Vier Schusswaffen, Sprengsätze, Bekennervideo und ein "Manifest". Für die Ermittler gibt es keinen Zweifel: Der rechtsextremistische Schütze von Halle plante ein Massaker in der Synagoge mit weltweiter Wirkung. Und die Bundesregierung reagiert mit einer Garantie.
Der Todesschütze von Halle wollte mit seinem Terrorangriff auf eine Synagoge nach Einschätzung der Ermittler ein Massaker anrichten und Nachahmer für solche rechtsextremistische und antisemitische Taten finden. Mit seinem Bekennervideo und einem "Manifest" im Internet sei es dem Schützen dabei um weltweite Wirkung gegangen, teilten Generalbundesanwalt Peter Frank und Bundesjustizministerin
Innenminister
Generalbundesanwalt beantragt Haftbefehl
Generalbundesanwalt Frank beantragte Haftbefehl gegen Stephan Balliet wegen zweifachen Mordes und versuchten Mordes in mehreren Fällen. Er war am Mittwoch festgenommen worden, nachdem er vor der Synagoge eine 40-Jährige aus Halle und in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Mann aus Merseburg erschossen hatte.
Zuvor hatte er vergeblich versucht, die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen - es gelang ihm nicht, die Tür zu zerstören. Mehr als 50 Menschen hatten sich zu dem Zeitpunkt in dem Gotteshaus aufgehalten und das wichtigste jüdische Fest, Jom Kippur, gefeiert.
Auf der Flucht verletzte der Täter zudem eine 40 Jahre alte Frau und deren 41 Jahre alten Mann mit Schüssen. Das Paar wird im Krankenhaus behandelt.
Seehofer zeigte sich tief betroffen: "Dieses brutale Verbrechen gestern ist eine Schande für unser ganzes Land. Bei unserer Geschichte darf so etwas in Deutschland eigentlich nicht passieren." Deutschland habe der ganzen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg einen Schwur abgegeben: "Nie wieder." In Sachsen-Anhalt bekämen die Synagogen ab sofort Polizeischutz. Seehofer versprach, rasch mit allen Länder-Innenministern über eine dauerhafte Bewachung der jüdischen Gotteshäuser und Einrichtungen sprechen zu wollen.
Ein Vorbild von Stephan B. war Attentäter von Christchurch
"Was wir gestern erlebt haben, war Terror", sagte Generalbundesanwalt Frank. Stephan Balliet wollte demnach ein Nachahmer im doppelten Sinne sein. Er habe vergleichbare Taten, die vorher begangen worden seien, nachgeahmt, und "er wollte nach unserer Erkenntnis auch andere zu solchen Taten zur Nachahmung anstiften", sagte Frank. Ein Vorbild des Mannes sei der Attentäter im neuseeländischen Christchurch gewesen, der Mitte März bei Angriffen auf Muslime in zwei Moscheen mehr als 50 Menschen getötet hatte.
Seehofer warf einigen AfD-Politikern im Zusammenhang mit dem Anschlag geistige Brandstiftung vor. "Was die geistige Brandstiftung betrifft, sehe ich das genauso wie die von Ihnen zitierten Parteifreunde", sagte Seehofer auf eine entsprechende Reporterfrage. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte der AfD am Morgen im Bayerischen Rundfunk eine Mitverantwortung an der Tat gegeben. Auch Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht kritisierte mit Blick auf die AfD die politischen Auseinandersetzung im Parlament. Diese gleiche zum Teil im Duktus dem NS-Sprachgebrauch.
Bei dem Angriff führte der Täter nach Angaben von Generalbundesanwalt Frank vier Schusswaffen mit sich. Es sei zumindest eine vollautomatische Schusswaffe dabei gewesen, zudem habe er mehrere Sprengsätze im Auto gehabt, als er zu der Synagoge gefahren sei. Der mutmaßliche Attentäter war zuvor nicht mit anderen kriminellen Handlungen aufgefallen.
Waffen wurden teilweise mit 3D-Druckern hergestellt
Nach Angaben aus Sicherheitskreisen hatte der Täter die Waffen selbst gebaut. Sie waren demnach nicht richtig zusammengesetzt, weswegen es Ladehemmungen gegeben habe. Nach einem Bericht des ZDF-Magazins "Frontal 21" sollen die Waffen teilweise mit 3D-Druckern hergestellt worden sein. Stephan Balliet habe die aus Kunststoff bestehenden Teile hergestellt. Zudem habe er 3D-Anleitungen unter anderem für Magazine und andere Waffenteile ins Internet gestellt.
Der Täter hatte in den sozialen Netzwerken ein Bekennervideo hochgeladen. Ausgestattet mit einer Helmkamera zeigt das knapp 36 Minuten lange Video den Ablauf der Tat aus der Perspektive des 27-Jährigen - von der vergeblichen Erstürmung der Synagoge über die tödlichen Schüsse bis zur Flucht. Das Video diente den Ermittlern auch zur Rekonstruktion des Ablaufs der Tat. Stahlknecht stellte dabei klar, dass zwischen Eingang des Alarms bei der Polizei in Halle und dem Eintreffen der Beamten vor Ort sieben Minuten vergangen seien. Er reagierte damit auf Kritik, wonach diese Zeitspanne zu lang gewesen sein soll.
Der Täter legte zudem in einem elf Seiten langen "Manifest" seine Gedanken dar - auf Englisch, um möglichst viel Verbreitung zu erlangen. Der Text liest sich stellenweise wie die Anleitung zu einem Computerspiel, in dem Dokument wimmelt es vor antisemitischen Begriffen.
Klare Haltung gegen Rechtsextremismus
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus. "Wer jetzt noch einen Funken Verständnis zeigt für Rechtsextremismus und Rassenhass, wer die Bereitschaft anderer fördert durch das Schüren von Hass; wer politisch motivierte Gewalt gegen Andersdenkende, Andersgläubige oder auch Repräsentanten demokratischer Institutionen (...) rechtfertigt, macht sich mitschuldig", sagte er bei seinem Besuch am Tatort.
Lambrecht bezeichnete wie Seehofer den Rechtsextremismus als eine der aktuell größten Bedrohungen, die der Rechtsstaat mit allen Mitteln bekämpfen müsse. Rechtsextremismus trete in Deutschland immer gewalttätiger und aggressiver auf. Der Nährboden beginne oft zunächst mit Worten, denen dann Taten folgten. Es gehöre zur Staatsräson, dass Juden in Deutschland sicher leben könnten. Die SPD-Politikerin kündigte an, Vorschläge zu machen, wie Internetplattformen verpflichtet werden könnten, rechtsextreme Äußerungen zu verhindern.
Nach seiner Flucht war der Todesschütze auf der Bundesstraße 91 südlich von Halle festgenommen worden, wie Stahlknecht sagte. Stephan B. wurde nach Informationen aus Sicherheitskreisen in zwei Krankenhäusern behandelt. Schussverletzungen am Hals stammten aus einem Schusswechsel mit der Polizei in Halle, wo sich der Täter hinter seinem Wagen verschanzt hatte. Die Nacht habe Stephan Balliet in einer Klinik in Weißenfels in Sachsen-Anhalt verbracht.
Am Donnerstag sei er dann für eine Operation in eine Klinik in Halle gebracht worden. Am späten Donnerstagnachmittag wurde er per Hubschrauber nach Karlsruhe gebracht. Dort sollte er dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt werden. (dpa/fra)
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