Sterben in Ländern mit pauschalem Tempolimit auf Autobahnen mehr Menschen im Verkehr als in Deutschland, wo es kein Tempolimit gibt? Das wird auf Facebook behauptet. Eine vermeintliche Statistik, die dies belegen soll, ist jedoch irreführend.

Knapp 15.000-mal wurde ein Facebook-Beitrag geteilt, in dem es heißt: "Auch deswegen kein Tempolimit". Dazu wird ein Bild verbreitet, auf dem Zahlen zu Verkehrstoten genannt werden. Die Zahlen beziehen sich auf Deutschland und auf vier Länder, in denen es ein Tempolimit auf Autobahnen gibt: Polen, Griechenland, Belgien und Österreich.

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Die angebliche Zahl der Verkehrstoten in Deutschland ist geringer als in den anderen Ländern. So wird suggeriert, dass ein Tempolimit auf Autobahnen zu mehr Verkehrstoten führe. Das stimmt jedoch nicht; das Bild ist irreführend.

Laut einer interaktiven Karte des ADAC sind die angegebenen Tempolimits auf Autobahnen für die einzelnen Länder korrekt. Unklar ist jedoch, auf welches Jahr sich die Angabe der Verkehrstoten bezieht, da als Quelle lediglich die Statistik-Webseite Statista angegeben wird. Einen entsprechenden Eintrag bei Statista, der dieselben Zahlen enthält, konnten wir nicht finden. Aus einem Eintrag vom 20. April 2022 gehen für das Jahr 2019 ungefähr vergleichbare Zahlen hervor: Demnach gab es in Polen 7,7 Verkehrstote pro 100.000 Einwohner, in Griechenland 6,4, in Belgien 5,6 in Österreich 4,7 und in Deutschland 3,7.

Die Zahlen eignen sich jedoch nicht für einen Vergleich mit Bezug zum Tempolimit: In der Statistik werden alle Verkehrstoten gezählt und nicht nur die auf Autobahnen.

Beitrag vergleicht nicht die Verkehrstoten auf Autobahnen, sondern auf allen Straßen

Alle Verkehrstoten eines Landes in Zusammenhang mit einem Tempolimit auf Autobahnen zu bringen, ist nicht sinnvoll. Denn zu Verkehrstoten zählen beispielsweise auch Fußgänger und Radfahrer sowie jene, die nicht auf Autobahnen sterben, sondern auf anderen Straßen. Es gibt in Deutschland rund 830.000 Kilometer Straßen, nur 13.000 Kilometer davon entfallen auf die Bundesautobahnen.

Ein 2021 erschienener Bericht der Europäischen Kommission zu Unfällen und Unfalltoten in Europa in den Jahren 2017 bis 2019 zeigt, dass Deutschland im oberen Mittelfeld liegt, wenn man die Unfalltoten pro 1.000 Autobahnkilometer miteinander vergleicht.

2017 bis 2019 starben demnach pro 1.000 Kilometer Autobahn in Deutschland 30 Menschen; das sind zehn mehr (50 Prozent) als in Österreich, wo ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde gilt. Und zwanzig mehr (200 Prozent) als in Schweden, wo 120 die Höchstgeschwindigkeit auf den Autobahnen ist.

Das könnte ein Tempolimit auf Autobahnen im Jahr einsparen

Eine Geschwindigkeitsreduzierung auf Autobahnen kann den Treibstoffverbrauch und den CO2-Ausstoß verringern. Wie hoch die Einsparung sein könnte, sehen Sie im Video. (Foto: iStock-Thomas Stockhausen)

Dass die Zahl der Verkehrstoten auf Autobahnen sich nicht nur an das Tempolimit knüpfen lässt, zeigt diese Statistik ebenfalls. Denn sowohl im Land mit den meisten Verkehrstoten auf Autobahnen, Bulgarien (72), wie auch im Land mit den wenigsten, Finnland (7), gelten Höchstgeschwindigkeiten von 130 beziehungsweise 120 Stundenkilometern. Die Niederlande, die mit 100 Stundenkilometern (tagsüber) das niedrigste Tempolimit Europas haben, befinden sich dagegen mit 28 Toten pro 1.000 Autobahnkilometern, wie auch Deutschland, im oberen Mittelfeld.

Wie viele Menschen statistisch auf Autobahnen sterben, hängt auch ab von Verkehrsdichte, Straßenzustand und Größe des Autobahnnetzes

In einem Artikel auf Statista werden weitere Einflussfaktoren für die Zahl der Verkehrstoten genannt, etwa die Verkehrsdichte, die Verbreitung von Alkohol, der allgemeine Zustand der Autobahnen, die Größe des Autobahnnetzes und die geografischen Besonderheiten. Will man etwa die Zahl der Autobahntoten von Norwegen und Deutschland miteinander vergleichen, müssen dabei mehrere Faktoren bedacht werden, etwa dass Norwegen sehr gebirgig ist und unter anderem deshalb nur etwa 400 Autobahnkilometer hat, während das Autobahnnetz in Deutschland mehr als 30-mal so lang ist.

Um die Behauptung, dass ein Tempolimit zu mehr Verkehrstoten führe, zu widerlegen, muss man jedoch gar keinen internationalen Vergleich heranziehen. Es reicht ein Blick innerhalb Deutschlands: Vergleicht man die Unfallzahlen von Autobahnabschnitten mit Tempolimit mit denen von Abschnitten ohne Tempolimit, fällt nach Angaben des ADAC kein Unterschied auf. "Beim innerdeutschen Vergleich lassen sich auf Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbeschränkung anteilig nicht mehr (schwere) Unfälle feststellen als auf Strecken mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 oder 130 Kilometer pro Stunde", erklärt ADAC-Sprecher Andreas Hölzel auf unsere Anfrage per E-Mail.

Doch wie sieht es beim Blick auf Unfalltote und nicht nur auf Unfälle aus? In dieser Hinsicht schneiden Autobahnen ohne Tempolimit nach einer Auswertung des "Spiegel" aus dem Jahr 2019 schlechter ab: Die Recherche kommt zu dem Ergebnis, dass es auf Autobahnen ohne Tempolimit zwar weniger Unfälle gibt – sie aber häufiger tödlich enden. "Während mit Tempolimit 0,95 tödliche Unfälle pro Milliarde Kilometer passieren, liegt dieser Wert in Abschnitten ohne Tempolimit bei 1,67, also rund 75 Prozent höher", heißt es in dem Artikel. Jährlich ließen sich durch ein allgemeines Tempolimit demnach 140 Todesopfer vermeiden.

Auch ein Sprecher des Deutschen Verkehrssicherheitsrats erklärt in einer E-Mail an uns, dass die Behauptung, kein Tempolimit führe zu weniger Verkehrstoten, "nicht haltbar" sei. "Richtig ist, dass Autobahnabschnitte mit höheren Gefährdungen in der Regel bereits mit streckenbezogenen zulässigen Höchstgeschwindigkeiten belegt sind." Als Beispiele nennt er unter anderem Autobahnkreuze, Baustellen und Abfahrten. Ohne Geschwindigkeitsbegrenzung kann man also vor allem auf Strecken fahren, die ohnehin weniger gefährlich sind. "Daraus zu schließen, dass eine geringere Gefährdungslage auf freigegebenen Strecken aus dem nicht bestehenden Tempolimit resultiere, ist also ein logischer Fehlschluss."

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