Will die FDP den Rauswurf aus der Koalition provozieren? Partei-Vize Wolfgang Kubicki wehrte sich gegen den Vorwurf und verlor sich danach im Dauer-Zoff mit einer jungen Grünen-Politikerin. Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erklärte, warum er mit "sehr vielen Sorgen" auf den Zustand der Welt blickt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl hat die Ampel-Koalition die Kurve immer noch nicht gekriegt. 78 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage unzufrieden mit der Koalition. Ein neuer Beschluss des FDP-Präsidiums ("12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende") bedroht den Frieden des Bündnisses erneut. Die Punkte lesen sich, wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) feststellte, wie eine "Scheidungsurkunde für die Ampel". Erinnerungen an 1982 werden wach, als die Liberalen ihren Rauswurf aus der sozialliberalen Koalition von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) provozierten.

Mehr aktuelle News

Das war das Thema

Wie geht es nun weiter mit der Ampel? Wie viel Sprengstoff birgt das FDP-Papier tatsächlich? Maischberger diskutierte mit ihren Gästen unter dem Motto: "Überfordert die Ampel-Koalition das Land?". Mit dem ehemaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sprach die Gastgeberin über den Ukraine-Krieg und weitere außenpolitische Herausforderungen.

Das waren die Gäste

  • Wolfgang Kubicki: Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende brachte jüngst die Idee ins Spiel, dass die FDP die Koalition verlassen könnte und Rot-Grün als Minderheitsregierung bis zur Bundestagswahl weiter arbeiten könnte. Bei Maischberger bezifferte er die Chancen, dass es wirklich dazu kommt, als gering. Die Frage, ob das 12-Punkte-Papier der Liberalen nur geschrieben worden sei, um die Ampel zu sprengen, beantwortete Kubicki deutlich: "Nein!"
  • Svenja Appuhn: Die Bundessprecherin der Grünen Jugend nannte die Finanzierungsfrage das "Grundproblem der Koalition". Fortschritt machen, ohne Geld in die Hand zu nehmen – das funktioniert in ihren Augen einfach nicht. Deswegen sprach sich Appuhn klar für die Reform der Schuldenbremse aus – wogegen sich die FDP um Finanzminister Christian Lindner wehrt. Zudem forderte sie eine höhere Besteuerung für die Superreichen. Sie warf der FDP in den letzten zwei Jahren außerdem "Arbeitsverweigerung beim Klimaschutz" vor.
  • Karl-Theodor zu Guttenberg: Der ehemalige Bundesverteidigungsminister (CSU) macht sich mit Blick auf das Zusammenspiel und die Komplexität der Konflikte auf der Welt "schon sehr viele Sorgen". Hinzu kommt der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Krieg, die sich schon fast menschlicher Kontrolle entziehe. Er glaubt, dass sich die Kriege ausweiten könnten, wollte aber kein Weltkriegsszenario an die Wand malen. Die mögliche Wiederwahl Donald Trumps zum US-Präsidenten nannte zu Guttenberg ein "Desaster" für die Ukraine. Eine Rückkehr in die Politik schloss der ehemalige Minister weiter kategorisch aus.
  • Ulrich Wickert: Der Journalist und Schriftsteller ist mit der Ampel nicht zufrieden. Er sieht derzeit keinen Bereich, wo "ein Turnaround spürbar ist". Die Entscheidung der Amerikaner, die Ukraine mit einem Milliarden Dollar schweren Hilfsprogramm noch einmal zu unterstützen, müsste für Wickert Vorbild für Europa sein. "Wir müssen dringend den Taurus liefern", forderte der Journalist. CDU-Chef Friedrich Merz wird sich die Kanzlerkandidatur der Union "nicht nehmen lassen", prognostizierte Wickert.
  • Melanie Amann: Die stellvertretende "Spiegel"-Chefredakteurin attestierte der Ampel zu Beginn der Koalition zumindest ein "funktionierendes Krisenmanagement". Das ist lange her. Nun gibt es wieder mal Streit – um das neue FDP-Papier, in dem SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert einen Angriff auf die Koalition sieht.
  • Michael Bröcker: Für den Chefredakteur von "Table.Briefings" ist das FDP-Papier ein Dokument, das kurz vor der Europawahl vor allem nach innen gerichtet ist. "Das ist ein Papier für den Parteitag, für die eigenen Mitglieder." Er sieht keinen in der Koalition, der wirklich ein Interesse daran hat, das Bündnis eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl platzen zu lassen. Überlegungen zu einer Minderheitsregierung nannte er "fahrlässig und gefährlich". Bröcker vermutete, dass der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sich jüngst wieder als Kanzlerkandidat der Union ins Spiel gebracht habe, um seinen Preis hochzutreiben. Etwa um sich als künftiger Bundespräsident zu positionieren. Ein Gerücht, das im Übrigen nicht ganz neu ist.

Das war der Moment des Abends

Heiterer Moment gleich am Beginn der Sendung: Wer sind jene zwei Prozent, die laut einer Umfrage "sehr zufrieden" mit der Arbeit der Koalition sind, fragte Maischberger in die Runde. Bröcker spekulierte: Beamte, die neu eingestellt wurden? Oder die Kiffer, die sich über das neue Cannabis-Gesetz freuen? Maischberger vermutete gar, die Fehlerstreuung bei Umfragen könnte die Ursache sein. Soll heißen: In Wahrheit ist vielleicht niemand "sehr zufrieden". Dass immerhin rund 25 Prozent "zufrieden" mit der Koalition sein sollen, so die Erhebung, fand Melanie Amann überraschend. "Sind das Menschen, die auf der Durchreise sind durch Deutschland?"

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Das war das Rededuell des Abends

FDP-Mann Kubicki stellte fest, dass es der deutschen Wirtschaft "exorbitant schlecht geht". Grünen-Politikerin Svenja Appuhn unterbrach ihn daraufhin und sagte: "Woran unter anderem ihr Finanzminister einen großen Anteil hat!" Das brachte Kubicki auf die Palme. "Ich möchte mit den Phrasen wirklich nicht belästigt werden." Ein Satz, der von einer gewissen Überheblichkeit zeugte.

Maischberger pustete die Backen auf, Appuhn verdrehte die Augen. "Das sind tatsächlich wirklich nur Phrasen", ergänzte das FDP-Urgestein. Danach lieferten sich beide ein Wortgefecht um die Reform der Schuldenbremse und die künftige Steuerpolitik. Kaum zu glauben, dass das Duo Teil einer Koalition ist.

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

"Ich darf den Störfaktor hier begrüßen": Gleich zu Beginn der Sendung setzte Sandra Maischberger mit einer humorigen Begrüßung Wolfgang Kubickis den Ton der Sendung. In den folgenden 75 Minuten arbeitete sie sich dann vor allem an dem neuen FDP-Papier ab. Wollen die Liberalen wie 1982 nun raus aus der Koalition oder zumindest die Grünen raustreiben?

Kubicki verneinte zwar, aber es blieb ein Geschmäckle – auch wegen der hartnäckigen Nachfragen der Gastgeberin. Als sich der FDP-Mann und die junge Grüne Appuhn immer wieder gegenseitig ins Wort fielen, brachte Maischberger sie zur Räson: "Wenn Sie beide gleichzeitig reden, versteht kein Mensch mehr was." Auf Maischbergers Schlüsselfrage hatte niemand ihrer Gäste so recht eine Antwort: Warum produziert diese Regierung so viele handwerkliche Fehler?

Das ist das Fazit

Stünde die Debatte zwischen Wolfgang Kubicki und Svenja Appuhn stellvertretend für den Zustand der Ampel, würde wohl kaum jemand auf eine Fortsetzung der Koalition bis zu den Wahlen 2025 wetten. Ein älterer FDP-Mann und eine junge Grüne mit besonders linken Positionen – das konnte ja nicht gut gehen. Nach 75 Minuten Maischberger war immer noch unklar, was der inhaltliche Kitt ist, der dieses Bündnis bis Herbst 2025 zusammenhalten soll. Niemand hat wohl ein Interesse daran, diese Koalition zu sprengen – auch aus machttaktischen Erwägungen. Aber wo ist die Vision für die kommenden eineinhalb Jahre? Was will die Ampel bis dahin noch erreichen? Davon war von Kubicki und Appuhn nicht viel zu hören. Die Regierung droht schon jetzt zur "lame duck", zur lahmen Ente, die sich selbst blockiert, zu werden.

Michael Bröcker, Melanie Amann und Ulrich Wickert waren zu Gast bei Sandra Maischberger.
Michael Bröcker, Melanie Amann und Ulrich Wickert waren zu Gast bei Sandra Maischberger (v.l.n.r.) © © WDR/Oliver Ziebe

Nicht mal bei der Bewertung des Selbstbestimmungsgesetzes, das es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern, kamen die beiden auf einen Nenner. Dabei ist es eines der wenigen Erfolgsprojekte der Koalition. CDU-Chef Friedrich Merz dürfte sich in Anbetracht der fortlaufenden Ampel-Krise die Hände reiben.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.