Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz beweist in Zeiten der Coronakrise sein außergewöhnlich gutes Krisenmanagement. Er gibt seiner Bevölkerung Hoffnung auf Besserung. Ein Experte erklärt, warum der junge Kanzler so gut ankommt - und weshalb ihn selbst Ischgl nicht einholen wird.

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Vor etwas mehr als zwei Wochen war in Berlin, Hamburg und München noch wenig von der Coronakrise zu spüren. Draußen blinzelte die Frühlingssonne, Parks und Cafés waren voll, selbst der oberste Epidemiologe des Landes, Christian Drosten, klang bei aller Besorgnis noch locker: Man müsse sich nicht zu Hause einschließen, erklärte er da noch.

Im kleinen Nachbarland Österreich war zu diesem Zeitpunkt von Normalität keine Rede mehr. Wenige Tage zuvor hatte die konservativ-grüne Bundesregierung in Wien verfügt, dass im ganzen Land die Rollläden heruntergefahren werden: Beinahe ausnahmslos alle Einrichtungen des Landes wurden per Verordnung zugesperrt.

Österreich war unter den ersten EU-Ländern, die den Corona-Lockdown verfügten. "Je früher man drastische Maßnahmen setzt, desto besser ist es", erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das Beispiel Österreich veranlasste bald darauf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, in seinem Bundesland ebenfalls Ausgangsbeschränkungen zu verhängen. Der Rest Deutschlands zog erst mit Verspätung nach.

Österreich als Vorreiter: Sebastian Kurz' Art ist "brillant"

"Das hat Kurz nicht schlecht gemacht", sagt der Wiener Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Peter Hajek im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Art, wie Kurz die einschneidenden Maßnahmen kommuniziert, hält Hajek sogar für "brillant". Der junge Regierungschef spiele in der Krise all seine Stärken aus: klare Ansagen in einfacher Sprache, angereichert durch Beispiele aus dem Alltag. Kurz spricht von persönlichen Einschränkungen wie dem Verzicht auf seine Jogging-Runden im einst kaiserlichen Schlosspark Schönbrunn oder von Freunden, die ihm per SMS nach einem Ende des Ausnahmezustandes fragen. "Kurz kann unangenehme Nachrichten angenehm übermitteln", sagt Hajek.

Und noch etwas mache die österreichische Bundesregierung richtig: "Ihr Handeln ist stringent und nachvollziehbar", sagt Hajek. "Ihre Prognosen, was den Anstieg der Infizierten betrifft, treffen im Großen und Ganzen ein. Das stärkt das Vertrauen in die Regierung massiv." Neben Kurz profiliert sich besonders der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der mehrmals pro Woche mit dem Kanzler vor die Kameras tritt, um die neuesten Informationen zu verkünden.

Kurz beweist Fingerspitzengefühl

Der junge österreichische Kanzler scheint einen außergewöhnlichen Riecher für Timing zu haben. Als die damalige große Koalition unter Führung des Sozialdemokraten Werner Faymann im Jahr 2015 im Gleichklang mit der Regierung von Angela Merkel die Grenzen für Flüchtlinge aus Ungarn öffnete, hielt Kurz als einziger Minister dagegen. Später verständigte er sich mit den Regierungschefs der Balkanstaaten auf die Schließung der Fluchtrouten aus Griechenland Richtung Norden.

Diese gemeinschaftliche Aktion mehrerer Staaten deutete die PR-Maschinerie der Konservative zu einer Heldentat des jungen Außenministers um: Kurz habe die "Balkanroute geschlossen" hieß es fortan in Österreich. Mit diesem Narrativ gewann er zwei Jahre später die Nationalratswahlen in Österreich und formte eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ.

In dieser Zeit perfektionierte Kurz seinen Stil des Message-Control: Trotz zahlreicher rechter Ausfälle der FPÖ ließ sich Kurz fast nie zu einem Wort der Kritik an seinem Koalitionspartner hinreißen. In dieser Zeit gewann er das Image des "Schweigekanzlers", ein Amtsverständnis, das vor ihm schon sein politischer Mentor, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel prägte.

Anderthalb Jahre lang zelebrierte Kurz die Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten als Liebeshochzeit. In dieser Zeit etablierte er sich auf EU-Ebene als rechter Hardliner in den Reihen der Konservativen, der wenig Berührungsängste zum ungarischen Autokraten Viktor Orbán zeigte und immer wieder in Brüssel einen härteren Kurs gegenüber Flüchtlingen einforderte. Vor einem Jahr aber platzte die Koalition mit seinem Juniorpartner Heinz-Christian Strache. Anlass war das heimlich gefilmte Ibiza-Video: In einer Finca auf Ibiza hatte sich Strache gemeinsam mit FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus kurz vor der Nationalratswahl 2017 gegenüber einer angeblichen russischen Oligarchin um Kopf und Kragen geredet und Korruption im großen Stil angekündigt.

Neuanfang mit den Grünen

Erneut reagierte Kurz geistesgegenwärtig: Er ließ die Koalition platzen und rief Neuwahlen aus. Im September 2019 fuhr er mit mehr als 37 Prozent der Stimmen einen Riesenerfolg ein und einigte sich mit dem zweiten großen Sieger, Grünen-Chef Werner Kogler auf eine Koalition. "Das Beste aus zwei Welten" nannte Kurz das Bündnis bei der Präsentation. Tatsächlich rückte er keinen Millimeter von seinen rechten Positionen in Fragen zu Migration und Asyl ab. Allerdings gestand er den Grünen weitreichende Zugeständnisse im Bereich des Klimaschutzes zu. "Abschieben, jetzt emissionsfrei", kommentierte die linke Berliner taz damals die ungewöhnliche Partnerschaft.

Und wieder zog er seine Kommunikationsstrategie durch: Trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen den beiden Parteien regieren ÖVP und Grüne recht einträchtig. Seit der Coronakrise passt ohnehin kein Blatt mehr zwischen Kurz und seinen Vizekanzler Werner Kogler. "Mit seiner klaren Linie schafft es Kurz, bei der Bevölkerung keine Panik aufkommen zu lassen", sagt Hajek. "Das hebt ihn von vielen seiner internationalen Amtskollegen positiv ab."

Sein Verkaufstalent kommt Kurz freilich nicht nur zugute, wenn es darum geht, der österreichischen Bevölkerung bislang undenkbare Einschränkungen der bürgerlichen Rechte schmackhaft zu machen. Er schafft es auch, einen internationalen Skandal flach zu halten.

Igschl hätte sein Verhängnis werden können

Es geht um den Tiroler Skiort Ischgl, der zu einer der schlimmsten Drehscheiben für Corona-Infektionen in ganz Europa wurde – mutmaßlich durch schwere politische Fahrlässigkeit. Hier steckten sich Touristinnen und Touristen aus Island, Dänemark, Norwegen und Großbritannien mit dem Virus an. Viele von ihnen brachten die Krankheit in ihre Heimatländer und befeuerten dort die Infektionen.

Obwohl die isländischen Behörden schon Anfang März Alarm schlugen, entschied sich die in Tirol übermächtige ÖVP dazu, die Skigebiete noch zwei Wochen lang offen zu halten. Was in ausländischen Medien seit Wochen für Schlagzeilen sorgt, ist in Österreich fast kein Thema.

Obwohl noch unklar ist, welche Rolle die Bundesregierung in Wien bei der Entscheidung spielte, die versuchten Skigebiete offenzuhalten, schafft es Kurz, sich aus der Affäre zu ziehen. "Jeden Tag machen Entscheidungsträger Fehler, umso mehr in Krisensituationen. Aber ich warne davor, dass wir jetzt den Blick auf das Wesentliche verlieren", erklärte er am Montag bei einer Pressekonferenz.

"Ischgl wird Kurz nicht einholen"

Die sonst durchaus kritischen österreichischen Journalistinnen und Journalisten ließen ihm das durchgehen und hakten nicht nach. Und das, obwohl die in Tirol übermächtige Hoteliers-Lobby – auf deren Druck die Skigebiete offen blieben – laut kontrast.at zu den Großspendern seiner ÖVP gehört. Noch vor wenigen Wochen ließ sich Kurz mit diesen Hoteliers-Vertretern fotografieren.

"Ischgl wird Kurz nicht einholen", sagt Hajek. Der Kanzler habe in der Krise derart an Popularität gewonnen, dass er derzeit beinahe unangreifbar sei. "Bevor es für den Kanzler ein Problem gibt, muss sein Tiroler Parteifreund, Landeshauptmann Günther Platter gehen."

Hajek ist überzeugt, dass die Coronakrise für den jungen Kanzler in Wien eine riesige politische Chance darstellt. "Sein Ziel ist es offenbar, dass Österreich als erstes europäisches Land die Krise überwindet und wieder in die Gänge kommt." Der Polit-Profi ist überzeugt: "Wenn Sebastian Kurz das schafft, wird er noch sehr, sehr lange Kanzler bleiben."

Ischgl hin oder her.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit dem Wiener Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Peter Hajek
  • kurier.at: Faktencheck: Wer hat die Balkanroute geschlossen?
  • kurier.at: Brüssel-Visite: Kurz will keine Flüchtlingsquote
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