen hält die Erzählung von einer Gesichtswahrung für einen Irrglauben. Putin brauche keine Gesichtswahrung, schließlich sei er Alleinherrscher und niemand würde ihm widersprechen. Roderich Kiesewetter glaubt, dass Putin an diesem Tag die "letzte Chance, den Krieg in der Weltöffentlichkeit zu beenden, vertan hat. Das heißt, wir müssen uns auf einen längeren Krieg einstellen."

Wolfgang Merkel macht auf die vielen Toten aufmerksam, die bei einem langen Krieg drohen. Deshalb müsse man schnell in einen Waffenstillstand kommen. Kiesewetter hingegen argumentiert, dass Selenskyi alles für Verhandlungen gemacht habe. "Die Antwort von Russland war Völkermord."

Claudia Major teilt die Sorge um den Horror eines langen Krieges, doch gehe Merkel von Fehlannahmen aus. Die Ukraine, wenn sie nun nachgeben würde, habe nicht die Wahl zwischen Krieg und Frieden: "Sie hat de facto die Wahl zwischen Krieg und Vernichtung oder Unterwerfung." Merkel müsse sich nur einmal ansehen, was in den besetzen Gebieten passiert. Zum anderen habe Russland auch gar kein Interesse an ehrlichen Verhandlungen.

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Der Schlagabtausch des Abends:

Wenn Politiker aus Regierung und Opposition in einer Talkshow zusammen zu Gast sind, ist Parteiengezänk in der Regel vorprogrammiert. Nicht so an diesem Abend: "Die Ukraine darf nicht zerfallen und da hat Parteipolitik nichts zu suchen", erklärt Roderich Kiesewetter, was zum einen Michael Roth den Hut ziehen lässt und zum anderen diesem Konfliktherd die Luft rauslässt. Stattdessen wird schnell deutlich, dass Wolfgang Merkel an diesem Abend wenig Verbündete bei seinen Argumenten hat.

Der Erklärungen des Abends:

Zur Halbzeit der Sendung bittet Frank Plasberg Militärexpertin Major zum Einzelgespräch, denn sie soll ihm und den Zuschauern verschiedene Fragen zum Einsatz von Atomwaffen erklären, schließlich droht Putin immer wieder damit. Also geht Plasberg mit Major einen kleinen Fragenkatalog durch, zum Beispiel:

  • Welchen Zweck hat die Vorführung der Atomraketen? "Die Botschaft ist sowohl nach innen: Wir können das, wir sind stark, wir haben auch die Atomraketen", erklärt Major. Die Botschaft sei aber auch an den Westen, dass man auch atomar eskalieren könne. Russland drohe zwar oft, fange diese Drohung aber auch immer wieder ein, so Major.
  • Wie ist der Ablauf einer atomaren Eskalation? Major: "Dazu gibt es kein Skript, muss man ehrlicherweise sagen." Es gäbe aber immer ein Abwägen zwischen Schnelligkeit und Kontrolle der Entscheidung, erklärt Major und fügt hinzu: "Es gibt keinen roten Knopf, auf den man einfach drauf drücken könnte und es gibt auch keine einzelne Person, die das entscheidet." Es gebe sowohl in Russland als auch in den USA jeweils drei Entscheidungsträger.

Das Fazit:

Es war auf der einen Seite eine Diskussion, bei der man die beiden grundsätzlichen Positionen bereits kennt. Hier Roth und Kiesewetter, die auf Unterstützung der Ukraine setzen, dort Wolfgang Merkel, Mitunterzeichner des "Emma-Briefes" an Olaf Scholz, der vor einer Eskalation durch Waffenlieferungen warnt.

Auf der anderen Seite bereicherte vor allem Claudia Major die Diskussion mit ihren Einschätzungen und Erklärungen. Mindestens genauso wichtig waren aber die Informationen, die Major dazwischen einstreute. So seien die Botschaften der Atom-Drohung wichtiger als die Abläufe der Eskalation. Es gebe einerseits die Botschaft, dass sich der Westen raushalten solle. Gleichzeitig aber habe Russland bislang eine Eskalation vermieden: "Die fürchten die nukleare Eskalation genauso wie wir", so Major. Die zweite Botschaft gehe an die westliche Öffentlichkeit "und soll Angst säen", um Druck auf die Regierungen aufzubauen.

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