Am vergangenen Wochenende hat der Iran seinen Erzfeind Israel erstmals direkt auf dessen Territorium angegriffen. In der Vergangenheit erfolgten die Attacken stets über mittelbare Akteure, nun aber geht Teheran ein größeres Risiko ein und schickt hunderte Drohnen. Wieso der Angriff jetzt erfolgt und wie groß die Gefahr eines Flächenbrandes ist, erklärt Experte Tobias Fella.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Sorge war zuletzt bereits gewachsen, am Samstag (13. April) erfolgte dann der Angriff: Der Iran feuerte 300 Drohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper auf Israel ab. Die Attacke stellt den ersten direkten Angriff des Iran auf Ziele in Israel dar, bislang hatte Teheran immer indirekt über verbündete Akteure wie Hisbollah oder Hamas agiert.

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Auslöser für den Angriff war ein israelischer Luftangriff auf eine iranische Botschaft in Damaskus am 1. April. Dabei wurden hochrangige Generäle getötet, darunter General Mohammed Reza Zahedi. Er war einer der Oberbefehlshaber der Quds-Einheit, der Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarde für Auslandseinsätze.

Iran proklamiert Vergeltung für israelischen Luftangriff

Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei hatte daraufhin mit Vergeltung gedroht. "Die Quds-Einheit identifiziert potenzielle Partner des Iran, unterstützt sie und leitet sie an", sagt Politikwissenschaftler Tobias Fella im Gespräch mit unserer Redaktion.

Sie würde beispielsweise mit Akteuren wie den Huthi-Rebellen, der Hisbollah, syrischen Streitkräften und schiitischen Milizen im Irak kooperieren. Teheran habe die Attacke auf die Quds-Generäle auf dem iranischen Botschaftsgelände in Damaskus als Grenzüberschreitung gewertet, auf die reagiert werden muss.

Schon in der Vergangenheit hatte Israel iranische oder mit dem Iran verbündete Ziele in Syrien angegriffen. "Dass es im April die Führung der Al-Quds-Brigaden in einer offiziellen diplomatischen Vertretung Irans getroffen hat, war gleichwohl ein weiterer Schritt nach oben auf der Eskalationsleiter", sagt Fella.

Sorge vor Eskalation

International war die Nervosität vor einer Eskalation deshalb in den vergangenen Tagen immer weiter gewachsen. "CBS News" hatte bereits am Freitag berichtet, dass ein Angriff auf israelisches Staatsgebiet kurz bevorstehen könnte und berief sich dabei auf zwei nicht genannte US-Vertreter. Washington sicherte Israel Unterstützung zu und half, die Drohnen abzuwehren. Allerdings machte Präsident Joe Biden auch deutlich, dass er sich nicht an einer Vergeltung gegen Teheran beteiligen werde.

Warum Israel im April einen Luftangriff gegen die iranische Konsularabteilung flog – als diplomatische Einrichtung steht sie völkerrechtlich unter besonderem Schutz –, bleibt offen. Die Regierung unter Benjamin Netanjahu äußerte sich nicht zu den Gründen.

Droht ein Flächenbrand?

Die Attacke des Irans nährt Befürchtungen vor einem Flächenbrand in der Region, in den auch die USA schnell hineingezogen werden könnten. Zwar versprach Israels Ministerpräsident Netanjahu Besonnenheit, doch laut der Nachrichtenagentur Reuters spricht sich das israelische Kriegskabinett für einen Gegenschlag aus. Uneinigkeit soll aber noch über Ausmaß und Zeitpunkt bestehen.

Experte Fella sagt: "Das, was jetzt passiert ist, hat eine neue Qualität." Der Iran habe mit dem Gegenschlag innen- und außenpolitisch Stärke und Handlungsfähigkeit demonstrieren wollen - nach eigener Logik sogar demonstrieren müssen. "Man muss davon ausgehen, dass das der israelischen Regierung klar gewesen ist, dass eine Reaktion erfolgen wird. Doch das Ausmaß der iranischen Reaktion mag manchen Beobachter überrascht haben", mutmaßt der Experte.

Die Gefahr eines Flächenbrandes sei immer da gewesen. "Die Gefahr eines größeren Zusammenstoßes zwischen Israel und dem Iran ist in den letzten Monaten jedoch gewachsen", beobachtet Fella, für den Jerusalem und Teheran auch versuchen, eine Reaktion Washingtons einzukalkulieren.

"Die USA wollen keine größere militärische Eskalation. Es ist aber möglich, dass in Teilen der israelischen Politik die Entscheidung gefallen ist, noch direkter gegen Iran vorzugehen", sagt er. Dabei gäbe es auch Stimmen in Teheran, die mehr Härte gegen Jerusalem einfordern.

Austesten von roten Linien

Doch es sei ein Spiel mit dem Feuer: "Es kann sein, dass sich beide Seiten verspekulieren, etwa im Hinblick auf die US-Außenpolitik im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen", sagt Fella. Es sei eine Dynamik mit vielen unbekannten Variablen, die ein Akteur nicht vollends kontrollieren könne.

Experte Fella beobachtet ein Austesten von roten Linien. "Akteure neigen zur Ansicht, dass sie alles kontrollieren können. Aber das ist oft nicht der Fall, denn Abschreckung ist kompliziert." Handlungen könnten auch nicht beabsichtigte Konsequenzen haben. Ein defensiver Schritt kann als ein offensiver wahrgenommen werden und umgekehrt. Diese Gefahr dürfte man nicht unterschätzen.

Wie reagiert Israel?

Wie es nun weitergeht, lässt sich aus Fellas Sicht schwer vorhersagen. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Netanjahu-Regierung eine starke Reaktion beschließt, auch wenn die USA versuchen, sie davon abzuhalten."

Die USA befänden sich in einer schwierigen Situation. Sowohl Teheran als auch Jerusalem würden laut Fella wohl überlegen, wie die Biden-Regierung einzuschätzen ist, wie weit man gehen kann, ohne eine negative Reaktion der USA zu befürchten. "Die derzeitige Weltlage ist dazu sehr instabil und angespannt", sagt der Experte und erinnert an den Ukraine-Krieg, eine mögliche Trump-Wahl und die Ostasien-China-Situation.

"Es ist eine krisenhafte Zeit, bei der viele Grundsätze der internationalen Ordnung zur Debatte stehen – eine Zeit, in der eigentlich die Menschheitsherausforderung Klimawandel bekämpft werden müsste", sagt er. Jetzt noch ein großer Krieg im Mittleren Osten, gepaart vielleicht mit einem russischen Frontdurchbruch in der Ukraine und Spannungen in Ostasien, könnte auch die Weltmacht USA überfordern.

Iran informierte 72 Stunden zuvor

Aus Sicht des Experten bleibt zu hoffen, dass die Kommunikation zwischen den Akteuren so funktioniert, dass Schlimmeres abgewendet wird. Diese hatte es nun auch in mehrfacher Hinsicht gegeben. 72 Stunden vor dem Angriff etwa will Teheran seine Nachbarländer über den Angriff informiert haben.

So konnten beispielsweise Lufträume gesperrt werden und Bürger konnten ausreisen, der Schaden ließ sich begrenzen. Auch in der Vergangenheit hatte Teheran, als iranische Raketen auf US-Stützpunkte im Irak flogen, die USA im Vorfeld gewarnt.

Zeit des Krisenmanagements

Im Nachgang zum jetzigen Angriff veröffentlichte der Iran auf einem offiziellen X-Account ein Statement und verteidigte sein Handeln als "legitime Verteidigung". "Die Angelegenheit kann als abgeschlossen gelten. Sollte das israelische Regime jedoch einen weiteren Fehler begehen, wird die Reaktion Irans deutlich härter ausfallen", heißt es dort.

Auch Fella hofft, dass sich der Konflikt im Spiel von Reaktion und Gegenreaktion nicht weiter aufschaukelt. "Es ist jedoch wichtig, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. Wir treten ein in eine Zeit des Krisenmanagements", sagt er. Es gehe darum, auch zwischen Gegnern ein Mindestmaß Berechenbarkeit sicherzustellen.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Tobias Fella ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens- und Sicherheitsforschung an der Universität Hamburg (IFSH). Er forscht zu den Beziehungen zwischen den USA, Russland und China.

Verwendete Quellen

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