- Einigung in letzter Minute: Nach monatelangen Verhandlungen haben sich die Europäische Union und Großbritannien auf ein Handelsabkommen geeinigt.
- Beide Seiten versuchen den Deal als Erfolg zu verkaufen.
- Ein britischer Politologe und eine deutsche Politikwissenschaftlerin bewerten das Abkommen: Welche Seite hat wo Zugeständnisse gemacht? Und warum droht noch immer ein No-Deal?
Viele Beobachter haben nicht mehr damit gerechnet: Und doch steht nach zähen Verhandlungen in letzter Minute ein Deal zwischen EU und Großbritannien. Wenn bis zum 31. Dezember kein Handelsvertrag zustande gekommen wäre, hätte mit einem No-Deal ein harter wirtschaftlicher Bruch gedroht.
Nun aber soll nach monatelangem Streit die Lösung auf 1246 Seiten gefunden sein. Die Einigung auf einen Handelsvertrag, in dem die wirtschaftlichen Beziehungen ab Januar 2021 geregelt sind, bestätigten beide Seiten am Donnerstagnachmittag.
Was muss man über den Deal wissen? Wir beantworten die fünf wichtigsten Fragen.
1. Warum hat die Einigung solange gedauert?
Über vier Jahre nach dem Brexit-Referendum haben die EU und Großbritannien endlich den Sack zugemacht. Durchverhandelte Nächte und jede Menge Streitigkeiten haben die Beziehungen zwischen London und Brüssel seit Juni 2016 geprägt.
"Es gab viele Einzelheiten bei dem Brexit-Deal, weil die britische und die EU-Wirtschaft seit sehr vielen Jahren eng miteinander verflochten war", sagt der britische Politologe Anthony Glees im Gespräch mit unserer Redaktion. In Anbetracht dessen habe die Einigung nicht lange gedauert. So wurde etwa über das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) noch länger gestritten: von 2009 bis 2014.
Dass der Deal allerdings erst eine Woche vor Ablauf der Übergangsphase kommt, war Taktik. "Beide Seiten haben bis zum letzten Moment verhandelt", sagt Politikwissenschaftlerin Tanja Börzel im Gespräch mit unserer Redaktion. Das sei vor allem für den britischen Premier
2. Wie konnten die Streitpunkte gelöst werden?
Die Verhandlungen drehten sich zuletzt vor allem um drei Themen:
- Fischfangquoten
- Wettbewerbsregeln
- Streitschlichtungsmechanismen
"Jede Seite hat bei den drei Knackpunkten nachgegeben", sagt Expertin Börzel. Die EU habe sich aber letztlich durchgesetzt. Johnson habe mit "take back control" versprochen: Kein Geld nach Brüssel und keine Regeln aus Brüssel. Doch beides gebe es weiterhin.
"Das Vereinigte Königreich muss zwar seine nationalen Regeln nicht künftig an strengere EU-Regeln anpassen, aber wenn die EU ihre Standards verschärft, Großbritannien nicht nachzieht und es dadurch zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt, kann die EU einen Streitschlichtungsmechanismus aktivieren", erklärt Börzel. Dabei gleiche der Partnerschaftsrat dem Verfahren der Welthandelsorganisation (WTO), an dessen Ende die Verhängung von Strafzöllen stehen könne.
"Das bedeutet, dass Großbritannien sich weiterhin an den EU Regeln orientieren muss, wenn es Zugang zum Binnenmarkt haben will und es muss sich einem rechtlich bindenden Streitmechanismus unterwerfen", bemerkt Börzel. Das sei zwar nicht der Europäische Gerichtshof (EuGH), aber die britische Souveränität sei weiterhin eingeschränkt. Außerdem bleiben die Briten weiterhin in fünf EU-Programmen – etwa dem Europäischen Forschungsrat – und müssen dafür weiterhin in den EU-Haushalt einzahlen.
"Dabei haben sie weder Einfluss auf die Regeln noch die die Höhe der Zahlungen, diese werden von den EU-Institutionen festgelegt. Das bedeutet "taxation without representation", betont Börzel.
Klein erscheint ebenso Johnsons Fang beim Streitpunkt Fischerei: Die Briten können künftig 25 Prozent des Fangwertes der EU-Fischer in britischen Gewässern für sich reklamieren. Johnson hatte zunächst aber eine Quote von 60, später von 35 Prozent gefordert.
3. Welche Seite hat mehr für sich herausgeholt?
"Beide Seite haben Kompromisse gemacht", sagt Glees. Er betont: "Der Binnenmarkt ist gesichert, Großbritannien kann dort weiterhin seine Waren und Fische verkaufen." Außerdem bekomme die Insel mehr Souveränität und brauche sich nicht mehr um den EuGH zu kümmern. "Das wird in Großbritannien als große Errungenschaften angesehen", sagt Glees.
Er sagt dennoch: "Großbritannien ist schlecht aus dem Brexit herausgekommen, die EU sehr gut." Denn während Güter und Agrarprodukte durch das Handelsabkommen zollfrei gehandelt würden, gelte das nicht für Dienstleistungsunternehmen. Gerade Finanzdienstleistungen sind aber für die Briten zentral.
Großbritannien verliere viel in Sachen innere Sicherheit – etwa beim Kampf gegen den Terrorismus – da es nicht mehr einfach die EU-Datenbanken nutzen darf. Die Briten mussten weitere Zugeständnisse machen: "Die EU hat nicht zugelassen, dass unsere Hygiene- und Fleischvorschriften automatisch angenommen werden, gleiches gilt für britische Qualifikationen", sagt Glees.
Das sei ein schwerer Schlag für die Universitäten: "Ohne automatische Anerkennung der Abschlüsse werden viel weniger Studenten aus der EU kommen", ist sich der Politologe sicher und resümiert: "Der Deal ist hart. Die Briten werden leiden, kein Zweifel." Großbritannien werde in den nächsten zehn Jahren um Billionen Pfund ärmer, es werde schwieriger zu reisen und die Bewegungsfreiheit sei den Briten völlig genommen.
4. Wie geht es nun weiter?
"Wichtig ist, ist dass es einen Deal gibt", sagt Glees dennoch. Das sei deutlich besser als ein No-Deal. Denn damit bleibe die Tür in die EU für Großbritannien ein Stück weit offen. "Wenn der Versuch, Großbritannien zu einem Singapur an der Themse zu machen, in den kommenden Jahren nicht gelingt, kann man versuchen, den Deal zu ergänzen", meint Glee.
"Es gibt deshalb die Chance, dass der Brexit gelingt, auch wenn ich pessismistisch bin", sagt Glees. Es sei auch möglich, dass die kommende Situation gut für die EU sein werde, wenn sie in manchen Bereichen mit Großbritannien konkurrieren müsse.
Politikwissenschaftlerin Börzel meint: "Die Wirtschaft ist einfach nur erleichtert, dass es jetzt endlich Sicherheit gibt, auch wenn einiges an zusätzlichem Papierkram auf die Exportunternehmen zukommen wird."
5. Warum bleibt die Gefahr eines No-Deal?
Bevor das Abkommen in Kraft tritt, muss es durch das britische Parlament und EU-Parlament. Das Unterhaus in London will am 30. Dezember abstimmen. "Der Deal wird durchkommen", ist sich Glees sicher. Zwar würden ein paar Brexiteers Krach machen, aber mit den Stimmen der oppositionellen Labour-Partei sei das Abkommen so gut wie sicher. Das EU-Parlament wird das Abkommen hingegen erst im kommenden Jahr ratifizieren.
Somit gibt es eine Phase, in der das Abkommen zwar faktisch in Kraft ist – aber noch nicht von der EU abgesegnet wurde. "Wenn das EU-Parlament im Januar die Einigung ablehnt und nicht mitspielt, sind wir in der Tat wieder bei einem No-Deal", warnt Glees. Das Szenario hält er jedoch für unwahrscheinlich. "Jetzt sind alle glücklich, dass es einen Deal gibt", sagt Glees. Er rechnet aber mit politische Konsequenzen in drei bis vier Jahren.
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