Ab jetzt bitte mit Schalldämpfer: Diese Aufgabe gibt Bundeskanzler Olaf Scholz seiner Koalition nach der Kabinettsklausur in Meseberg mit auf den Weg. Doch es bestehen Zweifel, dass die Ampel wirklich zur Ruhe kommt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch und Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Meseberg ist ein ziemlich reizender Ort. In den Bäumen neben der Dorfkirche singen sich am Mittwochvormittag die Stare für den Herbst warm, ein paar Meter weiter grasen Ziegen neben pickenden Hühnern. Und drüben im barocken Schloss ist die Bundesregierung auf der dringenden Suche nach Harmonie.

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Zum fünften Mal seit seinem Start vor fast zwei Jahren trifft sich das Kabinett zur Klausursitzung, zum vierten Mal auf Schloss Meseberg im abgelegenen Norden Brandenburgs. Die Stimmung in der Ampel-Koalition ist mit all diesen Treffen nicht besser geworden. Der öffentlich ausgetragene Dauerstreit scheint für die Regierung die noch größere Belastungsprobe zu sein als die herausfordernde wirtschaftliche und politische Lage, die sie bewältigen muss.

Umfrage: Die Deutschen haben genug von der Ampel

61 Prozent der Deutschen sind vom Streit der Koalition inzwischen so genervt, dass sie gar nicht mehr verfolgen, worüber gerade gerungen wird. 63 Prozent bezeichnen Bundeskanzler Olaf Scholz als führungsschwach. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag von RTL und n-tv ergeben.

Dem Vernehmen nach hat das Kabinett am Dienstag im Schloss bis etwa Mitternacht zusammengesessen. Die Letzten gingen erst um halb zwei ins Bett. Als das Führungstrio der Koalition am Mittag vor das Schloss tritt, lassen die Gesichter nicht nur deshalb eine gewisse Erschöpfung erkennen. "Es ist schon sehr viel los und der Druck auf Gesellschaft und Politik ist insgesamt sehr, sehr hoch", meint Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf der abschließenden Pressekonferenz.

"Wir sind eine Regierung, wo gehämmert, geschraubt wird", sagt Bundesfinanzminister Christian Lindner. "Das führt zu Geräuschen, wie Sie schon gehört haben – aber es kommt etwas raus." Die Botschaft will Lindner zusammen mit Habeck und Kanzler Scholz unters Volk bringen: Man möge diskutieren, bringe aber viel auf den Weg. Ein Zehn-Punkte-Papier soll schnell die Wirtschaft entlasten und auf Touren bringen. Das Wachstumschancengesetz, das zwei Grünen-Ministerinnen vor kurzem noch blockiert hatten, wird jetzt mit größerem Volumen beschlossen. Und Bundesjustizminister Marco Buschmann hat eine "Trendwende" für dauerhaften Bürokratieabbau beschlossen.

Trotzdem bleibt die Frage nach der B-Note: Schafft es die Ampel noch, sich nicht ständig öffentlich zu zerstreiten? Die Antworten klingen ähnlich wie in den vergangenen Monaten. "Verschiedene Blickwinkel sind eine Stärke, Kompromisse sind etwas Gutes", sagt Robert Habeck. Scholz greift das Werkzeug-Bild seines Finanzministers auf: "Wir werden hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfer." Die Arbeit in der Regierung müsse "geräuschloser stattfinden". Das hat der Kanzler so nicht zum ersten Mal eingefordert.

Politikwissenschaftler: "Koalition ist heruntergewirtschaftet"

Und vermutlich wird es auch nicht das letzte Mal bleiben. Der Streit in der Ampel geht weiter – damit rechnet zumindest Albrecht von Lucke. Der Politikwissenschaftler sagte unserer Redaktion, dass die Konflikte in der Koalition auf Dauer angelegt seien. Das Muster: immer ähnlich. FDP und Grüne fielen übereinander her und der Kanzler stünde daneben. "Diese Koalition ist heruntergewirtschaftet", sagt der Politikkenner.

Von einer "Klausur der verpassten Chancen" spricht von Lucke. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit werde immer größer. Um das zu ändern, bräuchte es einen Kanzler, der Führungsstärke zeigt, indem er frühzeitig interveniert. "Aber den sehe ich nicht", sagt von Lucke.

Vor allem bei den Grünen dürfte die Unruhe zunehmen. "Für sie wird es immer schlimmer", sagt der Experte. Beispiel Kindergrundsicherung: Es war eines der sozialpolitischen Kernprojekte der Ökopartei. Familienministerin Lisa Paus wollte dafür ursprünglich zwölf Milliarden Euro aufwenden. Finanzminister Lindner war bereit, zwei Milliarden zu geben. Über den Sommer zoffte sich die Koalition. Am Ende standen: 2,4 Milliarden Euro – faktisch eine Demütigung der Grünen. "Die FDP triumphiert über ihre Erfolge, im Zweifel steht der Kanzler auf ihrer Seite und die Grünen kommen unter die Räder", sagt von Lucke.

Eine Einschätzung, die sich mit dem Auftritt Robert Habecks vor der Presse am Mittwoch deckt. Im Hintergrund das barocke Schloss, davor ein Vize-Kanzler, der abgeschlagen, leise, fast kraftlos wirkt. Für die Grünen dürfte es schwer bleiben: Die Koalition will sich in den nächsten Wochen vor allem um die wirtschaftliche Lage kümmern – und Ökonomie ist kein Thema, das im Zweifel bei der Öko-Partei einzahlt.

Taumelt die Ampel also weiter, geht der Streit in die nächste Runde? Oder anders gefragt: Macht die Koalition da weiter, wo sie zuletzt aufgehört hat? Albrecht von Lucke glaubt: Ja.

Experte: "Olaf Scholz muss die Richtlinien der Politik bestimmen"

Der Mann, der daran etwas ändern könnte, steht am Mittwoch in der Mitte zwischen Christian Lindner und Robert Habeck. Auf den Kanzler käme es jetzt an, sagt der Experte. "Olaf Scholz muss verhindern, dass jedes Gesetzesvorhaben zu einem öffentlichen Schlagabtausch wird", sagt von Lucke. Scholz müsste früher die Regie übernehmen und dafür sorgen, dass seine Partner befriedet aus einem Streit herausgehen. "Er muss endlich das leisten, was das Grundgesetz für den Kanzler vorsieht: die Richtlinien der Politik bestimmen".

Doch ganz so einfach wird das nicht. Auch aus den Fraktionen der Regierungsparteien gibt es immer wieder Wünsche an die Koalition. SPD und Grüne hätten gerne einen subventionierten Strompreis für die Industrie, was der Kanzler und auch FDP-Chef Lindner ablehnen. Und auch aus den Reihen der Liberalen gibt es immer wieder Störfeuer.

Darauf angesprochen, sagt Christian Lindner am Mittwoch, dass es gutes Recht der Fraktionen sei, eigene Vorschläge zu machen. Einen Schalldämpfer für sie hat noch niemand gefordert.

Zur Person: Albrecht von Lucke ist Politikwissenschaftler und Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik". Von Lucke lebt und arbeitet in Berlin. Als profunder Kenner des politischen Betriebs kommentiert er aktuelle Entwicklungen regelmäßig in den Medien. Von Lucke kommt gebürtig aus Ingelheim am Rhein und studierte an den Universitäten von Würzburg und Berlin (FU) Rechts- und Politikwissenschaft.
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