• Eine Woche vor Ende der Brexit-Übergangsfrist scheint ein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU in greifbarer Nähe.
  • Welche Punkte geregelt sind und wo es noch hakt.

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Es waren Bilder wie aus einer anderen Zeit: Um Punkt 13:49 Uhr Lokalzeit setzte am Mittwoch eine Boeing 777F der Lufthansa Cargo auf dem Flughafen Doncaster-Sheffield in Nordengland auf. An Bord waren 80 Tonnen Fracht geladen, die allerdings nicht aus den sonst üblichen Zulieferteilen für die Autoindustrie bestand, sondern vornehmlich aus Obst, Gemüse und Salat.

Ein in jeder Hinsicht verheerendes Jahr für die Briten geht nun mit einer deutsch-britischen Luftbrücke zu Ende. Wenn es noch eines Symbols brauchte, um die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Großbritannien und der EU zu demonstrieren, war es mit Flug LH8352 erbracht.

Britischer Gesundheitsdienst erhöht Druck auf Johnson

Ob das neue Jahr für die Briten noch verheerender wird als das alte, wird nun in Brüssel und London entschieden. Die Chancen auf ein Abkommen auf den letzten Metern stünden gut, verlautete es zuletzt aus Verhandlungskreisen. Der Deal wird noch für Heiligabend erwartet.

Die frohe Botschaft lag nicht zuletzt daran, dass der Druck auf die britische Regierung, doch endlich einzulenken, zuletzt ins Unermessliche gestiegen war. Der britische Gesundheitsdienst NHS, der durch das Corona-Virus an der Belastungsgrenze arbeitet, flehte in einem Brief, nur ein Brexit-Aufschub werde dem NHS die Zeit geben, sich aus der "unmittelbaren Gefahrenzone" zu bringen. Andernfalls drohten Lieferverzögerungen bei dringend benötigten Medikamenten und medizinischen Geräten, wenn es wegen eines No Deals zu Staus kommen sollte. Dieser Protestnote kann sich ein Regierungschef nur schwer entziehen.

Fischereipolitik ist der letzte große Streitpunkt

Bereits am Mittwochnachmittag war eine Grundsatzeinigung beim anderen großen Konfliktthema bestätigt worden: die EU-Forderung nach fairem Wettbewerb, dem sogenannten Level Playing Field. Dabei geht es um vergleichbare Sozial-, Umwelt- und Subventionsstandards, um den EU-Binnenmarkt auf Dauer vor Dumping zu schützen.

Letzter großer Knackpunkt sind offenbar die Fischereirechte. Viele Anhänger des Brexit-Lagers stören sich an der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU, die seit den 70er-Jahren die Fangmengen und den Zugang von Fischern anderer EU-Länder vor der britischen Küste regelt. Auf Grundlage dieser Vereinbarung dürfen britische Fischer in ihren Gewässern vergleichsmäßig wenig fangen, zum Vorteil von Flotten aus EU-Staaten.

Boris Johnson hatte versprochen, die Kontrolle über die britischen Gewässer nach dem Brexit zurückzuerobern. Hunderte Fischer aus Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien, Holland oder Deutschland stünden dann vor dem Problem, in britischen Gewässern nur noch eingeschränkt fischen zu dürfen. Viele müssten ihre Trawler verschrotten.

Insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat bei diesem Streitpunkt die Rolle des Unnachgiebigen eingenommen. Er möchte unbedingt verhindern, dass sein neues Jahr, bei allzu großzügigem Entgegenkommen, mit demonstrierenden Fischern in der Bretagne beginnt.

Weihnachtswunder statt No-Deal-Chaos?

Was bei einem ungeregelten Austritt droht, hatte die britische Regierung im Sommer in einem sechsseitigen Papier dargelegt. Die Folgen wären demnach verheerend, mindestens im ersten halben Jahr. In dem Papier – mit dem Codewort "Operation Goldammer" überschrieben – wird unter anderem vor Protesten und Störungen der öffentlichen Ordnung durch "öffentliche Unruhen" gewarnt. Dies würde eine "erhebliche Menge" an Polizeikräften in Anspruch nehmen. Auch die Preise für Lebensmittel und Benzin würden aufgrund "reduzierter Lieferverfügbarkeit" anziehen und das Terrorrisiko würde steigen.

Es gibt also allen Grund, heute auf ein Weihnachtswunder aus Brüssel und London zu hoffen. (Mit Material der dpa)

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