- Seit dem 31. März wird das Corona-Vakzin von Astrazeneca fast ausschließlich über 60-Jährigen geimpft.
- Weil in der Altersgruppe die Nachfrage nach dem Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers zurückhaltend ist, haben ihn Sachsen, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nun auch für Jüngere freigeben.
- Wir erklären, was die Bedingungen für eine Impfung mit Astrazeneca sind und welche Nebenwirkung es in sehr seltenen Fällen geben kann.
Viele Menschen über 60 verzichten offenbar auf ein Impfangebot mit dem für sie vorgesehenen Impfstoff Astrazeneca. Womöglich seien die Menschen verunsichert und warteten lieber ab, ob sie bei einem niedergelassenen Arzt das Vakzin von Biontech/Pfizer erhalten, sagte der Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde, Lukas Fuhrmann, dem "Weser-Kurier".
Die Folge: Mitunter leere Impfzentren in der Hansestadt. Damit das Impfen mit Astrazeneca nicht ins Stocken gerät, haben bereits vier Bundesländer das Vakzin für alle Altersgruppen freigegeben: nach Sachsen entschieden am Mittwoch auch Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, die Priorisierung für diesen Impfstoff komplett aufzuheben. Am Donnerstag folgte Berlin.
Wir erklären, wie sich Menschen aller Altersgruppen in den entsprechenden Bundesländern mit Astrazeneca impfen lassen können und was sie zu dem Vakzin wissen müssen.
Welche Bundesländer haben Astrazeneca bisher freigegeben?
- Bayern: "Die Priorisierung bei Astrazeneca ist ab sofort aufgehoben, der Impfstoff kann in den Arztpraxen auch Personen unter 60 Jahren angeboten werden", teilte Gesundheitsminister
Klaus Holetschek (CSU) am Mittwochabend mit. Er sagte weiter: "Die Ärzte kennen ihre Patienten gut und wissen, wem sie aus dem Kreis der unter 60-Jährigen unter Berücksichtigung der Vorgaben der Ständigen Impfkommission ein Impfangebot mit diesem Wirkstoff machen können - und beraten hierzu ausführlich." Dieses besondere Vertrauensverhältnis solle genutzt werden, "denn jede Dosis Impfstoff muss möglichst rasch verimpft werden", betonte Holetschek. - Berlin: Auch in Berliner Arztpraxen soll der Impfstoff von Astrazeneca ab sofort grundsätzlich für alle Altersgruppen zur Verfügung stehen. Die Praxen müssen sich dabei nicht mehr an die Priorisierung nach der Impfverordnung des Bundes halten, wie die Senatsverwaltung für Gesundheit am Donnerstag mitteilte. "In der aktuellen Infektionswelle kommt es darauf an, möglichst viele Menschen möglichst bald zu immunisieren - auch mit dem aufklärungsintensiven Astrazeneca-Impfstoff", sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD).
- Mecklenburg-Vorpommern: In Mecklenburg-Vorpommern können sich ab sofort alle Altersgruppen unabhängig von der Priorisierung mit dem Impfstoff von Astrazeneca impfen lassen. "Die Freigabe ist ein Angebot, dass diejenigen, die keine oder wenige Vorbehalte gegen den Impfstoff haben, die Möglichkeit nutzen können, sich gegen das Coronavirus auch impfen zu lassen", sagte Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) laut einer Mitteilung.
- Sachsen: Als ersten Bundesland hob Sachsen bereits am Dienstag die Impfpriorisierung für den Impfstoff auf, wie Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) nach einer Kabinettssitzung in Dresden mitteilte.
Zudem überlegt die Bremer Gesundheitsbehörde derzeit, die Impfreihenfolge für Astrazeneca aufzuheben. Es sei vorstellbar, allen unter 60-Jährigen ein offenes Angebot zu machen – sprich eine Impfung mit Astrazeneca ohne Einladung oder Termin. Das erwäge man allerdings erst, wenn es mehr Impfstoff von Astrazeneca gebe als Impfberechtigte über 60 Jahre.
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Wo kann ich mich mit Astrazeneca impfen lassen und welche Bedingungen gibt es?
Bei Menschen unter 60 Jahren ist in allen vier Bundesländern vor dem Spritzen eine ausführliche Beratung durch den Impfarzt notwendig, wie die Gesundheitsministerien mitteilten. Sowohl der Arzt als auch der impfwillige Bürger müssen der Impfung mit Astrazeneca zustimmen.
In Bayern, Berlin und Sachsen darf Astrazeneca unabhängig vom Alter oder der Impfreihenfolge nur in Arztpraxen, in Mecklenburg-Vorpommern zudem auch in Impfzentren und durch mobile Teams geimpft werden.
Im Corona-Hotspot Hof in Bayern werden bereits seit vergangener Woche auch über 18-Jährige mit einem Sonderkontingent des Astrazeneca-Vakzins geimpft. Zudem hatten immer mehr Landkreise im Freistaat mitgeteilt, bei Impfaktionen Astrazeneca-Dosen für alle Erwachsenen anzubieten. Sowohl der niederbayerische Landkreis Dingolfing-Landau als auch der Landkreis Mühldorf am Inn in Oberbayern kündigten am Mittwoch an, am kommenden Wochenende "offene Impftage" für alle ab 18 Jahren anbieten zu wollen.
Warum wurden die Impfungen mit Astrazteneca kurzzeitig ausgesetzt und welche Nebenwirkungen gibt es?
Die Ständige Impfkommission (kurz: Stiko) bewertet permanent alle wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen und leitet daraus Empfehlungen ab.
Da die Corona-Impfstoffe relativ neu sind, gewinnen Experten immer wieder neue Erkenntnisse, die zu mehr Sicherheit beim Impfstoff führen. Das liegt daran, dass – bevor ein Impfstoff zugelassen wird – nur eine gewisse Anzahl an Menschen probeweise geimpft wird.
Je mehr Menschen einen Impfstoff bekommen, desto mehr Erkenntnisse lassen sich ableiten. Auf Basis der derzeit verfügbaren Daten zum Auftreten seltener, aber sehr schwerer Blutgerinnsel im Gehirn, sogenannte Hirnvenenthrombosen, bei Astrazeneca hatte die Stiko in Absprache Experten Ende März beschlossen, dass dieser Impfstoff nur noch für Personen im Alter ab 60 Jahren empfohlen wird. Die Nebenwirkung einer Thrombose trat nämlich überwiegend bei Personen in einer jüngeren Altersgruppe auf.
Unter 60-Jährige können sich aber nach wie vor "nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung" weiterhin damit impfen lassen. Genau darauf berufen sich nun die Bundesländer.
Wie viele Verdachtsfälle bezüglich der Nebenwirkungen bei Astrazeneca gibt es derzeit?
In Deutschland sind bis Mitte April 59 Fälle von Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach Impfung mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca gemeldet worden. Das berichtet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
Die Betroffenen seien zwischen 13. Februar und 31. März geimpft worden. Zwölf Menschen seien gestorben, sechs Männer und sechs Frauen. Bis einschließlich 15. April wurden nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) insgesamt mehr als 4,2 Millionen Erstdosen und 4153 Zweitdosen des Impfstoffs verabreicht.
Die sehr seltenen Fälle dieser Hirnthrombosen wurden nach PEI-Angaben bisher ausschließlich nach der ersten Impfdosis berichtet. Die Symptome begannen demnach in 57 der 59 Fälle innerhalb von 29 Tagen nach der Impfung, in zwei Fällen lagen dem Institut dazu keine Angaben vor. In 31 Fällen wurde zusätzlich eine sogenannte Thrombozytopenie gemeldet - also ein Mangel an Blutplättchen. Diese sei spätestens nach 17 Tagen aufgetreten, hieß es.
45 der insgesamt 59 Meldungen von Hirnthrombosen betrafen den Angaben zufolge Frauen, deren Alter lag zwischen 20 und 79 Jahren. 38 jener 43 Frauen, bei denen das Zeitintervall zwischen Impfung und Symptombeginn bekannt ist, waren zwischen 22 und 59 Jahren alt, die fünf übrigen Frauen waren mindestens 60 Jahre alt. Zwölf der 14 betroffenen Männer waren 20 bis 59 Jahre alt, die übrigen beiden waren zwischen 60 und 70.
Trotz einiger seltener Fälle von Hirnvenenthrombosen gibt die Europäische Arzneimittelbehörde EMA weiter uneingeschränkt grünes Licht für den Wirkstoff. Die Vorteile des Schutzes vor COVID-19 seien höher zu bewerten als die möglichen Risiken.
Wie gehen andere Länder mit Astrazeneca um?
Zeitweise hatten im März über ein Dutzend europäische Staaten vorsorglich den Einsatz des Impfstoffes des britisch-schwedischen Unternehmens ausgesetzt. Norwegen verlängerte den Stopp später. Ein norwegischer Expertenausschuss ist beauftragt, bis zum 10. Mai zu einem Schluss zu kommen, welche Folgen der Einsatz oder Nicht-Einsatz der Impfstoffe von Astrazeneca (und auch von Johnson & Johnson) für die Impfkampagne hat.
Als einziges EU-Land hat Dänemark den Einsatz des Astrazeneca-Präparats dauerhaft gestoppt. Deutschlands nördlichster Nachbar stellt Schleswig-Holstein 55.000 Impfdosen davon zur Verfügung. Auch dabei handelt es sich um eine Art Darlehen. (dpa/mf)
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