Die Ursprünge der rassistischen Polizeigewalt in den USA gehen bis zu den Sklavenpatrouillen in den Südstaaten zurück. Ihre Strukturen setzen sich bis heute fort. Die Rufe nach Reformen werden aber immer lauter.
Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd vor mehreren Wochen erschüttert die USA nach wie vor: Täglich finden Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt statt und die Medien veröffentlichen stets neue Details zum Fall.
So wurde am Montag vom Anwalt der Familie Floyd ein neues Video der tödlichen Festnahme veröffentlicht. Es zeigt, wie die vier beteiligten Polizisten mehrfach Bitten von Passanten ignorierten, Floyds Gesundheitszustand zu überprüfen und seinen Puls zu messen.
"Es sind jetzt drei Minuten. Er bewegt sich nicht", ruft ein Mann in dem Clip. Doch die Polizisten im Video zeigen sich unbeeindruckt von der Aussage und wenden ihr Gesicht von den Passanten ab, während im Hintergrund Floyd weiterhin gewaltsam auf den Boden gedrückt wird.
Diese schockierenden Szenen hinterlassen ein Gefühl der Hilfslosigkeit und die Frage, wieso die Polizisten so brutal gegen den offensichtlich hilflosen Mann vorgehen und sich dabei offenkundig im Recht fühlen.
Die traurige Wahrheit ist, dass rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA keine Neuigkeit und vor allem kein Einzelfall sind. So starben Daten der "Washington Post" zufolge im Jahr 2018 992 Menschen in den USA durch Polizeigewalt - 229 von ihnen, also 23 Prozent und damit überproportional viele, waren Schwarze. Zwölf Prozent der gesamten Bevölkerung der USA sind Schwarz.
Vergangenheit als Wurzeln der rassistischen Polizeigewalt
Connie Hassett-Walker, Professorin für Strafjustiz an der Kean Universität in New Jersey, schreibt in einem Debattenbeitrag, dass "die Wurzeln des Rassismus in der amerikanischen Polizeiarbeit vor Jahrhunderten gepflanzt wurden" und bis heute noch nicht vollends ausgemerzt worden sind. Wer diese Gewaltexzesse verstehen will, muss also die Geschichte und Struktur der US-Polizeikräfte kennen.
Hassett-Walker zufolge hat die Polizei in den Südstaaten der USA ihren Ursprung in den sogenannten "slave patrols", also Patrouillen von Gruppen weißer Freiwilliger, die ab dem frühen 18. Jahrhundert mit Selbstjustiz die damals gültigen Sklavengesetze durchsetzen. Sie bestanden bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in allen Staaten, in denen Sklaverei damals noch nicht abgeschafft war, fort.
Ein weiterer, bekannterer Vorläufer der US-Polizei waren die zentralisierten städtischen Polizeieinheiten, die ab dem 19. Jahrhundert in US-Großstädten wie Boston, New York City, Albany, Chicago und Philadelphia aufgebaut wurden. Diese Polizeieinheiten waren laut Hassett-Walker "überwiegend männlich, weiß und darauf ausgerichtet, eine gefährliche Unterschicht" zu kontrollieren, "die Afroamerikaner, Immigranten und Arme umfasste".
Wichtige Rolle der Polizeigewerkschaften
Korruption und Gewalt - gerade gegen verletzliche Menschen - seien bei der Polizei im frühen 20. Jahrhundert an der Tagesordnung gewesen, so Hassett-Walker. Ihrer Meinung nach gehört die Kombination aus dieser Herkunft der Polizei und dem Fehlen einer angemessenen Polizeiausbildung sowie dem historischen Mangel nicht-weißer Polizeioffiziere zu den Hauptgründen der heutigen Polizeibrutalität gegen US-Amerikaner schwarzer Hautfarbe.
Dieser Ansicht ist auch Silvan Niedermeier, der an der Universität Erfurt zu Afroamerikanischer Geschichte forscht und zu dem Thema Polizeigewalt Bücher veröffentlicht hat. Basierend auf diesem geschichtlichen Hintergrund "versteht sich die Polizei bis heute oftmals noch als Institution, die dazu dient, die weiße Vorherrschaft zu verteidigen", sagt Niedermeier im Gespräch mit unserer Redaktion.
Eine weitere wichtige Rolle spielen laut dem Wissenschaftler die mächtigen Polizeigewerkschaften, in denen viele Polizisten in den USA organisiert sind. Sie tragen zu dem Problem des Gewaltmissbrauchs durch Polizisten bei, indem sie eine "us vs. them"-Mentalität befördern, also das Selbstverständnis, dass die Polizei eine geschlossene Gruppe ist, die sich gegen Angriffe und Anfeindungen von außen verteidigen muss - also auch gegen Reformbemühungen und Anschuldigungen.
"No Justice, No Peace"
Diesem Selbstverständnis folgend unterstützen die Gewerkschaften ihre Mitglieder mit großem finanziellen und - wenn nötig - juristischem Beistand gegen Anklagen von Fehlverhalten oder Machtmissbrauch im Beruf. Diese Verteidigung ist äußerst erfolgreich, wie der Ausgang diverser Gerichtsverfahren zeigt, in denen es um Polizisten ging, die im Dienst schwarze US-Amerikaner erschossen haben.
In zwei prominenten Fällen, denen von Eric Garner in New York City und Michael Brown in Ferguson, haben die Geschworenen sich in der jüngeren Vergangenheit entschieden, keine Anklage zu erheben. In vielen anderen Verfahren kamen die Richter zu Freisprüchen.
Für wie ungerecht eine breite Bevölkerung die Rechtsprechung gegen Schwarze in den USA hält, zeigt auch der "No Justice, No Peace" - "Keine Gerechtigkeit, kein Frieden" - Ruf, der seit 1986 immer wieder auf Demonstrationen gerufen wird, wenn es darum geht, für die Rechte schwarzer Gewaltopfer zu protestieren.
Diese "wir gegen den Rest der Welt"-Mentalität geht so weit, dass die Polizisten in vielen Fällen die Kooperation in Gerichtsverfahren verweigern, in denen es um ein Fehlverhalten ihrer Kollegen geht. Diese Praxis nennt sich die "blue wall of silence" - "die blaue Wand des Schweigens".
Die Polizeigewerkschaften spielen auch eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung neuer Polizisten, sodass sie mitbestimmen können, dass neu eingestellte Polizisten Menschen sind, die ihre Werte auch künftig vertreten.
Rufe nach Reformen
Doch die Schockwelle, die das Land seit dem Mord an George Floyd ergriffen hat, ist so stark, dass sie diesmal an den Fundamenten des Polizeisystems in den USA rüttelt: So fordern Menschen im ganzen Land, die Polizei grundlegend zu reformieren, um der rassistischen Polizeigewalt ein Ende zu bereiten.
Die Reformvorschläge haben eine große Bandbreite, so forderte etwa der Stadtrat von Minneapolis, wo Floyd starb, die Polizei abzuschaffen und ein völlig neues System zu errichten.
Eine andere Forderung lautet, dass der Polizei ein Teil ihrer üppigen Finanzierung gestrichen werden soll, um die Gelder für andere Projekte zu verwenden, die für mehr Sicherheit sorgen sollen, dabei aber auf den Einsatz von Gewalt verzichten - etwa, indem Sozialarbeiter und Experten für psychische Gesundheit Polizisten bei Einsätzen in sozialen Brennpunkten begleiten.
Diese alternative Herangehensweise, die bereits in vereinzelten Projekten ausgetestet wird, soll dazu führen, dass auf die Menschen eingegangen werden kann und es zu weniger Festnahmen und somit auch weniger Konflikten mit der Polizei kommt.
Einen ersten Schritt machte US-Präsident Donald Trump am Dienstag mit der Unterzeichnung eines Dekrets für Polizei-Reformen. Es sieht etwa vor, dass Beamte den Würgegriff, mit dem auch Floyd minutenlang am Boden gehalten worden war, nur noch in lebensgefährlichen Situationen anwenden dürfen. Dem Dekret zufolge sollen auch Daten über im Dienst auffällig gewordene Polizisten für die Dienststellen besser zugänglich gemacht werden.
Doch Niedermeier ist skeptisch: "Ich habe Zweifel, ob man die Polizei als Institution wirklich so schnell reformieren kann. Dafür sind sehr viele Schritte und viel Zeit notwendig."
Verwendete Quellen:
- The New York Times: Why is police brutaily still happening?
- The Conversation: The racist roots of American policing: From salve patrols to traffic stops
- Washington Post: Fatal Police Shootings 2018
- Jurist.org: Is it time to end police unions? Why police unions are hurting more than they are helping
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