• In der Ukraine-Krise ist Olaf Scholz nach Moskau gereist, um mit Kreml-Chef Putin über diplomatische Lösungen zu sprechen.
  • Wir haben mit zwei Politikwissenschaftlern über den Auftritt des Bundeskanzlers gesprochen.
  • Sie kommen zu dem Schluss: Der Kanzler hat überzeugt, aber: "Macron war wichtiger.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der zu Wort kommenden Experteneinfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Es war kurz nach 15:00 Uhr mitteleuropäischer Zeit, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der russische Präsident Wladimir Putin vor die Presse traten. Putin dankte Scholz für den "nützlichen und inhaltsreichen Dialog", der Kanzler sagte: "Es ist gut und wichtig, heute hier in Moskau zu sein." Man habe im Gespräch "kein Thema ausgelassen", kritische Fragen seien nicht vermieden worden.

Kreml-Chef Putin hatte den deutschen Bundeskanzler zuvor für diplomatische Gespräche an seinem langen weißen Tisch empfangen. Auch der französische Staatschef Emmanuel Macron hatte in der vergangenen Woche dort Platz genommen – mit sechs Metern Abstand. In der internationalen Presse hatte diese Geste bereits für Irritation gesorgt, der Kreml argumentierte mit Corona-Maßnahmen.

Im Anschluss an die Gespräche betonte Scholz, Deeskalation sei dringend geboten, man wolle einen Krieg mit "aller Kraft" verhindern. "Ich habe meine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass bei weiteren hochrangigen Gesprächen in nächster Zeit eine Lösung für die aktuelle Blockade erreicht werden kann", so der Kanzler. Die diplomatischen Möglichkeiten seien "bei Weitem nicht ausgeschöpft". Jetzt müsse es darum gehen, "entschlossen und mutig an einer friedlichen Auflösung dieser Krise zu arbeiten". Der Teilabzug russischer Truppen, den der Kreml am Dienstagmorgen verkündet hatte, sei bereits "ein gutes Zeichen". "Wir hoffen, dass da noch welche folgen", so der Bundeskanzler weiter.

Klare Worte an Putin: "Unverständnis" in Deutschland

Abseits der außenpolitischen Krise hob Scholz die kulturellen und historischen Verflechtungen beider Länder hervor, das Potenzial der Wirtschaftsbeziehungen und die Bedeutung eines gemeinsamen Engagements gegen den Klimawandel. Er fand aber auch deutliche Worte: Man empfinde den russischen Truppenaufmarsch an der ostukrainischen Grenze im Westen als "Bedrohung". Der Kanzler betonte: "Wir können keinen vernünftigen Grund für diese Truppenzusammenstellung erkennen."

Es sei in Deutschland auch auf "großes Unverständnis" gestoßen, dass die Gruppe "Memorial" ihre Tätigkeit nicht fortsetzen könne. Die Menschenrechtsorganisation befasst sich vorrangig mit der Aufarbeitung politischer Gewaltherrschaft zur Zeit der Sowjetunion. Auch die Lage der Presse sprach Scholz an: "Ich habe in unseren Gesprächen auch die Erwartung geäußert, dass die Deutsche Welle in Russland weiter journalistisch tätig sein kann."

Ebenso betonte er die Unverhandelbarkeit der Souveränität von Staaten und verdeutlichte erneut: "Für die Bundesregierung ist klar, dass eine weitere militärische Aggression gegen die Ukraine schwere politische, wirtschaftliche und strategische Konsequenzen zur Folge hätte."

Experte von Olaf Scholz' Auftritt überzeugt

Aus Sicht von Politikwissenschaftler Johannes Varwick hat sich Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Moskau gut geschlagen. "Scholz wirkte auf mich gut vorbereitet, konzentriert und fokussiert", sagt der Experte. Der Kanzler habe in der Pressekonferenz Klartext gesprochen und auch heikle Themen wie das Verbot von "Memorial" angesprochen.

Varwick hebt hervor: "Angesichts der ernsten Lage hat er eine gewisse Portion Optimismus verbreitet und verdeutlicht, dass alle Anstrengungen auf die Bewahrung des Friedens gerichtet sein werden müssen." Der Druck auf Scholz war im Vorfeld des Antrittsbesuches hoch gewesen: Vielfach wurde sein Besuch als "letzte Chance für den Frieden" bezeichnet.

"Es scheint nun Bewegung in die Verhandlungen gekommen zu sein", so die Einschätzung von Varwick. Das betreffe sowohl Detailfragen des Normandie-Formats, aber auch die Bereitschaft, mit Russland über die Neuordnung der europäischen Sicherheitsarchitektur mit Russland nachzudenken. In der Pressekonferenz hatte Scholz die Bereitschaft signalisiert, Schritte der "gegenseitigen, besser noch der gemeinsamen Sicherheit zu unternehmen".

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Hoher Druck, aber niedrige Erwartungen

Varwick erinnert aber auch: "Ein solcher Besuch kann keine Wunder bewirken." Insgesamt sei Scholz aber eine gute "Choreografie" bei seinem Besuch gelungen. "So hat er nach dem Gespräch Vertreter der russischen Zivilgesellschaft getroffen und in der deutschen Botschaft die Botschafter der anderen EU-Mitgliedstaaten über sein Gespräch mit Putin informiert", erklärt er.

Trotz wenig außenpolitischer Erfahrung hat Scholz auch aus Sicht von Politikwissenschaftler Gerhard Mangott die Erwartungen erfüllt: "Die deutsche Regierung hat im Vorfeld die Erwartungen allerdings stark heruntergeschraubt und gesagt, Scholz komme nicht mit einer eigenen Mission nach Moskau", erinnert er. An dieser niedrigen Messlatte habe Scholz kaum scheitern können.

"Es war auffällig, dass das Treffen zwischen Macron und Putin deutlich länger gedauert hat", sagt Mangott. Macron hatte seinen russischen Amtskollegen am Montag vergangener Woche getroffen. Die Verhandlungen dauerten fast sechs Stunden. Mangotts Interpretation: "In Europa hat Macron die Führung als Vermittler übernommen, Scholz war zu lange unhörbar und unsichtbar", sagt er. "In Berlin wird man das nicht gerne sehen, aber Macron war für Putin [...] der wichtigere Gesprächspartner", so der Experte.

Experte: Scholz leistet sich einen Fehler

Ein Fehler ist dem Kanzler aus seiner Sicht unterlaufen: Nachdem Putin gesagt hatte, die NATO habe Belgrad Ende der 90er-Jahre ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats bombardiert, betonte Scholz, dass damals ein Völkermord verhindert worden sei. Putin wiederum entgegnete, dass es heute auch in der Ostukraine einen "Völkermord" gebe. "Da hätte der Kanzler schneller reagieren können und betonen müssen, dass im Donbass kein Völkermord im Gange ist. Das ist nämlich eine absurde Behauptung", sagt Mangott.

Scholz hatte Putins Aussagen zunächst unkommentiert gelassen. Erst nach dem Treffen in Moskau hat Scholz scharfe Kritik an Putins Aussage geäußert. Es sei falsch, dass in der Ostukraine ein Völkermord stattfinde, sagte Scholz im Nachgang.

Dennoch geht Scholz nach Ansicht von Mangott mit einem Vorteil aus dem Treffen: "Das Gespräch fand nun in einer Phase statt, in der viele schon von Deeskalation sprechen", sagt er. Kommt es zu einer Beruhigung der Lage, könne Scholz diese Früchte für sich mitbeanspruchen und auf seinen Besuch zurückführen.

Über die Experten:
Prof. Dr. Johannes Varwick ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg.
Prof. Dr. Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Russland.

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz von Wladimir Putin und Olaf Scholz am 15.02.2022 in Moskau
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