Am Montag wurde die Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" offiziell gegründet und drei Neumitglieder stellten sich vor. Wer sind die Männer, die die neue politische Kraft künftig mitprägen wollen?

Eine Analyse
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Eine Partei kann man nicht allein gründen. Das weiß auch Sahra Wagenknecht. "Man braucht Strukturen, man braucht fähige Organisatoren, man braucht ein richtiges Team", hatte die Ex-Linkenpolitikerin im September vergangenen Jahres im Interview mit unserer Redaktion gesagt.

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Im Oktober fiel dann die Entscheidung für die Gründung des "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) und von Anfang an wurde spekuliert: Wer wird sich ihr anschließen und die vielen Parteifunktionen und Kandidatenplätze für die kommenden Wahlen füllen?

Seit der Pressekonferenz zur Gründung der Partei am Montag in Berlin gibt es erste Gewissheiten: Die beiden BSW-Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni werden der Finanzpolitiker Fabio di Masi und der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel. Mit dem Ingenieur und Unternehmer Shervin Haghsheno wurde zudem ein drittes Neumitglied präsentiert. Er soll stellvertretender Vorsitzender des Bündnisses werden.

Wer sind diese drei Männer, die künftig die Geschicke der neuen Partei mitbestimmen werden? Mithilfe des Parteienforschers Benjamin Höhne geben wir einen Überblick über ihre Biografie und politische Positionierung.

Der Finanzexperte: Fabio De Masi

Eigentlich wollte er der aktiven Politik den Rücken kehren. Im September 2022 trat Fabio De Masi aus der Linkspartei aus und erklärte, nicht vorzuhaben, sich "in absehbarer Zeit in einer anderen politischen Formation zu engagieren". Nun die Kehrtwende: Der 43-Jährige, der für seine Ex-Partei sowohl im Europarlament als auch im Bundestag gesessen hatte, wird EU-Spitzenkandidat des "Bündnis Sahra Wagenknecht".

Der Deutsch-Italiener De Masi ist vor allem als Finanzpolitiker bekannt. Mit seiner hartnäckigen Aufarbeitung des Wirecard-Skandals und der Cum-Ex-Affäre um den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz hat er sich parteiübergreifend einen Namen gemacht. Seine Rückkehr in die Politik begründete er mit der desaströsen Politik der Ampel-Regierung. "Die heftigen Reaktionen auf meine Kandidatur zeigen mir, die politischen Mitbewerber sind nervös", erklärte De Masi am Montag. "Und dazu haben sie allen Grund."

Für den Politikwissenschaftler Benjamin Höhne ist der Beitritt De Masis zum BSW keine große Überraschung. "Er und Sahra Wagenknecht sind alte Weggefährten", sagt der Parteienforscher von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Gespräch mit unserer Redaktion. Wagenknecht und De Masi hatten bereits 2018 die schnell wieder eingeschlafene Bewegung "Aufstehen" gegründet. Höhne vermutet, dass De Masi eher überzeugte linke Wähler ansprechen möchte. "Bisher stand er nicht im Verdacht, rechts zu blinken", sagt der Politologe. Möglicherweise werde ihm der Beitritt zum BSW nun aber genau so ausgelegt.

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Der erfahrene Lokalpolitiker: Thomas Geisel

40 Jahre lange war Thomas Geisel Mitglied der SPD. Zuletzt fühlte er sich in seiner alten politischen Heimat jedoch nicht mehr wohl. "Die Sozialdemokratie stand immer für Frieden", sagte Geisel am Montag auf der Pressekonferenz in Berlin. Heute sei Deutschland Hauptwaffenlieferant der Ukraine und unterstütze einen Krieg, der nicht gewonnen werden könne.

Auch bei den Themen Sozialpolitik und Migration fremdelt Geisel, der von 2016 bis 2020 Oberbürgermeister von Düsseldorf gewesen ist, mit der SPD. Zum Beispiel fordert er viel weniger Zuwanderung nach Deutschland. Beim BSW sieht er sich mit seinen Ansichten deutlich besser aufgehoben. Für die neue Partei wird er zur Europawahl antreten.

"Die Verpflichtung Geisels passt in die BSW-Strategie, sich politisch möglichst breit aufzustellen", sagt Parteienforscher Höhne. Dieser bringe ein kommunalpolitisches Profil mit und ergänze damit De Masis ökonomische Expertise. "In der Verbindung mit einer Betonung sozialer und konservativer Themen ist dies die Kombination, mit der Wagenknecht bei den Wählerinnen und Wählern punkten möchte", sagt der Wissenschaftler.

Das unbeschriebene Blatt: Shervin Haghsheno

"Ich war bis zum heutigen Tag kein Politiker", sagte Shervin Haghsheno auf der Pressekonferenz. Er ist das unbeschriebene Blatt der drei BSW-Neumitglieder. Sich selbst beschreibt der in Teheran geborene Ingenieur als politischer "Quereinsteiger" mit 25 Jahren Berufserfahrung. Jahrelang arbeitete Haghsheno in leitender Funktion in der Baubranche, bevor er 2013 Professor am Karlsruher Institut für Technologie wurde.

Dass er sich nun als stellvertretender Vorsitzender einer neuen Partei engagieren will, begründet Haghsheno mit seiner Sorge um die Demokratie. Politik und Medien hätten bei den Menschen an Glaubwürdigkeit eingebüßt, sagt er. "Auch ich habe in den vergangenen Jahren Vertrauen verloren." Seine wichtigsten Anliegen: Einsatz für den Frieden, eine gerechtere Bildungspolitik sowie eine starke Wirtschaft bei steigenden Löhnen.

Haghsheno ist ein politisch unbeschriebenes Blatt und bisher wenig geeignet, Wähler zu begeistern. Für den Politologen Höhne ist das ein grundsätzliches Problem der neuen Wagenknecht-Partei: Ihr sei es noch nicht gelungen, echte Zugpferde für sich zu gewinnen. "Der personelle Zustrom ist deutlich geringer als wahrscheinlich erhofft", sagt Höhne. Sollte das BSW jedoch bei der Europawahl gut abschneiden, könnte sich das schnell ändern. "Opportunisten aus der Linken könnten sich dann der neuen Partei womöglich anschließen."

Verwendete Quellen

Über den Experten

  • Benjamin Höhne ist promovierter Politikwissenschaftler und forscht zu Parteien und dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Einer seiner Schwerpunkte liegt dabei auf Ostdeutschland. Im Sommersemester 2023 war Höhne Vertretungsprofessor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Münster. Aktuell ist Höhne Lehrbeauftragter an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft.
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