Der Bundestagsabgeordnete Nils Schmid sichert Israel nach dem Terror der Hamas jegliche Unterstützung zu: Das Land habe jetzt jedes Recht, sich zu verteidigen. Im Interview sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion aber auch: "Es werden wieder Zeiten kommen, in denen man über eine politische Lösung sprechen muss."
Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel haben auch das politische Berlin geschockt. "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz. Den Platz an der Seite Israels", hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag im Bundestag gesagt.
Nach der Regierungserklärung des Kanzlers hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid Zeit für ein Interview. Seit 2018 ist der frühere stellvertretende Ministerpräsident von Baden-Württemberg außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Herr Schmid, zurzeit ist ein Satz häufig zu hören: Israels Sicherheit ist Deutschlands Staatsräson. Mit diesem Begriff können viele Menschen wenig anfangen. Wie erklären Sie ihn?
Nils Schmid:
Was bedeutet das konkret?
Wir leisten Israel jegliche Unterstützung. Das fängt an mit der medizinischen Behandlung der Opfer dieser Aggression. Das Versprechen hatte aber schon immer eine militärische Dimension. Deutschland hat bereits früher U-Boote und Waffen an Israel geliefert, obwohl das Land formal in einem Konfliktgebiet liegt und wir in Konfliktgebiete eigentlich keine Waffen liefern. Es ist völlig klar, dass wir Israel auch jetzt mit militärischer Hilfe zur Seite stehen. Israel muss als jüdischer demokratischer Staat im Nahen Osten erhalten bleiben.
Es gibt inzwischen Zusagen für eine Drohnen-Lieferung und auch den israelischen Wunsch nach Munition. Kann Deutschland Israel darüber hinaus überhaupt militärisch helfen? Das israelische Militär ist deutlich besser ausgerüstet als andere Armeen.
Israel hat eine hervorragend ausgestattete und trainierte Armee und ein enges Sicherheitsbündnis mit den USA. Die Unterstützungsbitten in der akuten Krise zeigen aber, dass der Bedarf aufgrund der Dimension des Hamas-Angriffs groß ist. 300.000 Soldaten zu mobilisieren, auszustatten und sie mit ausreichend Munition zu versorgen, ist nicht selbstverständlich. Deshalb ist es gut, wenn wir unseren Beitrag leisten.
Haben Sie nicht auch die Sorge, dass es zu einem Flächenbrand im Nahen Osten kommt?
Die Sorge habe ich. In den vergangenen Jahren ist es zu einem verstärkten Zusammenwirken der Hisbollah, die Israel aus dem Norden bedroht, und der Hamas im Süden gekommen. Der Iran unterstützt diese Gruppen finanziell und militärisch. Die Raketentechnik bei Hisbollah und Hamas ist präziser, weitreichender geworden. Unsere diplomatischen Bemühungen zielen jetzt darauf, die Freilassung der Geiseln zu erreichen, aber auch eine Ausweitung des Krieges zu verhindern.
Hat Deutschland in der Region überhaupt noch diplomatischen Einfluss, um etwas zu bewirken?
Deutschland kann Einfluss nehmen, wenn das zusammen mit EU-Partnern und den USA passiert. Wir sind auch auf Staaten angewiesen, die die Hamas sehr gut kennen. Das sind vor allem Ägypten, Jordanien und Katar. Wir bemühen uns aktuell auch darum, humanitäre Korridore aus Gaza heraus zu ermöglichen. Dafür müssen wir Ägypten unterstützen, das als Nachbarland besonders betroffen ist.
Israel bereitet sich auf eine Bodenoffensive vor. Bei allem Verständnis für das Recht auf Selbstverteidigung: Besteht nicht die Gefahr, dass dadurch neuer Hass auf Israel genährt wird?
Israel ist das Opfer dieser Aggression und hat das Recht, sich selbst zu verteidigen und die terroristische Infrastruktur der Hamas im Gaza-Streifen zu zerschlagen. Natürlich gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Klar ist aber: Die Hamas hat mit ihrer menschenverachtenden Strategie die Bevölkerung des Gaza-Streifens in eine politische Sackgasse geführt. Die Hamas will keine Friedenslösung, sondern die Vernichtung des Staates Israel. Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat auf beiden Seiten Hass hervorgebracht, das ist ohne Zweifel richtig. Aber das ist keine Entschuldigung für die Terrorangriffe auf Israel.
Ist eine politische Lösung des Konflikts jetzt überhaupt noch denkbar?
Es werden wieder Zeiten kommen, in denen man über eine politische Lösung sprechen muss. Ein Miteinander oder zumindest ein Nebeneinander von Israel und Palästina in gesicherten Grenzen ist nicht militärisch zu erreichen. Die großen Fortschritte in diesem Konflikt – etwa die Friedensverträge Israels mit Ägypten und Jordanien oder das Oslo-Abkommen – waren möglich, wenn mutige Staatsmänner die Hand zur Verständigung ausgestreckt haben. Das verlangt vieles ab angesichts der Feindschaft, die entstanden ist. Aber zu solchen Schritten sollten wir auch jetzt ermutigen.
Nils Schmid: "Dürfen die prekären Lebensverhältnisse von Millionen von Palästinensern nicht einfach beiseite wischen"
Die deutsche Außenpolitik muss sich allerdings auch fragen, ob in den vergangenen Jahren Fehler gemacht wurden. Die Deutsche Israelische Gesellschaft kritisiert zum Beispiel, deutsche Zahlungen an die Palästinenser seien auch in Schulen geflossen, in denen Hass auf Israel gepredigt wurde.
Diese Kritiker machen es sich aus meiner Sicht zu einfach. Es gibt kaum internationale Hilfszahlungen, die so genau geprüft werden, wie die an die Palästinenser. Im Fall von Gaza haben wir die Hilfen sehr eng mit den Israelis abgestimmt. Wir haben aber auch ein Interesse daran, die Palästinenserbehörde zu stärken, damit die staatlichen Strukturen in den Palästinensergebieten nicht völlig wegkippen. Wir dürfen die prekären Lebensverhältnisse von Millionen von Palästinensern, insbesondere in Gaza, nicht einfach beiseite wischen. Da haben wir auch eine humanitäre Verantwortung.
War Deutschland zuletzt nicht auch zu nachgiebig gegenüber dem Mullah-Regime im Iran, das die Hamas finanziert?
Der Iran betreibt in der Region eine destruktive Politik, indem er Terrororganisationen wie Hisbollah und Hamas aufrüstet und die Auslöschung des Staates Israels anstrebt. Wir haben uns in den vergangenen Jahren zurecht darauf konzentriert, eine atomare Bewaffnung Irans abzuwenden. Nachdem das Atomabkommen geschlossen war, haben wir nicht mit gleicher Energie dieses regionale Treiben des Regimes ins Auge gefasst.
Was muss jetzt geschehen?
Jetzt gilt es, alle Verbindungen des Irans zu diesen Terrornetzwerken zu unterbinden, vor allem mit Finanzsanktionen. Wir werden auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, die iranischen Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen.
Bisher hat das Auswärtige Amt erklärt, dieser Schritt sei rechtlich schwierig.
Die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist eine komplexe Aufgabe. Die Bundesregierung strebt diesen Schritt aber an. Sie hat bereits Sanktionen gegen Personen des Unterdrückungsapparats im Iran in die Wege geleitet. Deutschland hat im vergangenen Jahr innerhalb der EU und im UN-Menschenrechtsrat eine Führungsrolle eingenommen, als es darum ging, die terroristischen Aktivitäten des Irans zu verurteilen und zu sanktionieren.
Über den Gesprächspartner:
- Der SPD-Politiker Nils Schmid wurde 1973 geboren und ist in Filderstadt und Nürtingen aufgewachsen. Der Rechtsanwalt machte zunächst Karriere in der Landespolitik und war von 2011 bis 2016 stellvertretender Ministerpräsident und "Superminister" für Finanzen und Wirtschaft in Baden-Württemberg. 2017 wurde er erstmals in den Bundestag gewählt, seit 2018 ist er außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.
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