• Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze ist vor kurzem von ihrer Reise nach Westafrika zurückgekehrt.
  • Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über die Reise und erzählt von ihren Eindrücken über Ghana und Côte d’Ivoire.
  • Darüber hinaus erklärt sie, wie die Zuwanderung von Fachkräften besser werden soll.
Ein Interview

Frau Schulze, mit welchen Gefühlen und Zielen sind Sie nach Westafrika gereist und mit welchen kommen Sie zurück?

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Svenja Schulze: Ich wollte mir vor Ort ein Bild machen von den Arbeitsbedingungen am Anfang der Lieferketten – und lernen, worauf wir bei der Umsetzung unseres Lieferkettengesetzes achten können, damit es den Menschen dort zugutekommt. Denn wie wir in Deutschland konsumieren, hat großen Einfluss auf die Lebensbedingungen in anderen Teilen der Welt. In Ghana haben wir uns die Textillieferkette angesehen, in Cote d’Ivoire die für Kakao. Es gibt dort die Sorge, dass unsere neuen Regeln für Lieferketten dazu führen, dass wir weniger aus Westafrika importieren würden. Diese Sorge konnten wir unseren Gesprächspartnern nehmen.

Denn wir wollen nicht weniger Handel, sondern faireren Handel, der zu besseren Arbeits- und Umweltbedingungen führt. Der Manager einer Textilfabrik in Ghana hat mir gesagt: Natürlich kann man auch fair produzieren für den Weltmarkt. Das Lieferkettengesetz hilft ihm künftig im Wettbewerb, weil er besser als andere nachweisen kann, dass seine Produktion ohne Kinderarbeit und Ausbeutung funktioniert. Wer fair produziert, sollte nicht der Dumme sein – auch dafür sorgt das Gesetz.

Welchen Eindruck haben Sie von Ghana und Côte d’Ivoire in Bezug auf Stabilität, Meinungsfreiheit und Demokratie?

Wir pflegen seit vielen Jahren gute Beziehungen zu Ghana und Côte d’Ivoire. Wir sind uns auch einig in der Verurteilung des russischen Angriffskriegs in der UN-Generalversammlung. In den Gesprächen hat die Tatsache, dass wir uns als Demokratien miteinander verbunden fühlen, eine wichtige Rolle gespielt. Natürlich gibt es auch Probleme: In Ghana, das als Stabilitätsanker eine wichtige Rolle in Westafrika spielt, gibt es Rückschritte bei Pressefreiheit und Korruption. In Côte d’Ivoire hat es seit Ende des Bürgerkriegs 2007 viele Fortschritte, aber auch einige Rückschläge in puncto Demokratie und Menschenrechte gegeben.

Was die Stabilität bedroht, ist vor allem der Terror im benachbarten Sahel, der auch über die Grenze schwappen kann. Darum unterstützen wir Ghana und Cote d’Ivoire gerade auch in den nördlichen Regionen dabei, Perspektiven für junge Menschen zu schaffen. Denn wer ein sicheres Einkommen hat, ist weniger anfällig für Anwerbeversuche von Terrorgruppen. Das zeigt, wie wichtig Entwicklungspolitik auch für Sicherheitsfragen ist.

Gemeinsam mit Ihrem Kabinetts- und Parteikollegen Hubertus Heil, der zugleich Bundesarbeitsminister ist, haben Sie in Ghana nichts Geringeres als einen "Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik" verkündet. Was verbirgt sich hinter dieser doch richtungsweisenden Ankündigung?

Die Entwicklungspolitik kann natürlich nur ein Baustein von vielen sein, um unser Fachkräfteproblem zu lösen. Richtig gesteuert birgt Migration enormes Potenzial für die Herkunftsländer und für uns. Während viele Länder wie Ghana vor der Herausforderung stehen, Jobs für ihre junge, wachsende Bevölkerung zu schaffen, sorgt der demografische Wandel in Europa dafür, dass wir in vielen Bereichen händeringend Arbeitskräfte benötigen. Um die Interessen zusammenzubringen, brauchen wir starke und umfassende Partnerschaften mit den Herkunftsländern.

Das von uns neu aufgestellte Zentrum für Migration und Entwicklung in Ghanas Hauptstadt Accra ist ein gutes Beispiel, wie das gelingen kann. Hier können sich Menschen, die über Migration nachdenken, erkundigen, welche legalen Wege es gibt, welche Qualifikationen nötig sind und hoffentlich auch einige Falschinformationen korrigieren. Wenn es passt, kann das Zentrum auch direkt Ausbildungsgänge oder Deutschkurse in Ghana vermitteln.

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Profitieren von Ihrem Versuch, Zuwanderung so zu gestalten, dass alle Beteiligten etwas davon haben, auch die Herkunftsländer wie Ghana und Elfenbeinküste?

Es soll eben keine Einbahnstraße sein vom Süden in den Norden. Viele unserer Partnerländer haben großes Interesse an regulären Möglichkeiten der Migration. Sie wollen ihrer jungen, wachsenden Bevölkerung Chancen eröffnen, die sie zuhause noch nicht findet. Außerdem profitieren die Familien von Rücküberweisungen der Menschen, die bei uns in Europa arbeiten. Es geht bei den Zentren übrigens auch um Menschen, die aus Deutschland in ihre Heimat zurückkommen und beraten werden, wie sie ihr neues Wissen in Ghana einbringen können. So nutzt unser Engagement als dreifacher Gewinn Deutschland als Zielland, den Herkunftsländern und den Migrant*innen persönlich.

Also kein weiterer schmerzlicher Aderlass für die afrikanischen Staaten? Mit anderen Worten: Werden Fachkräfte aus diesen Ländern gezielt abgeworben, um unseren demografischen Wandel zu lindern? Und vor Ort fehlen dann diese qualifizierten Menschen?

Das darf nicht passieren. Darum ist die Zusammenarbeit mit den Arbeitsministerien der Partnerländer so wichtig. Dabei schauen wir uns gemeinsam mit den Behörden vor Ort die Branchen sehr genau an, um zu vermeiden, dass es einen Brain Drain in unseren Partnerländern gibt, also eine Abwanderung von Fähigkeiten und Wissen. Das gilt vor allem in besonders sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitssektor.

Wie wollen Ihr Ministerium und die Bundesregierung konkret die Situation vor Ort in Ghana und Elfenbeinküste verbessern, wenn Fachkräfte dort künftig fehlen?

Uns ist sehr wichtig, Arbeits- und Ausbildungsmigration so zu gestalten, dass die Menschen in unseren Partnerländern genauso profitieren. Die Bevölkerung dort ist im Mittel Anfang 20, also sehr viel jünger als bei uns. Nicht ohne Grund verwenden wir den Großteil unserer Gelder bei der Migrations-Zusammenarbeit dafür, Ausbildungsplätze und Jobs zu schaffen – und zwar solche mit fairen Arbeitsbedingungen, fairen Löhnen, ökologisch verträglich und mit Fokus auf Frauen. Denn davon profitiert die gesamte Bevölkerung.

Viele junge Ghanaer wollen wohl lieber heute als morgen nach Europa. Das Land ächzt unter einer Inflation von mehr als 50 Prozent, die Wirtschaft ist angeschlagen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass nur gut ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland kommen?

Das stellen wir über klare gesetzliche Regelungen sicher. Das überarbeitete Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird Hürden abschaffen, gleichzeitig aber auch Kriterien definieren, wer unter welchen Umständen zu uns kommen und arbeiten darf. Genau darüber soll das Zentrum für Jobs, Migration und Entwicklung in Ghana informieren. Die Menschen sollen eine informierte Entscheidung treffen können und sich nicht mehr auf falsche Versprechen von kriminellen Schleppern verlassen müssen. Damit leisten wir auch einen Beitrag zur Reduzierung von irregulärer Migration. Darüber hinaus möchten wir durch das Zentrum Interessierte mit Migrationswunsch in Ausbildungsangebote vor Ort vermitteln.

Nach welchen Kriterien sollen Einreisewillige gemäß dem geplanten neuen Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das Anlass Ihrer Reise nach Westafrika ist, künftig ausgewählt werden?

Unsere Zentren für Migration und Entwicklung werden keine Personen auswählen, sondern grundsätzlich alle Interessierten beraten und bei Bedarf eben auch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen vermitteln, so dass sie bessere Möglichkeiten haben, eine Arbeit in ihrer Heimat oder in Deutschland zu finden.

Bereits 2020 lockerte die damalige Große Koalition, damals waren Sie Bundesumweltministerin, die Regeln zur Fachkräftezuwanderung in die Pflegeberufe. Geholfen hat es wenig, denn nur wenige Fachkräfte kamen tatsächlich aus den umworbenen Ländern wie Indien oder Indonesien nach Deutschland. Was ist das Neue an dem geplanten Gesetz, warum soll es jetzt besser laufen?

Es hat sich gezeigt, dass weitere gesetzliche Erleichterungen beim Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt notwendig sind, um die Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften voranzubringen, auch in der Pflege. Darum arbeitet die Bundesregierung an einem Gesetzesentwurf zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung. Als Entwicklungsministerin ist es mir sehr wichtig, dass wir gerade bei Gesundheit und Pflege den Bedarf an Kräften in den Ländern des globalen Südens achten. Anwerbung muss ethisch vertretbar sein. Deshalb verpflichtet sich die Bundesregierung im Einklang mit den Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation weiterhin zu Anwerbebeschränkungen, die für Länder gelten, in denen ein Mangel an Gesundheitsfachkräften herrscht.

Über die Expertin:
Svenja Schulze wurde am 29. September 1968 in Düsseldorf geboren. Die SPD-Politikerin ist seit dem 8. Dezember 2021 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war sie von 2010 bis 2017 Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen und von 2018 bis 2021 Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Schulze ist verheiratet und lebt in Münster.
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