- Noch nie hatte die CDU so junge Führungsgremien: In Vorstand und Präsidium sitzen sieben Vertreterinnen und Vertreter der Jungen Union
- Wie wollen sie die Partei nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2021 wieder in die Erfolgsspur bringen?
- Wir haben uns bei den "Jungen Wilden" umgehört.
Ronja Kemmer hat schon geschafft, wofür viele CDU-Politiker lange gebraucht haben. Roland Koch zum Beispiel, der frühere hessische Ministerpräsident, musste 40 Jahre alt werden, bis er es 1998 ins Präsidium der CDU schaffte. Der heutige Verfassungsrichter Peter Müller wurde im gleichen Jahr mit 43 ins höchste Gremium der Partei gewählt. Beide galten damals als "Junge Wilde" der Union.
Die Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer ist dagegen 32, seit kurzem aber ebenfalls Mitglied im CDU-Präsidium. Nimmt man den größeren Bundesvorstand hinzu, sind in den beiden Führungsgremien der Partei jetzt sieben Mitglieder der Jungen Union vertreten:
- Ronja Kemmer (Präsidium): seit 2014 Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Ulm
- Birte Glißmann (Vorstand): Landtagskandidatin und Vorsitzende der Jungen Union in Schleswig-Holstein
- Jessica Heller (Vorstand): Stadträtin in Leipzig
- Laura Hopmann (Vorstand): Abgeordnete im niedersächsischen Landtag aus Hildesheim
- Bastian Schneider (Vorstand): Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union aus Baden-Württemberg
- Johannes Steiniger (Vorstand): seit 2013 Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Neustadt-Speyer
- Wiebke Winter (Vorstand): Mit-Gründerin der "Klima-Union" aus Bremen
Sie verkörpern einen Umbruch, den die CDU seit der verlorenen Bundestagswahl 2021 nötig hat: Neue Gesichter, neue Themen, neues Profil wünscht sich die Partei. Wie genau wollen die "Jungen Wilden" des Jahres 2022 die Partei wieder auf die Erfolgsspur bringen?
Unterstützung für Friedrich Merz: "Er ist erkenn- und unterscheidbar"
"Ich bin froh, dass die Führungsfrage endlich geklärt ist. Und ich freue mich über einen Bundesvorstand, der noch nie so jung und so weiblich war wie jetzt", sagt der Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger. Und zwar ohne Quoten, schickt er hinterher.
Unter den 16 Landesvorsitzenden der CDU ist seit kurzem überhaupt keine Frau mehr. Im Bundesvorstand aber fordern junge Frauen selbstbewusst ihren Platz ein. So wie Birte Glißmann aus Schleswig-Holstein. "Ich möchte zeigen, dass junge Frauen in der CDU gehört werden, dass wir mitbestimmen und dass wir eine genauso starke Stimme haben wie die männlichen Kollegen", sagt sie. "Die CDU ist nicht nur männlich und 60 plus, sie ist auch weiblich und deutlich jünger."
An der Parteispitze steht mit Friedrich Merz allerdings wieder ein Mann jenseits der 60. Die erste Landtagswahl unter seiner Führung – am Sonntag im Saarland – ging krachend verloren. Passt das zum versprochenen Aufbruch? "
Mit Merz an der Spitze können die "Jungen Wilden" jedenfalls gut leben. "Friedrich Merz zeichnet aus, dass er erkenn- und unterscheidbar zur politischen Konkurrenz formulieren kann. Das ist besonders in der Opposition wichtig", sagt Johannes Steiniger.
Ziel Mitmach-Partei: "Wir müssen Hierarchien abbauen"
Ein Wort fällt in den Gesprächen mit den jungen Vorstandsmitgliedern häufig: Die CDU müsse eine "Mitmach-Partei" werden. Bisher hatte sie diesen Titel offenbar nicht verdient. "Egal ob es um junge Menschen oder Frauen generell geht: Die Leute wollen nicht irgendwo eintreten und erst nach ein paar Jahren anfangen können, sich zu engagieren, sondern direkt was machen", sagt Laura Hopmann. "Wir müssen also Hierarchien abbauen, Mitmachen ermöglichen – und zwar sofort."
Auf diesen Punkt kommt auch Präsidiumsmitglied Ronja Kemmer zu sprechen: "Der Mehrwert einer Mitgliedschaft muss offensichtlich sein – und das ist er nur, wenn Mitglieder sich einbringen und mitmachen können." Ein erster Schritt in diese Richtung sei die Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz gewesen: ein Novum in der CDU-Geschichte. "Die gute Beteiligung von rund zwei Dritteln hat gezeigt, dass die Mitglieder Lust haben mitzumachen", sagt Kemmer.
Eine schmerzende Wahlniederlage – vor allem bei den Jüngeren
Der aktuelle Umbruch wäre wohl nicht passiert ohne die herbe Niederlage der Union bei der vergangenen Bundestagswahl. Vor allem viele jüngere Menschen machten 2021 einen Bogen um die Union: CDU und CSU kamen in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen auf gerade einmal 10,8 Prozent. Das geht aus Zahlen des Bundeswahlleiters hervor.
Andere Parteien waren bei den 18- bis 24-Jährigen deutlich beliebter: 24 Prozent entschieden sich für die Grünen, 20,5 Prozent für die FDP. Ihn habe das schockiert, sagt der Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger. "Eigentlich sind die jungen FDP-Wähler genau unsere Zielgruppe."
Die Diagnose ist unstrittig: Die CDU habe zu wenig vermitteln können, wofür sie eigentlich steht. "Wenn nicht einmal unsere Mitglieder am Wahlkampfstand wissen, mit welchen Inhalten wir überzeugen wollen – wie sollen das dann die Wählerinnen und Wähler wissen?", fragt Birte Glißmann. Für sie steht fest: "Wir müssen in der Kommunikation mutiger werden, damit die Menschen wieder wissen, wofür die Union eigentlich steht."
Wiebe Winter: "Wir werden nicht ohne Windräder auskommen"
Aber wofür steht sie denn? Das Profil einer Volkspartei, die möglichst viele Menschen ansprechen will, ganz klar zu zeichnen – das fällt auch manchem CDU-Mitglied schwer. Unter den jungen Mitgliedern der Führungsgremien ist die Bandbreite der Themen jedenfalls groß.
Es gelte, die Welt zu bewahren, sagt zum Beispiel die Bremer Klimapolitikerin Wiebke Winter: "Wenn ich könnte, würde ich Deutschland sofort klimaneutral machen. Die erneuerbaren Energien müssen zügig ausgebaut werden. Die Bürokratie muss entschlackt, die Eigenstromversorgung erleichtert und Unternehmen entlastet werden – währenddessen immer die Versorgungssicherheit sichergestellt ist."
Ohne die CDU werde Klimaschutz nicht funktionieren, ist Wiebke Winter überzeugt. Es sei die Aufgabe der Partei, Brücken zu bauen. "Wir werden nicht ohne Windräder auf dem Land auskommen." Das Ziel, zwei Prozent der Landesfläche für die Erzeugung von erneuerbaren Energien zu nutzen, sei nur zu erreichen, wenn man die Menschen vor Ort mitnehme.
Bei der Klimapolitik liege das Defizit der CDU in der Kommunikation und Glaubwürdigkeit, sagt Ronja Kemmer. "Die meisten Parteien sind sich in den Zielen mehr oder weniger einig. Die spannende Frage ist aber, wie wir sie erreichen. Wir haben es nicht geschafft, darauf klare Antworten zu geben – obwohl wir da viel anzubieten haben. Das hat auch damit zu tun, dass wir stärker digitale Kanäle nutzen müssen."
Inflation, Bildung, Sicherheit – an Themen mangelt es nicht
Auch das Thema Sicherheit fällt in den Gesprächen oft. "Die Aufgabe einer Volkspartei ist es, Sicherheit herzustellen, soziale, innere und äußere", findet der Baden-Württemberger Bastian Schneider. "Wir werden nie den harten Kern der Grünen-Wähler von uns überzeugen, wir müssen das auch gar nicht. Wichtiger ist, dass wir uns wieder unserer eigenen Zielgruppen bewusst werden."
Die Gesellschaft sei zerrissen, die CDU daher besonders gefragt, sagt Schneider: "Politik darf nicht nur die großen Städte im Blick haben. Die Menschen im Rest des Landes müssen sich ebenso in den Entscheidungen wiederfinden können."
Auch die Bildungspolitik wird immer wieder genannt. Aus Protest gegen rot-grüne Schulreformen in ihren Ländern sind mehrere der jungen Vorständler in die Partei eingetreten. "Ehrlicherweise sind wir in der Vergangenheit in diesem Bereich hinter unseren eigenen Zielen zurückgeblieben, egal ob es um Glasfaseranschlüsse an den Schulen geht oder um die Frage, welche Unterrichtskonzepte digitale Bildung eigentlich haben muss", findet Laura Hopmann. "Wir müssen uns ein wenig vom absoluten Föderalismusgedanken lösen."
Und dann wäre da ein weiterer CDU-Markenkern: Wirtschaft, Finanzen, Soziales. Die Inflation sei natürlich ein Riesenthema, findet der Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger. "Jeder fragt sich, wie und wann es zu Entlastungen kommt." Er will in dieser Hinsicht vor allem die liberale Konkurrenz angreifen: "Was die Freien Demokraten früher in der Opposition gesagt haben, ging viel weiter als das, was sie jetzt in der Regierung machen. Denn viel Innovatives habe ich bisher noch nicht von der FDP gehört".
Birte Glißmann fordert, dass die Partei nicht noch einmal ohne ein eigenes Rentenkonzept in den Wahlkampf gehen darf: "Es ist offensichtlich, dass das jetzige System nicht mehr finanzierbar ist. Wenn wir das Rentenniveau vor dem Hintergrund des demografischen Wandels halten wollen, müssen wir uns ein neues Konzept überlegen. Ich wünsche mir, dass wir uns im neuen Bundesvorstand Lösungen überlegen."
Lieber VW als Tesla oder Maserati
Nach einer Revolution, nach "Jungen Wilden" klingt das alles nicht. Oft sucht der CDU-Nachwuchs einen vernünftigen Mittelweg. Lässt sich so wirklich das Profil schärfen? Das gehe schon, findet Birte Glißmann. Die Antwort auf ein Problem sei oft weder Schwarz noch Weiß, sondern irgendetwas dazwischen: "Das bedeutet für mich nicht, dass man keine Position hat. Man kann auch eine Position in der Mitte haben, muss sie dann aber klar bezeichnen und erklären."
Bastian Schneider sagt es so: "Die CDU wird nie Tesla oder Maserati sein. Im besten Fall sind wir aber wie ein VW: zuverlässig und für die meisten Leute eine gute Wahl."
Verwendete Quellen:
- Gespräche mit Birte Glißmann, Laura Hopmann, Ronja Kemmer, Bastian, Schneider, Johannes Steiniger und Wiebke Winter
- Bundeswahlleiter: Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021, Heft 4: Wahlbeteiligung und Stimmabgabe nach Geschlecht und Altersgruppen
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