- "Steckt die Verkehrswende im Stau?" Darüber diskutierte Anne Will am Sonntagabend (5.) mit ihren Gästen.
- Einig war sich die Runde nur in Sachen Tempo – mehr davon ist aus Sicht von allen nötig. Aber wo genau? Auch bei Autobahnen?
- Während Journalist Robin Alexander ein bedeutendes Momentum verstreichen sah, ärgerte sich FDP-Politiker Dürr über eine Forderung der Grünen-Vorsitzenden.
Grüne und FDP werden sich nicht einig beim Thema Verkehr. Streitpunkt: Liegt der Ausbau von Autobahnen im "öffentlichen Interesse" oder hat nur klimaschonende Infrastruktur Vorrang? Während die Liberalen den Bau von Schienen, Wasserwegen und Autobahnen beschleunigen wollen, fürchten die Grünen um die Priorität des Klimaschutzes.
Das ist das Thema bei "Anne Will"
Hauptfrage bei
Das sind die Gäste
Ricarda Lang (Grüne): Die Vorsitzende der Grünen sagte: "Wenn ich alles priorisiere, dann priorisiere ich am Ende gar nichts." Man müsse bei Infrastrukturprojekten die klimaschonenden Aspekte in den Mittelpunkt stellen. "Ich würde nie sagen, ich bin gegen das Auto", sagte die Grünen-Politikerin. Die Verkehrswende werde auf der Schwäbischen Alb anders aussehen als in Berlin-Mitte. "Sie muss aber bestimmte Parameter haben", meinte Lang. Diese seien: Bei individueller Mobilität mehr Freiheit zu schaffen und die Klimaziele einzuhalten.Robin Alexander : Der stellvertretende Chefredakteur der "Welt" sagte: "Ich habe so ein bisschen die Sorge, dass gerade ein Momentum verspielt wird". Die LNG-Terminals seien eine Reaktion auf ein großes Unglück gewesen, der schnelle Ausbau habe aber geklappt. "Jetzt wäre doch naheliegend zu sagen: Jetzt überlegen wir mal, wie wir das immer machen können", so der Journalist. Stattdessen führe man Diskussionen à la "Du willst mein Leben ändern" und "Dein Auto ist böse". Die Politik führe ein Theater auf und schaffe Gegensätze, die bei den Menschen nicht da seien – sie würden zu Fuß gehen, Radfahren, den ÖPNV nutzen und hätten gleichzeitig ein Auto.- Christian Dürr (FDP): "Wir müssen überall schneller werden. Das betrifft nicht nur die Autobahnen, auch Schienenverkehr beispielsweise ist in den letzten Jahren vernachlässigt worden", meinte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Dass man ein höheres Tempo könne, sei bei den LNG-Terminals unter Beweis gestellt worden. Das Argument, Autobahnen für den Klimaschutz langsamer zu bauen, sei Unsinn. In Berlin würden durch Stau über zehn Prozent der Emissionen entstehen.
- Katja Diehl: "Ich habe etwas gegen das Auto, wie wir es aktuell benutzen. 45 Minuten am Tag mit einer Person an Bord – das kann effizienter laufen", sagte die Aktivistin und Mobilitätsberaterin. Sie forderte ein "Grundrecht auf freie Wahl der Mobilitätsmittel", man dürfe nicht angewiesen sein auf ein Auto. "Autobahnen bauen gegen Stau ist wie den Gürtel zu lockern, wenn man abnehmen will", meinte Diehl. Es sei eine falsche und rückwärtsgewandte Maßnahme.
Thorsten Frei (CDU): "Autobahnen sind auch heute noch Lebensadern der Wirtschaft", so der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion. Viele Menschen seien darauf angewiesen, es gebe nicht für alle angemessene Alternativen. "Wenn Sie Umleitungen wegen kaputter Straßen haben, wenn Sie Staus haben, dann ist das gerade nicht klimaschonend", erinnerte er. Es gehe vorrangig um die Sanierung von Autobahnen und die Beseitigung von Engstellen. "Da wird man am Ende auch entsprechende Klimaeffekte haben", meinte Frei.
Das ist der Moment des Abends bei "Anne Will"
Robin Alexander kommentierte mit Blick auf einen Einspieler: "Die Versuchsanordnung ist doch delikat". In dem Einspieler hatte es geheißen, die Bundesregierung setze in Sachen Infrastruktur das um, was "im öffentlichen Interesse" liege. Alexander dazu: "Infrastruktur ist doch hoffentlich überall im öffentlichen Interesse. Wenn etwas im Bundesverkehrswegeplan steht, was nicht im öffentlichen Interesse ist, dann sollte es gar nicht gebaut werden und nicht besonders langsam". Etwas besonders langsam zu machen, weil die politische Kraft fehle, um es ganz abzuschreiben, sei "nicht die eleganteste politische Lösung".
Das ist das Rede-Duell des Abends
Lang rechnete vor, im Verkehrsbereich müsste 14-mal so viel passieren wie aktuell, um die Klimaziele einzuhalten. Es gebe aber nicht die eine einzige Maßnahme. "Wenn ich sage, ich will eher Geld sparen, brauche ich hartes Ordnungsrecht. Wenn ich sage, bei Ordnungsrecht will ich ein bisschen weniger, muss ich richtig Geld in die Hand nehmen. Dann könne man aber nicht gleichzeitig 30 Milliarden in den Neubau von Autobahnen investieren", sagte sie etwas kryptisch. Neue Technologien seien super, sie würden am Ende aber nicht ausreichen, um die Lücke bei den Klimazielen zu schließen.
Dürr griff die Aussage von Lang kurz danach auf: "Jetzt zu sagen, da müsste das Ordnungsrecht her, was heißt das denn konkret? Heißt das dann, dass Menschen nicht mehr ihr Auto benutzen dürfen? Das kann glaube ich für unsere Regierungskoalition keine Option sein."
Man müsse den Menschen die Möglichkeit geben, klimaneutral unterwegs zu sein. Lang antwortete mit einem Maßnahmen-Katalog bestehend aus Tempolimit, Abschaffung des Dienstwagen-Privilegs und mehr Investitionen in die Schienen.
So hat sich Anne Will geschlagen
Eine ganz so einfache Aufgabe war das für Will am Sonntagabend nicht: Erst versuchte Studiogast nach Studiogast eigene Werbe-Blogs zu platzieren, dann drohte die Debatte in eine Kreuzigung von Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) abzurutschen. Es gelang Anne Will, beides gekonnt abzufedern.
Wirklich die Zügel hatte sie trotzdem nicht in der Hand. Statt darauf zu drängen, wie die Ampel nun zu einer Lösung kommen kann, stellte sie Fragen wie: "Ist ein E-Auto auch ein schlechtes Auto?" und zu CDU-Mann Frei: "Sind Sie jetzt an dem Punkt, wo Sie sagen: Stopp, jetzt muss es anders werden, wir wollen keine Autobahnen mehr ausbauen?"
Das ist das Ergebnis bei "Anne Will"
"Einen Turbo einlegen", "mehr Tempo machen" oder "schneller werden" – mit den ein oder anderen Worten sagte es am Sonntag jeder Studiogast scheinbar einmal, dass die Politik einen Zahn zulegen muss in Sachen Infrastruktur.
Neu war die Erkenntnis nicht. Dazwischen wurde ziemlich viel mit Zahlen jongliert: Von 30 Prozent CO2-Einsparen bei einer Elektrifizierung der deutschen Dienstwagenflotten bis hin zur durchschnittlich 18-jährigen Bauzeit von Schienenprojekten. Das war ziemlich viel Bestandsaufnahme.
Zwar hatte man im Studio am Ende auch keine Lösung parat, Erkenntnis aber: Man kann nicht jede Einzelmaßnahme abschmettern, weil sie für sich gesehen das Klima nicht rettet.
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