Darüber, wie lange uns die Gasvorräte hierzulande über den Winter tragen, wird in Sozialen Netzwerken häufig spekuliert. Ein Nutzer auf Twitter rechnet zum Beispiel vor, dass sie nur bis Weihnachten reichen würden. Doch er lässt dabei wichtige Faktoren aus. Ein Faktencheck.

Auf Twitter schreibt ein Nutzer am 30. September, dass die deutschen Gasspeicher zwar gut gefüllt seien, ihre Kapazität aber nicht ausreiche, um über den Winter zu kommen: "Die Kapazität der deutschen Speicher ist ca 250 TWh [Terawattstunden; Anm.d.Red.]. 90 Prozent davon sind 225 TWh. Von Okt 20 bis März 21 wurden 632 TWh verbraucht. Die Füllung der Gasspeicher reicht also bis circa Weihnachten."

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Doch stimmt das? Wir haben uns die Datenlage angeschaut. Zunächst ist wichtig zu verstehen: Deutschland muss seine Gasspeicher bis zum 1. November zu 95 Prozent gefüllt haben. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Zu berechnen, wie lange der Füllstand im Oktober reicht, ist also nicht sinnvoll, weil die Speicher auch nach Oktober weiter befüllt werden.

Wird das Speicherziel zum 1. November erreicht, würde das nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck ausreichen, um die Gasversorgung länger als bis Weihnachten sicherzustellen. In der Bundespressekonferenz vom 12. Oktober sagte Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne), die gespeicherte Gasmenge würde bei einem durchschnittlichen Winter für zweieinhalb Monate reichen. Ab dem 1. November wäre das etwa bis Mitte Januar.

Wichtig ist zudem: Deutschland kauft kontinuierlich Gas ein und muss sich daher nicht nur auf seine Speicherkapazität verlassen. Aktuelle Kalkulationen verschiedener Szenarien zeigen allerdings, dass gespeichertes Gas und Gasimporte zusammen mutmaßlich nicht ohne Einsparungen über die gesamte Heizperiode (bis Mai 2023) ausreichen.

Am 1. November müssen Gasspeicher in Deutschland zu 95 Prozent gefüllt sein

Wie viel Gas sich in den deutschen Gasspeichern befinden muss, ist gesetzlich festgelegt. Grundlage für die Speicherziele ist das Energiewirtschaftsgesetz und dort vor allem der Teil des Gesetzes ab Paragraf 35: "Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen und Gewährleistung der Versorgungssicherheit". Die darin festgelegten Speicherziele wurden am 29. Juli 2022 durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erhöht.

Am 1. September mussten die Gasspeicher zu 75 Prozent gefüllt sein, bis zum 1. Oktober zu 85 Prozent und bis zum 1. November zu 95 Prozent. Bei den Vorgaben für den 1. November ist Deutschland auf Kurs: Am 16. Oktober waren die Gasspeicher zu 96,03 Prozent gefüllt.

Am 30. September, als der Tweet veröffentlicht wurde, waren die Speicher zu 91,5 Prozent gefüllt, wie aus der AGSI-Datenbank hervorgeht. Bei seiner Prognose, die Kapazität der Speicher reiche nur bis Weihnachten, ließ der Nutzer also außer Acht, dass sie bis zum 1. November weiter befüllt werden müssen.

Allein das Gas in den Speichern würde bis Anfang Januar reichen

Die Gesamtkapazität der deutschen Gasspeicher beträgt laut der europäischen Gasspeicherdatenbank GIE AGSI 245 Terawattstunden (TWh), 95 Prozent davon sind rund 233 TWh. Aus dem Verbrauch der Vorjahre lässt sich in etwa abschätzen, wie lange dieser Gasvorrat reichen würde.

Wie viel Gas Deutschland in den letzten Jahren verbraucht hat, ist auf der Webseite der Bundesnetzagentur zu sehen. Aus den Daten geht hervor, dass es in den Jahren 2018 bis 2021 im November pro Tag durchschnittlich 3.483 und im Dezember 3.818 Gigawattstunden (GWh) waren.

Wie viel Gas würde Deutschland also bis Weihnachten verbrauchen? Legt man die Durchschnittswerte zugrunde, würde das Land für die 30 Tage im November 104.490 GWh Gas benötigen. Für die 24 Tage im Dezember bis Weihnachten wären es 91.632 GWh. Also insgesamt ein Verbrauch von 196.122 GWh bis Weihnachten. 1.000 GWh entsprechen einer Terawattstunde, somit entspricht dieser Wert 196 TWh.

Eingespeichert wären am 1. November aber rund 233 TWh. Die Menge würde länger als bis Weihnachten ausreichen – nach dieser Rechnung bis Anfang Januar. Wie zuvor zitiert, geht auch Bundeswirtschaftsminister Habeck davon aus, dass sie bei einem durchschnittlichen Winter für zweieinhalb Monate reicht.

Nach Daten der Bundesnetzagentur lag der Gasverbrauch von Mai bis September 2022 unter dem vergleichbaren durchschnittlichen Verbrauch für die Jahre 2018 bis 2021. Sollte der Verbrauch auch weiterhin unter dem Durchschnitt liegen, könnte die gespeicherte Gasmenge dieses Jahr also noch länger reichen.

Deutschland importiert weiterhin Gas – es kann aber sein, dass es für die Heizperiode bis Mai 2023 nicht ausreicht

Die Rechnung, wie lange das gespeicherte Gas ab dem 1. November reichen würde, ist eine theoretische, denn Deutschland importiert auch danach weiter Gas. So sagte Robert Habeck in der Bundespressekonferenz vom 12. Oktober, dass Deutschland zum Jahreswechsel seine Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven in Betrieb nehmen und so zusätzliche Kapazitäten für den Gasimport schaffen werde. Auch die "niederländischen Kapazitäten" sollten ausgeweitet werden.

Aktuell bezieht Deutschland einen Großteil seines Gases aus Norwegen und den Niederlanden. Zudem gibt es laut einem Bericht der FAZ ein sogenanntes Solidaritätsabkommen mit Frankreich. Weil in Frankreich viele Atomreaktoren gewartet werden, sicherte Deutschland zu, mehr Strom in das Land zu exportieren und erhält im Gegenzug Gas. Dabei handelt es sich um einen kleinen Teil des Gases, das Deutschland benötigt – täglich wurden im Oktober bislang laut Bundesnetzagentur zwischen 3.100 und 3.500 GWh importiert, aus Frankreich sollen laut FAZ-Bericht pro Tag 100 GWh hinzukommen.

Wie uns Susanne Ungrad, Pressesprecherin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz mitteilte, erhalte Deutschland zudem aktuell schon Flüssiggas aus den Anladepunkten im niederländischen Rotterdam und dem französischen Dünkirchen. Aus welchen Ländern Deutschland im Winter wie viel Gas beziehen wird, ist unklar.

Die Bundesregierung ruft aktuell dazu auf, Gas zu sparen, um ohne Gasmangel durch den Winter zu kommen. "Wir müssen dringend sparen, zusammen mit den vielen anderen Maßnahmen, die wir getroffen haben, kann das helfen, im Winter eine Gasmangellage zu verhindern, die dann alle hier in Deutschland betreffen würde", schrieb uns Ungrad.

Wie sich der Speicherstand bei einem durchschnittlichen Verbrauch wie in den Jahren 2018 bis 2021 – also ohne Gassparen – entwickeln könnte, hat das Science Media Center in seinem Gasspeicherreport vom 30. September grafisch dargestellt:

Das Science Media Center schreibt dazu: "Ohne Einsparung von Gas führen alle Szenarien im Laufe des Winters zu einer Gasmangellage, selbst die optimistischen."

Verwendete Quellen:

  • sciencemediacenter.de: Gasspeicher Report
  • gesetze-im-internet.de: Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG)
  • web.archive.org: Bundeswirtschaftsministerium stärkt weiter die Vorsorge für den Winter: Ministerverordnung zu Erhöhung der Speichervorgaben tritt morgen in Kraft
  • bundesnetzagentur.de: Aktuelle Lage Gasversorgung
  • faz.net: Gaslieferungen aus Frankreich können beginnen
  • correctiv.org: Faktencheck: Sind Kernkraftwerke in Frankreich wegen Wassermangel abgeschaltet?
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