Lange hatte die AfD wenig Grund zur Freude. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 musste sie sich mit knapp zehn Prozent zufriedengeben, zwei Prozentpunkte weniger als 2017. Der Höhenflug nach der Flüchtlingskrise schien vorbei. Nun scheint der Unmut über die Regierungspolitik der Ampel den Rechtspopulisten neuen Auftrieb zu verschaffen. Laut aktuellen Umfragen liegt die Partei bei über 20 Prozent und damit hinter der CDU und noch vor der SPD und den Grünen auf Platz zwei.

Ein Interview

Wie konnte es dazu kommen und welche Rolle spielt Bildungsarbeit bei dem Aufstieg der AfD? Unsere Redaktion hat mit dem Soziologen und Bildungsforscher Wilhelm Heitmeyer gesprochen.

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Herr Heitmeyer, die AfD liegt in Umfragen bei über 20 Prozent. Welche Rolle spielt bei solchen Ergebnissen die Bildungspolitik?

Wilhelm Heitmeyer: Da stellt sich natürlich die Frage, welchen Effekt hat Bildung auf die Entscheidung, die AfD zu wählen oder wählen zu wollen. Damit muss man sehr differenziert und vorsichtig umgehen. Es ist nicht so, dass lediglich weniger gebildete Menschen die AfD wählen. So einfach ist es nicht. Bildung spielt eine wichtige Rolle, aber es stellt sich natürlich insgesamt die Frage, warum die Zustimmung so stark gestiegen ist. Das ist sicherlich auch eine gesellschaftliche Entwicklung.

In der AfD geben Politiker wie Björn Höcke den Ton an, der laut Gerichtsbeschluss offiziell als "Faschist" bezeichnet werden darf. Wie kann es sein, dass die Partei trotzdem gewählt wird? Wird zu wenig über Faschismus an Schulen unterrichtet?

Den Kurzschluss zwischen Herrn Höcke und dem Unterricht über den Faschismus in der Schule kann man so nicht ziehen. Björn Höcke ist bekanntlich Geschichtslehrer. Er hat studiert, hat also einen höheren Bildungsgrad und positioniert sich gleichzeitig in einer Art und Weise, in der es darum geht, die Geschichtsschreibung über den deutschen Faschismus neu auszurichten. Das ist keine mangelnde Bildung, sondern ein zentrales Anliegen der AfD. Er hat ja auch vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass man hier einen Wandel um 180 Grad vollziehen müsse. Damit ist er nicht allein in der Partei. Auch Alexander Gauland hat erklärt, der Nationalsozialismus sei lediglich "ein Vogelschiss" in der deutschen Geschichte. Da laufen andere Prozesse innerhalb der Partei ab.

Wilhelm Heitmeyer
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer sagt, bei der politischen Bildung spielt das Elternhaus auch eine entscheidende Rolle. (Archivbild) © picture alliance/Monika Skolimowska

Erziehung und politische Bildung: Welche Rolle spielt das Elternhaus?

Welche Rolle spielt das Elternhaus oder soziale Umfeld bei der politischen Orientierung?

Das Elternhaus spielt eine wichtige Rolle. Es geht ja darum, dass Väter und Mütter auch Rollenmodelle sind. Wenn es in der Familie eine Kommunikation gibt, dann werden auch politische Ansichten diskutiert und vermittelt, wie in jeder Alltagskommunikation. Übrigens auch und vor allem bei den Großeltern, wenn sie regelmäßig Kontakt zu den Enkelkindern haben. Die haben ein anderes emotionales Verhältnis zu den Kindern als die Eltern.

"Wenn man sich das Fach der politischen Bildung in den Schulen ansieht, so kann man wirklich von einem Desaster sprechen."

Wilhelm Heitmeyer

Wenn zu Hause wenig über Politik gesprochen wird oder eben auch sehr einseitige Ansichten vermittelt werden, kann die Schule das überhaupt kompensieren?

Das ist eine gute Frage. Wenn man sich das Fach der politischen Bildung in den Schulen ansieht, so kann man wirklich von einem Desaster sprechen.

Warum?

Die politische Bildung in Deutschland wird immer stärker ausgedünnt. In allen Bundesländern, aber es betrifft vor allem Ostdeutschland. Da muss man sich nur einmal die Stundenpläne anschauen. Und dann geht es auch darum: Was wird denn im Unterricht überhaupt gelehrt? Es kann ja nicht nur darum gehen, zu wissen, wie viele Mitglieder der Bundestag hat. Wenn politische Bildung im Sinne einer Aufklärung Sinn ergeben soll, dann muss man die Mechanismen erklären. So wie im aktuellen Fall eben zu erklären, wie die Bedrohung der Demokratie durch die AfD funktioniert. Das ist etwas völlig anderes als Statistiken auswendig zu lernen. Dazu kommt noch ein zweiter Punkt.

Welcher?

Belehrungen über bestimmte Entwicklungen, zu denen Jugendliche eigene Erfahrungen machen, nehmen diese natürlich nicht an. Wenn junge Menschen keine Selbstwirksamkeit innerhalb der Demokratie spüren oder auch im sozialen Umfeld, dann kann man sie schwer von etwas anderem überzeugen.

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Die Gesellschaftsanalyse muss in die Bildungseinrichtungen

Welche Rolle spielt das Melderegister der AfD, das diese online gestellt hat?

Da können sich Schülerinnen und Schüler beschweren, wenn Lehrer im Unterricht kritisch über die AfD berichten. Das ist ein Instrument, das die Partei seit Jahren kultiviert. Sie möchte in die Institutionen der Gesellschaft eindringen. Das gilt für viele Institutionen wie Polizei, Bundeswehr, aber auch Schulen. Das Melderegister ist – soweit ich das beurteilen kann – nicht sonderlich erfolgreich, was die Zahl der Meldungen anbelangt, aber, es ist ein Signal an die Lehrer, sehr vorsichtig zu sein und es zu vermeiden, sich kritisch mit der AfD auseinanderzusetzen.

Wie steht es um die politische Bildung an Universitäten?

Universitäten bilden die Eliten für den Staatsapparat, die Justiz, aber auch für die Ökonomie aus. Hier ist es so, dass gerade in den Bereichen, die eben konstituierend für unsere Institutionen sind, wie beispielsweise Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre, die Einstellung der Studierenden bemerkenswert rechtsnational ist. Hier gibt es deutlich mehr rechts eingestellte Studierende als in anderen Fächern. Man muss eben schauen, dass neben dem Qualitätsmerkmal, also guter Noten, eben auch auf die politische Bildung der Studierenden geachtet wird. Das Problem ist: Dass das die Universitäten überhaupt nicht interessiert.

Wie könnte dem besser entgegengewirkt werden?

Was die schulische Bildung angeht, müssten sich die Kultusminister dazu bereit erklären, die fachliche Ausbildung zur Gesellschaftsanalyse zu verstärken. Das Gegenteil ist aber der Fall, weil es vor allem darum geht, die sogenannten MINT-Fächer zu stärken, also naturwissenschaftliche Fächer wie Informatik oder Mathematik. Weil diese in erster Linie ökonomisch verwertbar sind und gleichzeitig in den internationalen Rankings zwischen Hochschulen eine große Rolle spielen. Alles andere wird zurückgeschraubt.

Wer ist hierfür verantwortlich?

Insofern sind die Kultusminister mitverantwortlich dafür, dass es an den Schulen nun so aussieht. An den Universitäten müsste es eben auch die Rektoren interessieren, was mit den Studierenden passiert, die aufgrund der G8-Jahrgänge immer jünger sind, aber in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht so ausgeprägt. Außerdem muss den Universitäten klar werden, dass sie die Eliten ausbilden und darauf achten müssen, welche politischen Einstellungen diese haben. Das wird aber nicht passieren, da auch sie auf den ökonomischen Erfolg ausgerichtet sind.

Zur Person: Wilhelm Heitmeyer ist ein deutscher Soziologe, Erziehungswissenschaftler und Professor für Sozialisation am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer
  • spiegel.de: Björn Höcke darf als "Faschist" bezeichnet werden
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