In der EU blockiert Deutschland die Krisenverordnung der EU-Asylreform. Vor allem die Grünen sehen darin einen zu großen Eingriff in die Rechte von Asylbewerbern. Die Nervosität wächst, dass die Blockade die gesamte EU-Asylreform zum Scheitern bringen könnte. Nun appelliert Olaf Scholz an die Grünen.

Eine Analyse
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Seit zehn Jahren arbeiten die EU-Länder daran, die Asylpolitik in der Europäischen Union neu zu organisieren. Im Juni einigte sich der Europäische Rat auf die EU-Asylreform, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete das als "historische Entscheidung".

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Doch die Einigkeit hielt nicht lange. Die Krisenverordnung, über die wenig später abgestimmt wurde, hatte keine Mehrheit im EU-Rat. Dabei geht es um eine Art Sonderregelung, falls besonders viele Bewerber auf einmal in einem Land Asyl beantragen. Deutschland blockierte die Reform bislang, wegen Bedenken der Grünen. Nach Informationen aus Regierungskreisen ermahnte Kanzler Olaf Scholz am Mittwoch die Grünen und drängte auf den Abschluss der Verhandlungen über die sogenannte Krisenverordnung.

Laut Erik Marquardt von den europäischen Grünen macht Scholz damit aber nicht von der Richtlinienkompetenz Gebrauch. Deutschland sei bereits im Gespräch mit der Ratspräsidentschaft, die in einem neuen Angebot auf die Bedenken der Bundesregierung eingehen wolle, sagte Marquardt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Rechte von Asylbewerbern als Streitpunkt

Bislang steht eine Einigung im EU-Asylstreit aber noch aus. Nicht nur Deutschland hat bislang noch nicht zugestimmt. "Auch Tschechien hat Probleme vorgetragen und die Niederlande. Polen und Ungarn haben sich ganz davon verabschiedet, leider." erklärte Faeser am Mittwoch.

Vor allem Polen und Ungarn wollen mehr Freiheiten im Umgang mit Asylbewerbern - was konkret heißt, etwa die Standards für die Unterbringung zu senken oder Menschen länger festhalten zu können. Deutschland und vor allem die Grünen blockierten die Krisenverordnung im Juli aus dem gegenteiligen Grund: Der Eingriff in die Rechte von Asylbewerbern sei schon in der aktuellen Fassung zu groß.

So sieht die aktuell geplante Krisenverordnung vor, dass in Krisensituationen der Zeitraum verlängert wird, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen infrage kommt, bei denen Menschen mindestens drei Monate festgehalten werden dürfen.

Diese waren eigentlich nur für Menschen vorgesehen, bei denen absehbar ist, dass ihre Asylchancen gering sind. Mit der Krisenverordnung könnten die Grenzverfahren auch viele betreffen, die eigentlich gute Chancen auf Asyl haben.

Grünes Veto gegen Krisenverordnung mit unterschiedlichen Begründungen

Am Donnerstag sitzt Nancy Faeser mit den anderen EU-Innenministern am Verhandlungstisch. Mit Deutschlands Zustimmung wären Polen und Co. überstimmt und der Weg für die Krisenverordnung wäre frei.

Ob es zur Zustimmung von Faeser kommt, ist jedoch weiterhin offen. Denn der grüne Koalitionspartner hatte bereits dem gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS) nur zähneknirschend zugestimmt. Gegen die Krisenverordnung hatten die Grünen aber größere Bedenken hervorgebracht und sie deswegen seit Juli blockiert.

Damals hieß es, es gehe darum, dass die Standards für Schutzsuchende nicht zu weit heruntergesetzt werden dürften. Am Sonntag führte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein neues Argument ins Feld: Sie habe Sorgen, dass die Krisenverordnung "Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland" schaffen würde.

Grüne: "Wir blockieren nicht die Ordnung, wir blockieren das Chaos"

Die Grünen wehrten sich gegen den Vorwurf, sie würden damit einer geordneten EU-Asylpolitik im Weg stehen. "Wir blockieren nicht die Ordnung, wir blockieren das Chaos", brachte die Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, die Position ihrer Partei auf den Punkt.

Die europäischen Partner, die die Krisenverordnung durchsetzen wollen, halten die Sorge, dass die EU zu viel Kontrolle abgibt, für unbegründet. Dem aktuellen Vorschlag zufolge würde man den Ländern an den EU-Außengrenzen nicht automatisch mehr Rechte einräumen, sondern erst nach Zustimmung des Europäischen Rates und unter strenger Aufsicht der EU-Kommission. Es blieben auch in einer Krisensituation noch zahlreiche Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.

Nächster Streit zwischen FDP und Grünen

Denn der Streit hatte sich bereits zum nächsten Koalitionskrach zwischen FDP und Grünen entwickelt. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte am Montag auf einer Pressekonferenz zur Grenzverordnung: "Aus meiner Sicht ist es außerordentlich problematisch, wenn Teile der Bundesregierung der Auffassung sind, dass das so nicht kommen soll." Es könne nicht sein, dass ausgerechnet Deutschland eine gesamteuropäische Lösung ausbremse.

Lange sah es so aus, als gebe die Koalition ihr gewohntes Bild ab: FDP und Grüne zanken, während die SPD schweigt. Eine Vorlage für die Opposition.

Der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Chef der christdemokratischen europäischen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber, kritisierte den Kurs Berlins als hektisch und chaotisch. "Wieder einmal verwirrt die deutsche Ampel-Regierung die EU-Partner mit ihrer Vielstimmigkeit, jetzt auch in der Migrationspolitik", kommentierte er.

Kommt die Reform noch vor den Europawahlen?

Im Ausland wird die Diskussion in Deutschland aufmerksam verfolgt. Ein Diplomat sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa), südliche EU-Staaten hätten andere Teile der geplanten Reform nur akzeptiert, weil sie sich sicher gewesen seien, im Gegenzug in Krisensituationen mehr Flexibilität zu bekommen. Wenn dies nun infrage gestellt werde, könne das ganze Paket platzen.

Durch die Uneinigkeit im EU-Rat geraten auch die Verhandlungen zwischen Rat und EU-Parlament ins Stocken. Das Parlament kündigte in der vergangenen Woche an, andere Teile der Verhandlungen über die geplante Asylreform bis auf Weiteres zu blockieren. Brisant sind die Verzögerungen vor allem wegen der nahenden Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dann nicht mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden und sich lange verzögern.

Faeser ist vor den Verhandlungen optimistisch, dass es dazu nicht kommt: "Ich bin zuversichtlich, dass wir als Bundesregierung dort eine gute Lösung finden werden und dass wir europäisch auch zeitnah zu einem Abschluss kommen", sagte die Innenministerin am Mittwoch.

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • Euractiv: EU-Parlament droht mit Blockade von Migrationspakt
  • taz.de: Die nächste Krise kommt bestimmt
  • SZ.de: Europa schaut auf die Grünen
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