- Die EU ist empört und nennt den belarussischen Machthaber Lukaschenko einen Schleuser.
- Denn über Minsk finden Tausende den Weg nach Westen bis nach Deutschland.
- Was tun?
Tausende Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Krisengebieten sind seit dem Sommer über Belarus und Polen unerlaubt nach Deutschland gekommen. An diesem Mittwoch will Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Bundeskabinett Gegenmaßnahmen besprechen. Einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Denn Hintergrund der neuen Fluchtroute ist ein komplizierter geopolitischer Konflikt.
Die Europäische Union hatte Strafmaßnahmen gegen Belarus verhängt, weil Machthaber Alexander Lukaschenko im Frühjahr ein Flugzeug zur Routenänderung zwang und einen Blogger aus der Maschine holte. Im Gegenzug kündigte Lukaschenko an, Migranten auf dem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. Tatsächlich betätige sich Lukaschenko nun als "Chef eines staatlichen Schleuserrings", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas diese Woche.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Belarus-Route
Wie viele unerlaubt Einreisende kommen über die Belarus-Route?
Mehr als 5.000 unerlaubt Eingereiste hat die Bundespolizei dieses Jahr auf der Belarus-Route registriert. Bis Ende Juli kamen nur 26 Menschen über Belarus und Polen unerlaubt nach Deutschland. Im August waren es schon 474, im September nach jüngsten Angaben der Bundespolizei 1.903. Bis zum 17. Oktober kamen weitere rund 3.000 unerlaubt eingereiste
Personen an der deutsch-polnischen Grenze hinzu, die meisten wohl ebenfalls über die Belarus-Route. Die Kurve ging also steil nach oben. Jüngste Zahlen aus Brandenburg - wo die meisten der Menschen ankommen - könnten auf ein Abflachen hindeuten: Voriges Wochenende wurden 288 Menschen im Grenzgebiet aufgegriffen, eine Woche vorher noch 392. Ob das ein Trend ist, bleibt offen.
Wie sieht die Situation an Polens Grenze zu Belarus aus?
Fakt ist, dass Polen sowie Lettland und Litauen versuchen, die EU-Außengrenze nach Belarus dicht zu machen. Die Länder bauen Grenzzäune, Polen plant auch eine dauerhafte Befestigung. Der dortige Grenzschutz registrierte allein seit Anfang Oktober rund 10.000 Versuche eines illegalen Übertritts an der Grenze zu Belarus - nach 6.000 im September. Viele Migranten werden an der Grenze abgewiesen, was nach internationalem Recht legal ist.
Illegal sind hingegen sogenannte Push-Backs - wenn Menschen bereits EU-Gebiet erreicht haben und eigentlich das Recht hätten, einen Asylantrag zu stellen. Auch Push-Backs werden den polnischen Behörden vorgehalten. Migranten berichteten der polnischen Presse, sie seien nach der Rückkehr nach Belarus von dortigen Uniformierten verprügelt und wieder zurück Richtung Polen getrieben worden. Die genaue Lage ist unklar, weil Polen im Grenzgebiet den Ausnahmezustand verhängt hat. In jedem Fall schaffen es trotz allem Tausende über die EU-Außengrenzen und Polen nach Deutschland.
Ist die Lage mit 2015 oder 2016 vergleichbar?
Die Zahlen sind viel niedriger als damals. Für 2015 bilanzierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 476.649 Erst- und Folgeanträge um Asyl. 2016 waren es allein 722.370 Erstanträge. 2021 meldete das Bamf bis Ende September 100.278 Erstanträge. Allerdings waren das 35,2 Prozent mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahrs. Das wird zum Teil damit erklärt, dass 2020 wegen Corona weniger Menschen kamen. Aber es gibt eben auch die Zunahme auf der Belarus-Route und anderen Wegen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagt, er befürchte, "dass sich da etwas entwickeln könnte". 2015 seien "Frühindikatoren" nicht genug beachtet worden. Das solle sich nicht wiederholen. Die Politik wird leise nervös und versucht gegenzusteuern - national, international und in der EU.
Was plant
Bundesinnenminister Seehofer hat sich bereits an seinen polnischen Amtskollegen Mariusz Kaminski gewandt. Er schlug gemeinsame Streifen deutscher und polnischer Grenzschützer vor, und zwar vorwiegend auf polnischer Seite. Dies sei eine Maßnahme "unterhalb der Schwelle einer vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen". Das klingt ein bisschen wie eine unterschwellige Drohung, denn genau über diese im Schengenraum eigentlich nicht vorgesehenen Grenzkontrollen wird in Deutschland diskutiert. Die hätten aber praktische Nachteile für beide Seiten, etwa Staus und Behinderungen im Warenverkehr, zuletzt gesehen in der Coronakrise.
Lassen sich die Zahlen so reduzieren?
Unerlaubte Einreisen von Asylbewerbern nach Deutschland würden deutsch-polnische Streifen wohl nicht verhindern, sondern höchstens reduzieren. Es wäre keine flächendeckende Überwachung - was aber auch bei stationären Grenzkontrollen schwierig wäre. Die gemeinsamen Patrouillen könnten helfen, dass mehr Schutzsuchende in Polen registriert werden. Dann wäre Polen in den meisten Fällen auch für das Asylverfahren zuständig. Das könnte, so eine Überlegung, abschreckend wirken. Denn jene, die sich auf den Weg über Belarus machen, wollen meist nicht in Polen bleiben, sondern nach Deutschland oder in andere westeuropäische Länder.
Was tut die EU, um die Route zu kappen?
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Was hat Lukaschenko vor?
Der Machthaber bestreitet jede Verantwortung. Klar ist: Belarus lässt Bürger aus 76 Ländern ohne Visum oder zumindest ohne größere Einschränkungen einreisen. Wie viele Menschen das nutzen, dazu gibt es keine offizielle Statistik. Doch deuten sich auch für Lukaschenko Schwierigkeiten an wegen der vielen Eingereisten, die zeitweise oder ganz in Belarus festsitzen. "Es gibt bereits genug Migranten in Minsk, die ständig in Einkaufszentren oder Innenhöfen sitzen", sagte Experte Jegor Lebedok dem Nachrichtenportal zerkalo.io und warnte sogar: "Die Gefahr von Ausschreitungen wächst." Im Grenzgebiet zu Polen sollen 15.000 Menschen im Wartestand sein.
Nun wird spekuliert, dass Lukaschenko selbst die Zahl der Einreisenden begrenzen will - vor allem mit Blick auf den nahenden Winter. Der Reiseveranstalter Anex Tour teilte mit, dass Menschen aus Afghanistan, Ägypten, dem Iran, Jemen, Nigeria, Pakistan und Syrien künftig nur mit gültigem Visum nach Belarus fliegen können. Zuvor war es möglich, ein Visum nach Ankunft am Flughafen in Minsk zu erhalten. (dpa/mgb)
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