Vor dem Brandenburger Tor demonstrieren Zehntausende Menschen aus Landwirtschaft, Gastronomie und Transportgewerbe gegen Kürzungen bei Agrarsubventionen. Die Stimmung ist aufgeheizt bis feindlich, das Land wirkt aufgerieben und gespalten. Die Bauernproteste könnten aber auch den nötigen Druck für überfällige Reformen schaffen.

Eine Reportage
Dieser Text enthält neben Daten und Fakten auch die Eindrücke und Einschätzungen von Fabian Busch. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der Mann aus dem Kreis Sigmaringen hat schon aufgegeben. Früher hatte er einen Veredlungsbetrieb, 160 Stück Milchvieh, mehrere Familien waren davon abhängig. Doch für den Landwirt selbst blieb irgendwann nicht mehr genug, um vom Betrieb zu leben. Dann hat er ihn aufgegeben, inzwischen arbeitet er als Angestellter für einen anderen Landwirt.

Mehr aktuelle News

Aus seiner Sicht steht das Ende seines eigenen Betriebs sinnbildlich für die gesamte Landwirtschaftsbranche. "Das ist ein Sterben auf Raten" sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte und jetzt in Wollpulli und Warnweste vor dem Brandenburger Tor steht.

Bauerproteste in Berlin: Zehntausende vor dem Brandenburger Tor

Die Demonstration in Berlin am Montag ist der Höhepunkt einer bäuerlichen Protestwelle, die zum Jahresbeginn über Deutschland geschwappt ist. Mit 5.000 Traktoren und 10.000 Menschen am Brandenburger Tor hat die Polizei im Vorfeld gerechnet. Die Organisatoren sprechen am Montag von 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Unterstützung erhalten die Landwirtinnen und Landwirte von anderen Branchen wie Gastronomie und Transportgewerbe.

Die Spitzen der Ampelkoalition hatten sich Mitte Dezember auf Eckpunkte eines Sparhaushalts 2024 geeinigt. Sie sehen unter anderem einen deutlich steigenden CO2-Preis vor, der Heizen und Tanken teurer macht und damit die ganze Bevölkerung trifft. Doch ein allgemeiner Aufschrei ist ausgeblieben, stattdessen fällt der Schrei der Landwirtschaft besonders laut aus. Einen Teil der Kürzungen im Agrarbereich haben die Ampel-Parteien daher schnell wieder zurückgenommen.

Die Wut hat das nicht lindern können. Traktoren und Lkw haben den Verkehr rund um das Brandenburger Tor am Montag lahmgelegt. Es gibt Glühwein und Erbensuppe gegen die windige Kälte, die Stimmung ist ernst bis aufgeheizt, stellenweise fast feindselig. Ein paar Vereinzelte tragen Plakate mit der Aufschrift "Landwirtschaft ist bunt". Es gibt aber auch: eine an einem Galgen aufgehängte Ampel. Vereinzelt fliegen Rauchbomben aus der Menge auf den abgesperrten Bereich vor der Bühne.

Dort betont Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands: Die Bäuerinnen und Bauern seien aufrechte Demokraten. In der Sache selbst will er aber nicht zurückweichen. An die Bundesregierung gerichtet sagt er: "Ziehen Sie die Steuererhöhungen zurück, dann ziehen wir uns zurück von der Straße."

Lesen Sie auch

Was Rukwied meint: Die Bundesregierung will weiterhin Steuervergünstigungen für Agrardiesel stufenweise abschaffen. Das Fachmagazin "Agrarheute" hat berechnet, dass auf einen durchschnittlichen Haupterwerbsbetrieb damit Zusatzkosten von 2.900 Euro pro Jahr zukommen. Für die meisten Betriebe dürfte das verkraftbar sein. Schließlich haben die gestiegenen Lebensmittelpreise den Bauern höhere Einnahmen beschert. Die Gewinne eines Durchschnittsbetriebs stiegen im Wirtschaftsjahr 2022/23 um 45 Prozent.

Wäre die Kürzung der Dieselsubventionen da nicht hinnehmbar, zumal die Landwirtschaft ohnehin stärker vom Staat unterstützt wird als die meisten anderen Branchen? Eine Antwort ist auf der Demonstration immer wieder zu hören: Das Diesel-Thema war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Zu viele Auflagen, zu wenig Wertschätzung

"Sinnvolle Agrarpolitik" steht auf dem Pappschild, das Agrarwissenschaftlerin Helene auf der Demonstration hochhält. Was also ist das Problem, was wäre denn sinnvolle Agrarpolitik? Helene seufzt. Wo soll man da nur anfangen?

Viele Bäuerinnen und Bauern fühlen sich wenig wertgeschätzt von Politik, Handel und Bevölkerung: Aus der Politik kommen immer neue Auflagen und Vorschriften. "Am liebsten würden die Landwirte so arbeiten, dass sie gar keine Subventionen brauchen", sagt Agrarwissenschaftler Robert, der bei einer Agrargenossenschaft im Erzgebirge arbeitet. Doch die Marktmacht der großen Lebensmittelkonzerne drückt die Erzeugerpreise, die die Landwirtschaft für ihre Produkte bekommt – auch weil viele Kunden lieber zu den billigen Tomaten aus Marokko greifen als zum teureren Produkt aus Brandenburg.

Die Bauern sollen also möglichst umweltfreundlich produzieren und sich auf dem Weltmarkt behaupten – aber ihre Erzeugnisse dann bitte nicht teuer verkaufen? Über die Jahrzehnte ist ein so kompliziertes wie teures System entstanden, das ohne massive staatliche Zuschüsse nicht funktionieren kann. Vor einigen Jahren haben zwei Kommissionen schon einmal Reformvorschläge für die Landwirtschaft der Zukunft gemacht. Allerdings landeten sie erstmal in den Schubladen.

"Wir sind bei einer grüneren gemeinsamen Agrarpolitik mitgegangen. Wir haben Belastungen ertragen, wir sind ruhig geblieben. Ist das der jetzt der Dank dafür? Dass man uns jetzt einseitig mit Steuerentlastungen belasten will?", ruft Bauernpräsident Rukwied auf der Bühne.

Lindner bei Bauernprotesten: "Ich teile Ihre Empörung"

Dort spricht auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Er wird von einem Pfeifkonzert und "Ampel-weg-Rufen" empfangen und versucht, die Protestierenden auf seine Seite zu ziehen. "Ich teile Ihre Empörung über Bevormundung", ruft er. "Ich will, dass die Politik der Landwirtschaft vertraut, statt in die Betriebe hineinzuregieren."

Lindners Versprechen: Er will die Branche von Bürokratie befreien. "Das ist ein Witz", sagt eine Landwirtin unten in der Menge. Denn das habe die Politik schon oft versprochen und nicht gehalten.

Wo die Lautsprecher nicht laut genug sind, ist Lindners Rede ohnehin kaum zu verstehen. Seine Beschwörungen gehen in Pfiffen und Buhrufen unter. Mit dem Brandenburger Tor als Symbol der deutschen Einheit im Rücken wirkt das Land in solchen Momenten uneiniger als zuvor.

Bauernproteste Christian Lindner Großkundgebung in Berlin
Versucht es mit einer Charmeoffensive: Bundesfinanzminister Christian Lindner auf der Demonstration der Bauern am Brandenburger Tor. © dpa / Sebastian Christoph Gollnow

Allerdings: Eine große Wirkung haben die Proteste fraglos erzielt: Überall ist die Lage der Landwirtschaft plötzlich Thema. An Küchen- und Stammtischen, aber eben auch in der Politik. Bundesagrarminister Cem Özdemir will sich nun mit der CDU/CSU-Opposition noch einmal zusammensetzen, Reformvorschläge aus der Schublade kramen und einen großen Wurf wagen. Auch wenn an diesem Montag in Berlin wohl kaum ein Demonstrant glauben wird, dass dabei etwas Großes herauskommt.

Fraktionschefs der Ampel versprechen Entlastung

Am Nachmittag geben sich die Vorsitzenden der drei Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP nach einem Gespräch mit Bauernverbänden im Reichtstag reumütig. Man habe eine "Chance vertan", weil Vorschläge aus den Zukunftskommissionen nicht umgesetzt wurden, sagt Rolf Mützenich (SPD). Mehr Einkommen müsse auf den Höfen verbleiben, meint Britta Haßelmann (Grüne). Bis zur Sommerpause will die Koalition den Landwirtinnen und Landwirten über Gesetzesänderungen mehr Planungssicherheit geben und sie entlasten. Draußen ist noch das Hupen der Trekker und Lkw zu hören.

"Die Politik hat in den letzten Jahren vor allem Vorschriften gemacht. Sie hat viel zu wenig Zeit damit verbracht, gemeinsam mit den Landwirten über ein zukunftsfähiges System nachzudenken", sagt Agrarwissenschaftler Robert. Ob sich das nun mit dem Druck der Bauernproteste ändert? Robert nimmt jedenfalls viel öffentliche Unterstützung wahr. "Der Bevölkerung ist jetzt klar geworden, welchen Dienst wir für die Gesellschaft und die Lebensmittelversorgung leisten."

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.