Nach den Bauernprotesten will die Ampelkoalition Landwirte von Bürokratie entlasten und ihnen Planungssicherheit geben. Wie soll das gelingen? Und warum hat das Thema für die Bundesregierung vorher nur eine Nebenrolle gespielt? Fragen an SPD-Politiker Matthias Miersch.

Ein Interview

Bäuerinnen und Bauern haben ihren Protest in den vergangenen Wochen auf die Straßen getragen. Allein in Berlin haben am Montag bis zu 30.000 Menschen demonstriert. Die Ampelkoalition hatte im Dezember angekündigt, landwirtschaftlichen Betrieben die Befreiung von der Kfz-Steuer sowie Steuervergünstigungen für Agrardiesel zu streichen.

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Nach einem lauten Aufschrei hat sie die Pläne für die Kfz-Steuer wieder zurückgenommen. Außerdem wollen SPD, Grüne und FDP den Landwirtinnen und Landwirten entgegenkommen: Am Donnerstag soll der Bundestag einen Fahrplan für Strukturreformen beschließen. Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, sagt im Interview mit unserer Redaktion: "Die Dynamik der Bauernproteste verschafft dem Thema jetzt zum Glück mehr Aufmerksamkeit."

Herr Miersch, die Ampelkoalition will den Landwirtinnen und Landwirten mit einem Reformprogramm entgegenkommen. Sind Sie vor dem Druck der Straße eingeknickt?

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch. © Fionn Große

Matthias Miersch: Nein, überhaupt nicht. Wir haben hingehört. Wir haben am Montag Gespräche mit acht Verbänden geführt und da auch große Themen jenseits des Agrardiesels angesprochen. Die Reformvorschläge der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert-Kommission liegen vor. Mir lag schon immer viel daran, sie umzusetzen. Früher in der Großen Koalition war das aber an vielen Stellen nicht möglich. Die Dynamik der Bauernproteste verschafft dem Thema jetzt zum Glück mehr Aufmerksamkeit. Das Thema können wir jetzt endlich angehen.

Sie haben die Reformvorschläge der beiden Kommissionen angesprochen: Die Ampelkoalition hat sie in den vergangenen Jahren in der Schublade liegen lassen. Jetzt besinnen Sie sich plötzlich darauf?

Wir sind schon einen sehr wichtigen Schritt gegangen, in dem wir ein staatliches Tierwohlkennzeichen eingeführt haben. Allerdings war und ist offen, wie ein großer Umbau der Landwirtschaft finanziert werden kann. Das müssen wir jetzt klären – genau wie den Bürokratieabbau.

Zum Thema

  • Die Zukunftskommission Landwirtschaft und die sogenannte Borchert-Kommission wurden 2019 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingesetzt. Expertinnen und Experten sowie Vertreter von Verbänden haben dort Vorschläge für landwirtschaftliche Reformen erarbeitet. Dazu gehörten fairere Preise für die Bäuerinnen und Bauern und finanzielle Unterstützung für den tierfreundlichen Stallumbau.

Das ist ein Versprechen der Koalition an die Landwirtinnen und Landwirte: weniger Bürokratie. Wie wollen Sie das konkret erfüllen?

Wir wollen mit Praxis-Checks prüfen, welche Maßnahmen und Vorschriften auf den Höfen wirklich notwendig sind. Ich besuche immer wieder landwirtschaftliche Betriebe und stelle fest, dass da Handlungsbedarf besteht. Kontrollen von Maschinen oder Veterinärbesuche erfolgen zum Teil in sehr kurzen Abständen, die ich nicht nachvollziehen kann. Die Branche ist zum Teil überreguliert. Die Politik könnte die Betriebe durchaus entlasten. Allerdings sind dafür unterschiedliche politische Ebenen gefragt, auch die Länder.

Diskutiert wird auch eine Tierwohlabgabe: ein kleiner Aufpreis auf Fleisch. Die Einnahmen könnten direkt an die Tierhalter fließen, damit die ihre Ställe tiergerechter umbauen können. Sind Sie dafür?

Wir haben immer gesagt: Wenn wir höhere Tierhaltungsstandards als im europäischen Ausland wollen, muss die Allgemeinheit die nötigen Umbauten mitfinanzieren. Auch der Bürgerrat des Bundestags mit 160 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern hat sich gerade für eine solche Abgabe ausgesprochen. Wir werden das jetzt als Ampelkoalition beschließen müssen, ein Tierwohl-Cent ist aus meiner Sicht notwendig. Allerdings müssen vorher noch europarechtliche Fragen geklärt werden. Außerdem muss sicher sein, dass die Einnahmen direkt an die Landwirte fließen.

Fleisch würde dadurch aber teurer werden. Haben Sie sich das gut überlegt?

Es würde sich wahrscheinlich um einen Aufpreis im Cent-Bereich handeln und das wäre angemessen. Wir müssen diese Debatte jetzt führen.

Matthias Miersch: "Der Markt allein wird das nicht regeln"

Ein großes Problem für viele Landwirtinnen und Landwirte sind die niedrigen Erzeugerpreise, die sie für ihre Produkte bekommen. Das liegt auch an der großen Marktmacht der Lebensmittelhändler, die die Preise drücken können. Wie will die Politik dagegen vorgehen?

Wir haben in der Tat im Moment eine große Marktmacht. Das gilt für die Molkereien und Schlachtereien, aber auch für die Lebensmitteldiscounter. Deren Praktiken müssen wir uns genau anschauen. Zu diesem Zweck arbeiten wir gerade an einem Agrarorganisationsgesetz. Man kann zum Beispiel im Kartell- und Wettbewerbsrecht ansetzen.

Wenn Sie jetzt versprechen, die Landwirtschaft zu entlasten – warum behalten Sie dann nicht einfach die Subventionen beim Agrardiesel bei?

Wenn wir alternative Antriebstechnologien in der Landwirtschaft fördern wollen, bleibt die stufenweise Streichung der Subvention weiterhin sinnvoll. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat uns nun einmal auferlegt, in vielen Bereichen zu sparen. Da muss auch die Landwirtschaft ihren Beitrag leisten – gleichzeitig sorgen wir aber für Entlastung durch den Abbau von Bürokratie.

Sind Reformen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft wirklich wahrscheinlich, wenn sich die Bundesregierung gleichzeitig diesen Sparzwang auferlegt?

Für den Stallumbau und damit für mehr Tierwohl können wir das Geld über die Tierwohlabgabe beim Fleischverkauf generieren. Generell stellt sich nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch im Bereich Umwelt, Klimaschutz, Mobilität die Frage: Wie schaffen wir es, die enormen nötigen Investitionen zu finanzieren? Ich bin der Meinung, dass wir dringend eine Reform der Schuldenbremse und einen Transformationsfonds brauchen, der jenseits des Haushalts aufgestellt ist. Der Markt allein wird das nicht regeln.

Viele Menschen haben aber den Eindruck, dass die Kosten gerade auf ihnen abgeladen werden. Tanken und Heizen werden zum Beispiel durch den CO2-Preis teurer – aber ein Klimageld als Ausgleich will die Bundesregierung in dieser Wahlperiode nicht mehr einführen.

Ich halte das für falsch. Das Klimageld steht im Koalitionsvertrag, und daran werden wir gemessen. Ich warne aber davor, das Klimageld als eierlegende Wollmilchsau zu betrachten. Wenn der CO2-Preis immer weiter steigt, reicht es nicht, wenn die Menschen am Ende hundert Euro zurückbekommen. Wir brauchen auch eine Förderung der Alternativen, damit die Menschen zum Beispiel vom Auto auf andere Verkehrsmittel umsteigen können. Dasselbe gilt beim Heizen – hier fördern wir den Einbau klimafreundlicher Heizungen nach Einkommen gestaffelt. Wer wenig hat, bekommt mehr Förderung. Das halte ich für den richtigen Weg.

Das Reformpaket für die Landwirtschaft soll bis zur Sommerpause fertig sein. Ist das wirklich realistisch?

Das haben wir den Verbänden zugesagt – und daran werden sie uns messen können. Viel Vorarbeit ist schon geleistet worden. Es gibt jetzt den zeitlichen Druck, schnell zu der politischen Einigung zu kommen, die in der Vergangenheit nicht möglich war. Meine Bitte an die Verbände lautet aber, dass sie sich ebenfalls konstruktiv daran beteiligen. Wenn ich Verbandsvertreter wäre, würde ich meine Kraft jedenfalls jetzt in den Dialog mit uns stecken.

Die Bauern haben in den vergangenen Wochen lautstark protestiert – und schon kommt die Politik ihnen entgegen. Ist das nicht unfair gegenüber anderen Berufsgruppen, die keine Trecker haben, um den Verkehr lahmzulegen?

Deswegen haben wir auch gesagt, dass wir an der stufenweisen Streichung der Dieselsubvention für die Landwirtschaft festhalten: Wir verlangen anderen Gruppen auch etwas ab. Wir sehen, dass in vielen Branchen, zum Beispiel auch in der Pflege, viele Dinge im Argen liegen. Allerdings ist es in einer Koalition aus drei unterschiedlichen Parteien nicht immer einfach, gemeinsam Lösungen zu finden. Deshalb ist der Druck der Straße auch legitim. Wir müssen beweisen, dass wir liefern können.

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Über den Gesprächspartner

  • Matthias Miersch wurde 1968 in Hannover geboren. Der promovierte Jurist ist Fachanwalt für Strafrecht. Seit 2005 ist er als direktgewählter Abgeordneter Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2017 ist er als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion für die Themen Umwelt, Klimaschutz, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständig.
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