- Timo Graf, ein Militärsoziologe, beobachtet das öffentliche Meinungsbild zur Bundeswehr in Deutschland.
- Die Wahrheit? "Die Deutschen haben seit Jahrzehnten eine äußerst positive Grundhaltung zur Bundeswehr."
- Die Bundeswehr hat höhere Zustimmungswerte als die Bundesregierung, der Verfassungsschutz, das Bundesverfassungsgericht oder die gesetzliche Rentenversicherung.
- Die positive Grundeinstellung ändert nichts an der Personalsituation der Bundeswehr.
Hubschrauberabsturz in Mali, Flugzeugabsturz in Albacete, ineffizientes Beschaffungswesen, Material- und Soldatenmangel, Rekrutenmisshandlungen, Rechtsextremismus und nicht funktionierende Waffensysteme, Berateraffären und Vetternwirtschaft – die Liste der Skandale um die Bundeswehr ist lang. Zudem wurde sie totgespart. Verfolgte man die Berichterstattung zur Bundeswehr in den vergangenen Jahren, hatte man den Eindruck, das öffentliche Ansehen der Bundeswehr sei im Keller.
Doch wie verändert sich das Ansehen der Bundeswehr mit der Zeitenwende und dem Konflikt in der Ukraine? Sogar eingefleischte Wehrdienstverweigerer wie
Deutsche haben positive Grundhaltung zur Bundeswehr
"Die Wahrheit ist: Die Deutschen haben seit Jahrzehnten eine äußerst positive Grundhaltung zur Bundeswehr", sagt Timo Graf. Der promovierte Militärsoziologe führt jedes Jahr eine Befragung zum Ansehen der Bundeswehr durch. Die Ergebnisse sind erstaunlich. Die Bevölkerung vertraut der Bundeswehr mehr als der Bundesregierung, dem Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesverfassungsgericht oder der gesetzlichen Rentenversicherung. Nicht einmal die oben erwähnten Skandale konnten dem Ansehen in der Öffentlichkeit etwas anhaben.
"Das Niveau des Vertrauens und die positive Einstellung zur Bundeswehr liegen seit über 20 Jahren stabil bei 80 Prozent", erklärt Graf. Viel Luft nach oben sei da nicht mehr. Ohnehin gebe es schätzungsweise zehn Prozent, die "niemals" und "unter keinen Umständen" etwas mit dem Militär zu tun haben möchte. "Auch diese Positionen wird es in einer pluralistischen Gesellschaft immer geben. "
Vor allem ist die Entwicklung der Zustimmungswerte zum Militär interessant. Denn es gab bereits zwei Zeitenwenden in den vergangenen 20 Jahren. Beide Male haben sie dazu geführt, dass die Bevölkerung sich dafür aussprach, mehr Geld in die Bundeswehr zu investieren und deren Personalumfang zu erhöhen.
Bundeswehr als "bewaffnete Feuerwehr"
2001 kam die erste Wende mit dem 11. September. Mit dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York änderte sich der Politikstil Deutschlands. Der Fokus galt ab diesem Zeitpunkt der globalen Bekämpfung von Terrorismus und dem internationalen Krisenmanagement. "Die Bundeswehr wurde zu diesem Zeitpunkt zu einer 'bewaffneten Feuerwehr' zur Stabilisierung von Krisenregionen umgebaut", sagt Graf. Dabei habe die Bevölkerung ein eher traditionelles Verständnis von den Aufgaben der Streitkräfte gehabt und die Bundeswehr vor allem als Verteidigungsarmee verstanden.
Mit dieser Zeitenwende kam der Afghanistaneinsatz, der für die Deutschen vor genau einem Jahr zu Ende ging. Innerhalb eines Jahres verdoppelte sich die Zustimmung in der Bevölkerung für einen erhöhten Verteidigungsetat von 20 Prozent im Jahr 2000 auf 42 Prozent Zustimmung der Bevölkerung im Jahr 2001. "Im sicherheitspolitischen Meinungsbild war der 11. September aber eher ein Strohfeuer", erklärt Graf, denn die Zustimmungswerte seien schnell wieder gesunken. Die Bedrohungslage sei zu abstrakt und erklärungsbedürftig gewesen.
Das Phänomen wiederholte sich 13 Jahre später mit der Annektierung der Krim. Zuvor lagen die Zustimmungswerte für einen erhöhten Verteidigungsetat bei 19 Prozent, unmittelbar nach der Annektierung bei 32 Prozent und ein Jahr danach war mit 51 Prozent die Hälfte der deutschen Bevölkerung dafür, dem Militär mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Der Unterschied: Diesmal waren die Zustimmungswerte nachhaltig. Bis heute plädiert eine relative Mehrheit für die Erhöhung der Verteidigungsausgaben.
Krieg ist nicht förderlich für den Personalmangel
"Infolge von Russlands Angriffskrieg gehe ich davon aus, dass auch jetzt die Zustimmungswerte zunehmen", sagt Graf. Denn mittlerweile sei die Gefahr deutlich greifbarer als beispielsweise noch zur Zeit der Terrorismusbekämpfung. Während die Ziele des deutschen Engagements bei der Terrorismusbekämpfung schwierig zu fassen gewesen sind, geht es heute wieder um den traditionellen Auftrag der Bundeswehr: Verteidigungspolitik.
Auch der Konflikt in der Ukraine gleicht einem traditionellen Krieg. Der Gegner ist kein Netzwerk von Terroristen, sondern staatlich. Es wird in Europa und in der Fläche, im Feld gekämpft und nicht wie Terroristen im urbanen Raum. Anschläge haben keine größere Bedeutung und anstatt leichten Waffen, setzen die Akteure auf schweres Gerät.
Fragt man die Bundeswehr nach den Bewerberzahlen im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine, gibt es wenige Ausschläge und Überraschungen. "Unmittelbar nach Ausbruch des Krieges war kurzfristig eine erhöhte Zahl an Interessentinnen und Interessenten zu verzeichnen", erklärt ein Sprecher der Bundeswehr in Köln. Diese Tendenz habe sich aber mittlerweile wieder normalisiert. Die Anzahl der Bewerbungen lag zwischen 2018 und 2020 bei etwa 50.000 im Jahr, wovon rund 20.000 eingestellt worden sind. So gesehen ist der Konflikt nicht förderlich für den Personalmangel in der Bundeswehr.
Das beobachtet auch Graf, der seinen Dienstsitz in Potsdam am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften hat. "Die positive Grundeinstellung in der Bevölkerung der Bundeswehr löst deren Personalprobleme nicht", sagt er. Denn auch dazu hat er Forschung betrieben. Die Bundeswehr wird als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen, allerdings wirkt sich diese Einstellung nur bedingt auf die Bewerberzahlen aus.
Verwendete Quellen:
- Statista: Anzahl der Soldaten und Soldatinnen bei der Bundeswehr von 2000 bis 2022
- Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: Sicherheit- und verteidigungspolitisches Meinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland – Ergebnisse und Analysen der Bevölkerungsbefragung 2021
- Gespräch mit Timo Graf
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