- In der FDP spielt man offenbar mit dem Gedanken, in Zukunft weniger Produkte mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu besteuern.
- Das so gewonnene Geld könnte dann für Steuererleichterungen an anderer Stelle verwendet werden.
- Doch die Idee würde vor allem Geringverdiener stärker belasten und stößt bei der SPD und den Grünen auf Kritik.
Erst am Montag machte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Position seiner Partei noch einmal deutlich: "Steuererhöhungen wird es nicht geben." Das sei auch im Koalitionsvertrag so festgelegt und "daran sollten wir uns alle halten". Mehrbelastungen für Betriebe oder die Menschen werde es mit der FDP nicht geben.
Ein Papier des Fraktionsvorstandes der Partei, das dem "Handelsblatt" vorliegt, weckt nun aber Zweifel an dieser Aussage. Konkret ist darin die Rede davon, "durch höhere indirekte Steuern, weniger Ausnahmen vom normalen Mehrwertsteuersatz und einen Abbau fragwürdiger Steuerermäßigungen" eine Senkung der Einkommen- und Körperschaftssteuer gegenzufinanzieren. Bei diesen beiden Abgaben handelt es sich um Besteuerungen des Einkommens, wobei sich erstere vor allem auf Privatpersonen und letztere auf juristische Personen wie Unternehmen bezieht.
Indirekte Steuern, etwa die Tabak- oder die Alkoholsteuer, werden über ihren Preis entrichtet. Die wichtigste indirekte Steuer ist die Mehrwertsteuer, die beim Bezahlen von Waren und Dienstleistungen entrichtet wird. Ihr Standardsatz beträgt derzeit 19 Prozent, der ermäßigte sieben Prozent.
Die dem "Handelsblatt"-Bericht zufolge in dem Papier skizzierte Idee lautet also offenbar, weniger Produkte mit sieben Prozent Mehrwehrsteuer zu besteuern und die Mehreinnahmen zu nutzen, um Einkommens- und Körperschaftssteuer zu senken.
Umverteilung von "unten nach oben": Kritik an Idee aus der FDP
Von einer Erhöhung der Mehrwertsteuer wären grundsätzlich alle Verbraucherinnen und Verbraucher betroffen. Geringverdienende geben aber einen verhältnismäßig großen Anteil ihres Einkommens für Produkte des täglichen Bedarfs aus. Ökonomen und Ökonominnen betonen deshalb immer wieder, dass eine Erhöhung der Mehrwertsteuer diese Gruppe deutlich stärker trifft.
Der umgekehrte Fall würde dann für eine niedrigere Besteuerung des Einkommens greifen. Das bestätigt auch der Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Wirtschaftsinstitut (DIW) in Berlin auf Anfrage unserer Redaktion: Größere Entlastungen bei Einkommen- und Unternehmensteuern würden zunächst vor allem höheren und hohen Einkommen zugutekommen. Das liegt auch daran, dass Menschen am sogenannten Existenzminimum keine Einkommensteuer zahlen. Mögliche Steuersenkungen in diesen Bereichen können sie deshalb auch gar nicht erreichen.
Bei den Koalitionspartnern in der Ampel-Regierung kommt die Idee der FDP aus diesem Grund auch nicht gut an. Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, erklärte gegenüber dem "Handelsblatt": "Die Einkommen- und Unternehmensteuer zu senken und gleichzeitig indirekte Steuern zu erhöhen und Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer zu streichen, ist sozial ungerecht, weil es eine Umverteilung von unten nach oben ist."
Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, gegenüber der Zeitung. "Menschen mit mehr Geld können einen größeren Beitrag leisten als Menschen, die schon jetzt Probleme haben, für die Familie die Güter des täglichen Bedarfs zu finanzieren."
FDP-Vize Kubicki: "Das ist nicht die Position der Fraktion"
Die FDP erklärt dem "Handelsblatt"-Bericht zufolge derweil, dass es sich bei dem Papier nicht um ein fertiges Konzept handle. Vizefraktionschef Christoph Meyer betonte, dass die FDP nicht plane, Lebensmittel künftig höher zu besteuern: "Beim Grundbedarf soll der ermäßigte Steuersatz natürlich erhalten bleiben."
Vielmehr wolle man generell über Reformen im Steuersystem sprechen. Gegenüber dem Nachrichtenportal "Watson" erklärte Meyer zudem, dass die Ideen auch nicht innerhalb der Fraktion abgestimmt seien. Es gebe keine konkreten Pläne, Steuern zu erhöhen.
Ähnlich äußerte sich der stellvertretende Vorsitzende der FDP,
Ebenso unklar ist, wie der Vorschlag in der Praxis angewandt werden könnte. In der Vergangenheit hatte die FDP aber zum Beispiel die Ausnahmen für die Hotel- und Gastronomiebranche bei der Mehrwertsteuer kritisiert.
Auch Steuerexperte Bach schließt sich dieser Argumentation an: "Die Abschaffung der Mehrwertsteuerermäßigungen für Gastronomie und Hotels ist sinnvoll." Die Geringverdienenden würden dadurch ohnehin kaum entlastet, "sondern vor allem die mittleren und höheren Einkommen". Allerdings hält Bach die Mehreinnahmen, die dem Fiskus durch die Abschaffung entstehen würden, mit vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr für "recht überschaubar".
FDP-Chef und Bundesfinanzminister
Sorge in Europa wegen US-Subventionen
Das FDP-Papier ist als Reaktion auf den "Inflation Reduction Act" (IRA) der USA konzipiert. Dieser sieht milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz vor, knüpft viele Subventionen und Steuergutschriften aber daran, dass Unternehmen US-Produkte verwenden oder selbst in den USA produzieren. In Europa befürchtet man deshalb Wirtschaftsnachteile.
Daher weist auch die FDP in dem Schreiben auf die im internationalen Vergleich hohe Steuerbelastung für Unternehmen mit Standort in Deutschland hin. Und auch nach Ansicht von DIW-Experte Bach würde die Senkung von Steuern für Unternehmen die Standortbedingungen in Deutschland verbessern.
Neben steuerpolitischen Maßnahmen spricht sich die FDP in dem Papier auch für mehr Freihandelsabkommen, den Abbau von Bürokratie, mehr Digitalisierung und eine erleichterte Einwanderung für Fachkräfte aus.
Ampel liegt wegen Haushalt über Kreuz
Die Ideen der FDP zu möglichen Steuerreformen stehen vor dem Hintergrund zuletzt zunehmenden Streits innerhalb der Ampel-Koalition über den Haushalt für 2024. Lindner pocht immer wieder auf die Einhaltung der Schuldenbremse und erteilt Vorstößen zu Steuererhöhungen Absagen.
Zuletzt war Lindner deswegen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Briefwechsel aneinandergeraten. Aber auch Differenzen mit der SPD waren unlängst deutlicher zutage getreten. Deren Parteispitze hält es für kaum möglich, alle für das kommende Jahr geplanten Ausgaben zu realisieren, sollte nicht mehr finanzieller Spielraum geschaffen werden.
Verwendete Quellen:
- Handelsblatt: Höhere Mehrwertsteuer? FDP-Vorstoß sorgt für Ärger in der Ampel
- Statement von Dr. Stefan Bach vom Deutschen Wirtschaftsinstitut
- Tageskarte.io: Finanzminister Lindner unterstützt weiter unbefristet reduzierte Mehrwertsteuer auf Speisen
- Tageskarte.io: Diskussion um Mehrwertsteuersatz in Gastronomie und Hotellerie – DEHOGA zeigt sich kämpferisch
- Watson: Umverteilung durch FDP: Was an den Mehrwertsteuer-Gerüchten dran ist
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