Aktuellen Umfragen zufolge verliert Donald Trump deutlich an Wählerzustimmung. Sein Konkurrent Joe Biden liegt beim Kampf um die US-Präsidentschaft um bis zu zehn Prozent vor dem Amtsinhaber. Doch ein Experte warnt vor frühzeitigen Schlüssen.
Von einer "heftigen Klatsche für
Skeptisch gegenüber landesweiten Umfragen in den USA ist Amerika-Experte Markus Hünemörder von der Universität München: "Sie beruhen oft auf sehr kleinen Stichproben", gibt er zu bedenken. Hinzu komme, dass die amerikanische Präsidentenwahl "im Grunde aus 51 verschiedenen Wahlen besteht" – in diesen werden die so genannten Wahlmänner bestimmt, die später den Präsidenten wählen. Das schwankenden Abstimmungsverhalten an so vielen Orten lässt sich nur schwer voraussagen.
Fundierter sind da schon die Zahlen des Portals "RealClearPolitics", das seine Daten aus der Zusammenfassung von knapp 150 Umfragen gewinnt und so für den Demokraten Joe Biden einen landesweiten Vorsprung von 9,2 Prozent gegenüber Donald Trump errechnet.
Hillary Clinton hatte drei Millionen Stimmen mehr – und verlor die Wahl
"Dramatisch" will Experte Hünemörder auch diese Zahlen nicht nennen: Hillary Cliton, wendet er ein, habe bei den letzten Wahlen 2016 drei Millionen mehr Stimmen erhalten als Donald Trump – und trotzdem verloren. Ursache ist das föderale amerikanische Wahlsystem. Dessen Bestimmungen führen dazu, dass es bei der Wahl vor allem auf das Wählervotum in bestimmten Bundesstaaten ankommt. "Wenn Trump Florida verlieren würde", sagt Hünemörder, "dann wäre es für ihn möglicherweise vorbei".
Genau dieser Sachverhalt könnte dem Präsidenten nun schlaflose Nächte bereiten. Denn auch in den sogenannten "Battle Ground"-Staaten, in denen wohl am Ende die Wahl entschieden wird, errechnet "RealClearPolitics" satte Mehrheiten für Joe Biden.
In Florida liegt der Demokrat nach derzeitigem Stand 6,8 Prozentpunkte vor Trump, in Pennsylvania und Wisconsin ebenfalls um mehr als sechs, in Arizona um vier Prozent. Das sind Vorsprünge, die auch bei einer Fehlerwahrscheinlichkeit von drei Prozent für den Sieg über Trump reichen würden. Nur in North Carolina liegt Biden knapp unter dieser Schwelle, mit "nur" 2,3 Prozent Vorsprung vor dem amtierenden Präsidenten.
Das derzeitige Tief in der Wählergunst für Trump schlicht auf "Corona" zurückzuführen, greift nach Ansicht des Amerikanisten zu kurz. Viele Wähler nähmen Trump nicht primär sein misslungenes Krisenmanagement übel – entscheidender sei die von der anhaltenden Pandemie verursachte Wirtschaftsflaute mit Millionen zusätzlicher Arbeitsloser.
Die Angst vor der negativen Reaktion der Wähler sei es, so Hünemörder, die Trump mehr oder weniger dazu zwinge, nun Hals über Kopf den Lockdown zu beenden. Das Risiko weiterer Tausender Corona-Opfer nimmt der Präsident in Kauf, um die Wirtschaft schnell wieder anzukurbeln. Der Experte sieht eine "tiefe Ironie" darin, dass Trump die kommende Wahl verlieren könnte "nicht, weil er Unsinn verzapft und weil er ein Spalter ist", sondern wegen einer wirtschaftlichen Entwicklung, die auch ein anderer Präsident möglicherweise nicht hätte verhindern können.
Die Älteren ärgern sich über Trumps Rüpeleien
Auch die anhaltende Rassismus-Diskussion hat Donald Trump falsch eingeschätzt. Der Präsident hatte mit "Law and Order" auf Demonstrationen reagiert, drohte mit dem Einsatz von Militär und Nationalgarde – nun aber, so Hünemörder, stelle sich heraus, dass sogar 60 Prozent der weißen Wähler der "Black Lives Matter"-Bewegung recht geben und einen systematischen Rassismus bei der Polizei vermuten.
Trump, so der Experte, scheine auch nicht wahrhaben zu wollen, dass er wegen seines "unpräsidentiellen" Verhaltens sogar bei den älteren Wählern ab 65 an Rückhalt verliere. "Diese Schicht", sagt er, "legt Wert auf gewisse Formen, auf ein gewisses Auftreten" – Trump verärgere sie mit seiner Rüpelhaftigkeit.
Ein "harter Kern" bleibt Trump nach wie vor treu: Die große Bevölkerungsgruppe der weißen Arbeiter ohne College-Abschluss steht weiterhin zu "ihrem" Präsidenten. Doch an den Rändern dieses Wählerspektrums verliert Trump stetig. Dort habe man 2016 die Wahl zwischen Donald Trump und
Im Herbst beginnt die Medienschlacht
Doch wenn im Herbst der typische amerikanische Wahlkampf mit seiner gigantischen Medienschlacht beginnt, kann sich das Blatt schnell noch einmal wenden. Wie zum Beispiel werden es die streng religiösen Evangelikalen in den USA halten, die derzeit noch zu Trumps treuster Gefolgschaft gehören? Seit am 15. Juni der Oberste Gerichtshof der USA die Diskriminierung von Homosexuellen am Arbeitsplatz verboten hat, könnte auch von dieser Seite die Unterstützung ins Wanken geraten: "Die konservativen Evangelikalen", erklärt Markus Hünemörder, "haben Trump gewählt, weil er ihnen konservative Richter versprochen hat." Doch nun hat sich gezeigt, dass auch von Trump eingesetzte Richter durchaus unabhängig handeln und entscheiden können.
Trotzdem hält der Experte Trumps Abwahl längst nicht für gesichert. "Es ist jetzt Juni und noch lange nicht November", gibt er zu bedenken und erinnert noch einmal: "Hillary Clinton hat anfangs überall geführt und am Ende doch verloren!" Erst nach dem Labour Day, dem ersten Sonntag im September, sollte man sich seiner Ansicht nach die Umfragewerte wieder genauer ansehen. Bis dahin könne sich noch vieles ändern. Vor allem aber hätten sich viele Menschen bisher noch gar nicht intensiv mit der Präsidentschaftswahl auseinandergesetzt: "Es ist ja nicht so, dass die Amerikaner keine anderen Probleme hätten." Es dürfte also noch eine Weile offenbleiben, ob das Wahlvolk Donald Trump oder Joe Biden eine "Klatsche" erteilt.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Markus Hünemörder
- Sueddeutsche.de vom 25.6.2020: Wahl in USA: Donald Trump in Umfragen hinter Joe Biden.
- Realclearpolitics.com, 29.6.2020: General Election: Trump vs. Biden.
- Merkur.de vom 27.6.2020: US-Wahl: Umfrage liefert heftige Klatsche für Trump – dessen Reaktion erinnert CNN an "Venezuela".
- Theguardian.com, 16.6.2020: The US supreme court has given LGBTQ Americans a rare bit of good news.
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